Ein Essay über Autor und Autorschaft
Das Projekt hieß Writing under Observation; eingeladen in die Klausur der Schwabenakademie Irsee war als Landgastschreiber der Autor Roman Ehrlich. Roman Ehrlich verbrachte von April bis Mai 2021 mehrere Wochen in Irsee. Eine in diesem Rahmen organisierte Lesung im Schloss Edelstetten kann hier als Video besichtigt werden.
Begleitet wurde Ehrlichs Aufenthalt von einem literaturwissenschaftlich-ethnologischen Seminar (LMU München und Universität Augsburg), in dem Roman Ehrlich in der Seminarsitzung wöchentlich Rede und Antwort stand. Zusätzlich führten die Teilnehmenden insgesamt fünf Observationsverhöre, die viele Themen umfassten, sich auf einzelne Seminarsitzungen bezogen und auf die sogenannten Produktionstagebücher, die Ehrlich einmal in der Woche auf seinem Blog postete. Wir dokumentieren hier die Texte, die im Rahmen von Writing under Observation entstanden sind.
*
Beim Blättern in den Werken Roman Ehrlichs finden sich neben dem Erzähltext allerlei interessante Fotografien, Grafiken und Symbole. Stets jedoch ‚fehlt‘ das Autorenportrait. Dies ist ganz im Sinne des Autors, der „[a]ls der, der diese Bücher geschrieben hat, [...] am liebsten hinter sie zurücktreten [würde]“[1]. Eine Forderung Ehrlichs ist es, die Buchdeckel-Biographien so kurz wie möglich zu halten; anstatt der Fotografie des Autors wünscht er sich das Bild eines Wischmopps[2]. Du sollst dir kein Bild vom Autor machen – ist das in Zeiten des Internets überhaupt möglich? Schließlich muss der Leser nicht lange recherchieren, um eine Vielzahl von Portraits Ehrlichs angezeigt zu bekommen. Und freilich entkommt auch sein Gesicht nicht Vermarktung und Öffentlichkeitsarbeit. Dennoch: Ehrlich erschwert es dem Leser, seine Autorpersona mit dem Werk zu verbinden, beziehungsweise erleichtert es, die Romane ganz für sich stehend zu betrachten. Na endlich, ein Autor, der Roland Barthes gelesen hat! Denn der französische Philosoph kritisiert in seinem Essay Der Tod des Autors die Zentriertheit des Kulturbetriebs auf die Person des Autors und möchte diesen aus der Werkinterpretation ausschließen. Ist Roman Ehrlich nun also tot? Oder zeigt seine Forderung nach dem Wischmopp suizidale Tendenzen? Wie behandelt man im Rahmen einer Observanz die Persönlichkeit des Autors?
Um sich diesem Problem zu nähern, müssen sowohl Aussagen Ehrlichs betrachtet sowie Theorien zur Autorenschaft hinzugezogen werden. Denn natürlich existiert der Autor – zumindest in diesem Falle – in Fleisch und Blut und kann Rede und Antwort stehen. Allerdings hat aber auch Barthes Idee die klassische ‚explication du texte‘ (mit der Autorenbiographie nämlich) abgelöst. Es ist wie so oft kompliziert; stante pede lässt sich unsere rhetorische Frage nun also doch nicht beantworten. Ganz so einfach macht es sich aber auch Barthes nicht, schließlich folgt dem Tod des Autors bei ihm zweierlei Geburt: die des Lesers und die des Schreibers. Denn anstatt dass der Autor zeitlich vor der Entstehung seines Buches, also in der Vergangenheit seines Textes, steht, installiert Barthes den Schreiber, der ausschließlich dann existiert, wenn er einen Text schreibt[3]. Somit wird die Textproduktion zum Performativ, bei dem der Schreiber aus dem Kanon der Literatur entnommene Teilstücke zu seinem eigenen Werk zusammenflickt. Doch dieses Performativ, „diese[r] Prozess der Arbeit am Roman“[4], entzieht sich den Lesenden, entzieht sich auch den Beobachtenden. Der Blick ist verschränkt durch Instanzen des Textes – der Produktionstagebücher Ehrlichs – und durch Instanzen der Inszenierung – Ehrlichs Auftritt als Landgastschreiber. In dieser Verklärung verweigert sich Ehrlich nun Barthes; der postmoderne Schreiber macht sich durch die Unmöglichkeit seiner Beobachtung wieder zum Autor. „[J]e mehr Reflexion passiert, desto langsamer geht es eigentlich voran“[5], sagt Ehrlich, der eben dieses Mäandern der Blicke und Gedanken zelebriert, statt es zu verschmähen. Seine Erfahrungen sollen erst später in Texte einfließen, dann wenn die „reflexive Ebene“ überwunden ist und der Autor „nicht genau zielt“ und „es nicht so sehr will“[6]. Nun ist es wohl doch Roland Barthes, der sich im Grab umdreht...
Mit Ehrlichs Aussagen deutlich kohärenter sind da die Gedanken des tschechischen Literaturtheoretikers Jan Mukařovský, der in Die Persönlichkeit in der Kunst das Verhältnis vom Autor zu seinem Kunstwerk verhandelt. Dieser sieht den Künstler als bewusst kunstschaffend, als jemanden, der ein Publikum, eine Leserschaft mitdenkt.[7] Genauso ergeht es auch Ehrlich, der stets eine gewisse Öffentlichkeit in seine Arbeit am Text hineindenkt – aktuell beim Bloggen, zuvor am Leipziger Literaturinstitut, früher gar beim Tagebuchschreiben. Auch will Mukařovský meinen, das Werk als Äußerung des Autors wahrzunehmen und diesen dadurch zu erfühlen.[8] So weit geht Roman Ehrlich jedoch nicht: dessen Geschichten hätten zwar mit seinen persönlichen Erfahrungen zu tun, als die Person, die er im Alltag ist, sei er jedoch nicht in seinen Büchern wiederzufinden. Auch möchte er nicht nur seine Gedanken darstellen oder von sich selbst sprechen; die Erzählung soll im Vordergrund stehen.[9] Privat will er ebenso wenig als ‚der Schriftsteller‘ erkannt werden und kämpft gegen das Klischee an: „Wer schreibt, wer einen Block dabei hat, ist verdächtig.“[10] Und auch dieser Essay verdächtigt Ehrlich. Denn so gern er sich hinter seinen Werken versteckt, so gern tritt er auch hervor; ganz Autorpersönlichkeit philosophiert er über das Schreiben, das für ihn „als eine Art Annäherung an die Wirklichkeit mit nochmal anderen Mitteln“[11] verstanden werden kann. Dieses Schreiben ist laut Ehrlich „Kernform des Erzählens [...] [und] des Arbeitens mit Sprache und mit Narrativen“[12]. Durch seine Arbeit am Text verarbeitet und reflektiert der Autor – dann eben doch recht klassisch – sein Erleben.
Da ist sie nun also doch, die Autorpersönlichkeit. Nicht ganz so greifbar wie Mukařovský sie in den 40er-Jahren wähnte, aber bei weitem nicht so tot wie die bis jetzt aktuelle Verabschiedung des Autors durch Foucault und Barthes es gerne hätte. Den postmodernen Autor schlichtweg nur als Leser zu betrachten wäre – gerade im Fall Ehrlichs – aus wissenschaftlicher Hinsicht als verschwenderisch zu betrachten. Zu reflektiert tritt er auf, zu bewusst ist ihm der Literaturbetrieb. Der „eitle[...] Jahrmarkt“[13] der Literaturwelt ist längst nicht mehr vom Text selbst zu trennen, warum sollte man den Autor aussperren. Gerade auch weil sich Autoren wie Ehrlich bewusst als Teil des Diskurses um die Literatur sehen und somit beispielsweise interessierte Blicke auf Rezensionen werfen. Was wurde aus dem Text entnommen? Was wurde von Rezensierenden hineininterpretiert? Manchmal versteht Ehrlich, so gesteht er, erst durch den Blick Anderer, was genau er ausdrücken wollte, manchmal ist er von Unverständnis frustriert. Am Ende des Tages akzeptiert er die Meinungen zu seinen Texten genauso wie auch seine Leserschaft seine Texte akzeptieren muss – irgendwo steht das Werk ja dann doch noch für sich.
Kompliziert wird es allerdings, sobald die Inszenierung eines Autors in seine Texte hineinwirkt und im Text Referenzen auf seinen Autor angelegt sind. Eben genau dies geschieht im ‚Landgastschreiber‘-Blog. Die Schwabenakademie hatte für Ehrlichs Besuch eine grobe Rolle vordefiniert: „Landgastschreiber zu sein bedeutet, zu einem Arbeitsaufenthalt nach Irsee zu kommen.“[14] Schon Ehrlichs erster Eintrag kennzeichnet sein Schreibtagebuch als Autofiktion und anstatt des Landgastschreibers bezeichnet er sich als ‚LGS‘ – effizient-großstädterhaft, innovativ-imageaufpolierend oder einfach schreibfaul? Ehrlichs Blog spielt mit seiner Leserschaft, wird von Beitrag zu Beitrag freier. Ganz essayistisch noch beginnt im ersten Bericht sein Aufenthalt mit einer Fahrt „zu B in den Schwarzwald“[15], doch schon bei der Rückkehr beginnt der Autor, den Ort um sich herum literarisch zu entrücken: Die Unterkunft am Hang bleibt, doch die Friedhofskirche St. Stephan wird ihm zur Grabeskirche, „über Mühlstraße und Via Dolorosa erreichbar“[16]. Im nächsten Beitrag soll sich dann das Sunset Boulevard an Irsee anschließen, nach Kaufbeuren führt der Pacific Coast Highway und die Waldwege schlängeln sich durch den Topanga State Park. Wenn er bei schlechtem Wetter das Haus nicht verlassen kann, transformiert sich dieses kurzerhand zu einem großen Stahlgebäude, in welchem auch Vladimir Nabokov und W. G. Sebald als Landgastschreiber (ja, ausgeschrieben) untergebracht sind. Zuletzt hebt Ehrlich in seiner Raumkapsel aus dem Allgäu gar ins Weltall ab.
Parallel zu dieser Verzeichnung des Ortes Irsee zur metafiktionalen Diegese stehen immer die beobachtenden Instanzen des Ortes und der Wissenschaft. Denn zu Ehrlichs Rolle als Landgastschreiber gehören auch Observationsgruppen der Universitäten Augsburg und Münchens. So trifft sich der LGS digital per Videotelefonat mit den Beobachtenden und muss Rede und Antwort stehen über seine Arbeit, über sein Leben, über seine Person. Demgemäß offenbart sich der Autor einerseits den Betrachtenden, andererseits entzieht er sich in seinen textuellen Berichten einem zu genauen Blick auf die Finger. Indem er seine Blogleser mal in Israel, mal in Kalifornien, mal am Baseler Spalentor wähnt, oszilliert auch die Observanz des Irsee-Ehrlichs. Seine ironischen Kommentare ringen folglich nicht nur mit der Schwere der Geste des Erzählens, sondern kämpfen auch gegen den Drang an, sich rechtfertigen zu müssen, ein Alibi abzugeben. Wo waren Sie, als Sie Kritik an einer Dorfgemeinschaft geübt haben?! Na in Jerusalem. Doch natürlich ist dies nicht Ehrlichs Versuch, seine Hände in Unschuld zu waschen, vielmehr handelt es sich hierbei um eine notwendige Befreiung von den beobachtenden Instanzen. Denn zurecht fragen die Texte des LGS, „ob ein Schreiben unter Beobachtung vom Leben handeln kann“[17]. Ebenso trifft der unter Beobachtung gefertigte Gedanke – wenn man der Autorinszenierung Ehrlichs Glauben schenken will – nie ins Schwarze, „weil ihn das Wollen vom Ziel abgelenkt hat“[18]. Auch dieser Zwang zum klugen Gedanken, den die Observanz erwirkt, macht es unmöglich, den Texterzeuger als Barthes’schen Schreiber zu betrachten; sobald jener beobachtet wird, ist er zwingend Autor und damit evidente Persönlichkeit. Kein Wunder also, dass Ehrlich den Wischmopp vorschieben will und sich hinter Meta- und Autofiktionalisierungen verbirgt. Sein letzter Eintrag bringt es auf den Punkt: „[W]enn etwas die Beobachtungen verfälscht, dann [die] Sorge um Sinn und Zweck des Beobachtens selbst.“[19] Diese Sorge stellt für das ‚Writing under Observation‘ ein Paradoxon ähnlich Schrödingers Katze dar – sobald das schreibende Objekt untersucht wird, manifestieren und inszenieren sich Funktionen des Autor-Seins und anstatt zu sterben wird der Autor wieder zum Subjekt. Deshalb nun die Augen zu verschließen, wäre ein Fehlschluss – ganz im Gegenteil muss bei der Observanz auch stets ein Augenmerk auf die Eigenheit der Situation gelegt werden. Um die Erkenntnisse der Arbeit am exponierten Objekt nützlich einzuordnen, ist also auch der Einblick als solcher zu hinterfragen, denn der Untersuchungsgegenstand changiert zwischen Schreiber und Autor sowie zwischen Persönlichkeit und Inszenierung.
[3] Vgl. Roland Barthes: „Der Tod des Autors.“, S. 189.
[7] Vgl. Jan Mukařovský: „Die Persönlichkeit in der Kunst.“, S. 68.
[8] Vgl. ebd., S. 71.
Barthes, Roland (2000): „Der Tod des Autors.“ In: Texte zur Theorie der Autorenschaft. Hg. v. Fotis Jannidis et al. Reclam, Stuttgart, S. 185-193.
Mukařovský, Jan (2000): „Die Persönlichkeit in der Kunst.“ In: Texte zur Theorie der Autorenschaft. Hg. v. Fotis Jannidis et al. Reclam, Stuttgart, S. 65-79.
Externe Links:Ein Essay über Autor und Autorschaft>
Das Projekt hieß Writing under Observation; eingeladen in die Klausur der Schwabenakademie Irsee war als Landgastschreiber der Autor Roman Ehrlich. Roman Ehrlich verbrachte von April bis Mai 2021 mehrere Wochen in Irsee. Eine in diesem Rahmen organisierte Lesung im Schloss Edelstetten kann hier als Video besichtigt werden.
Begleitet wurde Ehrlichs Aufenthalt von einem literaturwissenschaftlich-ethnologischen Seminar (LMU München und Universität Augsburg), in dem Roman Ehrlich in der Seminarsitzung wöchentlich Rede und Antwort stand. Zusätzlich führten die Teilnehmenden insgesamt fünf Observationsverhöre, die viele Themen umfassten, sich auf einzelne Seminarsitzungen bezogen und auf die sogenannten Produktionstagebücher, die Ehrlich einmal in der Woche auf seinem Blog postete. Wir dokumentieren hier die Texte, die im Rahmen von Writing under Observation entstanden sind.
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Beim Blättern in den Werken Roman Ehrlichs finden sich neben dem Erzähltext allerlei interessante Fotografien, Grafiken und Symbole. Stets jedoch ‚fehlt‘ das Autorenportrait. Dies ist ganz im Sinne des Autors, der „[a]ls der, der diese Bücher geschrieben hat, [...] am liebsten hinter sie zurücktreten [würde]“[1]. Eine Forderung Ehrlichs ist es, die Buchdeckel-Biographien so kurz wie möglich zu halten; anstatt der Fotografie des Autors wünscht er sich das Bild eines Wischmopps[2]. Du sollst dir kein Bild vom Autor machen – ist das in Zeiten des Internets überhaupt möglich? Schließlich muss der Leser nicht lange recherchieren, um eine Vielzahl von Portraits Ehrlichs angezeigt zu bekommen. Und freilich entkommt auch sein Gesicht nicht Vermarktung und Öffentlichkeitsarbeit. Dennoch: Ehrlich erschwert es dem Leser, seine Autorpersona mit dem Werk zu verbinden, beziehungsweise erleichtert es, die Romane ganz für sich stehend zu betrachten. Na endlich, ein Autor, der Roland Barthes gelesen hat! Denn der französische Philosoph kritisiert in seinem Essay Der Tod des Autors die Zentriertheit des Kulturbetriebs auf die Person des Autors und möchte diesen aus der Werkinterpretation ausschließen. Ist Roman Ehrlich nun also tot? Oder zeigt seine Forderung nach dem Wischmopp suizidale Tendenzen? Wie behandelt man im Rahmen einer Observanz die Persönlichkeit des Autors?
Um sich diesem Problem zu nähern, müssen sowohl Aussagen Ehrlichs betrachtet sowie Theorien zur Autorenschaft hinzugezogen werden. Denn natürlich existiert der Autor – zumindest in diesem Falle – in Fleisch und Blut und kann Rede und Antwort stehen. Allerdings hat aber auch Barthes Idee die klassische ‚explication du texte‘ (mit der Autorenbiographie nämlich) abgelöst. Es ist wie so oft kompliziert; stante pede lässt sich unsere rhetorische Frage nun also doch nicht beantworten. Ganz so einfach macht es sich aber auch Barthes nicht, schließlich folgt dem Tod des Autors bei ihm zweierlei Geburt: die des Lesers und die des Schreibers. Denn anstatt dass der Autor zeitlich vor der Entstehung seines Buches, also in der Vergangenheit seines Textes, steht, installiert Barthes den Schreiber, der ausschließlich dann existiert, wenn er einen Text schreibt[3]. Somit wird die Textproduktion zum Performativ, bei dem der Schreiber aus dem Kanon der Literatur entnommene Teilstücke zu seinem eigenen Werk zusammenflickt. Doch dieses Performativ, „diese[r] Prozess der Arbeit am Roman“[4], entzieht sich den Lesenden, entzieht sich auch den Beobachtenden. Der Blick ist verschränkt durch Instanzen des Textes – der Produktionstagebücher Ehrlichs – und durch Instanzen der Inszenierung – Ehrlichs Auftritt als Landgastschreiber. In dieser Verklärung verweigert sich Ehrlich nun Barthes; der postmoderne Schreiber macht sich durch die Unmöglichkeit seiner Beobachtung wieder zum Autor. „[J]e mehr Reflexion passiert, desto langsamer geht es eigentlich voran“[5], sagt Ehrlich, der eben dieses Mäandern der Blicke und Gedanken zelebriert, statt es zu verschmähen. Seine Erfahrungen sollen erst später in Texte einfließen, dann wenn die „reflexive Ebene“ überwunden ist und der Autor „nicht genau zielt“ und „es nicht so sehr will“[6]. Nun ist es wohl doch Roland Barthes, der sich im Grab umdreht...
Mit Ehrlichs Aussagen deutlich kohärenter sind da die Gedanken des tschechischen Literaturtheoretikers Jan Mukařovský, der in Die Persönlichkeit in der Kunst das Verhältnis vom Autor zu seinem Kunstwerk verhandelt. Dieser sieht den Künstler als bewusst kunstschaffend, als jemanden, der ein Publikum, eine Leserschaft mitdenkt.[7] Genauso ergeht es auch Ehrlich, der stets eine gewisse Öffentlichkeit in seine Arbeit am Text hineindenkt – aktuell beim Bloggen, zuvor am Leipziger Literaturinstitut, früher gar beim Tagebuchschreiben. Auch will Mukařovský meinen, das Werk als Äußerung des Autors wahrzunehmen und diesen dadurch zu erfühlen.[8] So weit geht Roman Ehrlich jedoch nicht: dessen Geschichten hätten zwar mit seinen persönlichen Erfahrungen zu tun, als die Person, die er im Alltag ist, sei er jedoch nicht in seinen Büchern wiederzufinden. Auch möchte er nicht nur seine Gedanken darstellen oder von sich selbst sprechen; die Erzählung soll im Vordergrund stehen.[9] Privat will er ebenso wenig als ‚der Schriftsteller‘ erkannt werden und kämpft gegen das Klischee an: „Wer schreibt, wer einen Block dabei hat, ist verdächtig.“[10] Und auch dieser Essay verdächtigt Ehrlich. Denn so gern er sich hinter seinen Werken versteckt, so gern tritt er auch hervor; ganz Autorpersönlichkeit philosophiert er über das Schreiben, das für ihn „als eine Art Annäherung an die Wirklichkeit mit nochmal anderen Mitteln“[11] verstanden werden kann. Dieses Schreiben ist laut Ehrlich „Kernform des Erzählens [...] [und] des Arbeitens mit Sprache und mit Narrativen“[12]. Durch seine Arbeit am Text verarbeitet und reflektiert der Autor – dann eben doch recht klassisch – sein Erleben.
Da ist sie nun also doch, die Autorpersönlichkeit. Nicht ganz so greifbar wie Mukařovský sie in den 40er-Jahren wähnte, aber bei weitem nicht so tot wie die bis jetzt aktuelle Verabschiedung des Autors durch Foucault und Barthes es gerne hätte. Den postmodernen Autor schlichtweg nur als Leser zu betrachten wäre – gerade im Fall Ehrlichs – aus wissenschaftlicher Hinsicht als verschwenderisch zu betrachten. Zu reflektiert tritt er auf, zu bewusst ist ihm der Literaturbetrieb. Der „eitle[...] Jahrmarkt“[13] der Literaturwelt ist längst nicht mehr vom Text selbst zu trennen, warum sollte man den Autor aussperren. Gerade auch weil sich Autoren wie Ehrlich bewusst als Teil des Diskurses um die Literatur sehen und somit beispielsweise interessierte Blicke auf Rezensionen werfen. Was wurde aus dem Text entnommen? Was wurde von Rezensierenden hineininterpretiert? Manchmal versteht Ehrlich, so gesteht er, erst durch den Blick Anderer, was genau er ausdrücken wollte, manchmal ist er von Unverständnis frustriert. Am Ende des Tages akzeptiert er die Meinungen zu seinen Texten genauso wie auch seine Leserschaft seine Texte akzeptieren muss – irgendwo steht das Werk ja dann doch noch für sich.
Kompliziert wird es allerdings, sobald die Inszenierung eines Autors in seine Texte hineinwirkt und im Text Referenzen auf seinen Autor angelegt sind. Eben genau dies geschieht im ‚Landgastschreiber‘-Blog. Die Schwabenakademie hatte für Ehrlichs Besuch eine grobe Rolle vordefiniert: „Landgastschreiber zu sein bedeutet, zu einem Arbeitsaufenthalt nach Irsee zu kommen.“[14] Schon Ehrlichs erster Eintrag kennzeichnet sein Schreibtagebuch als Autofiktion und anstatt des Landgastschreibers bezeichnet er sich als ‚LGS‘ – effizient-großstädterhaft, innovativ-imageaufpolierend oder einfach schreibfaul? Ehrlichs Blog spielt mit seiner Leserschaft, wird von Beitrag zu Beitrag freier. Ganz essayistisch noch beginnt im ersten Bericht sein Aufenthalt mit einer Fahrt „zu B in den Schwarzwald“[15], doch schon bei der Rückkehr beginnt der Autor, den Ort um sich herum literarisch zu entrücken: Die Unterkunft am Hang bleibt, doch die Friedhofskirche St. Stephan wird ihm zur Grabeskirche, „über Mühlstraße und Via Dolorosa erreichbar“[16]. Im nächsten Beitrag soll sich dann das Sunset Boulevard an Irsee anschließen, nach Kaufbeuren führt der Pacific Coast Highway und die Waldwege schlängeln sich durch den Topanga State Park. Wenn er bei schlechtem Wetter das Haus nicht verlassen kann, transformiert sich dieses kurzerhand zu einem großen Stahlgebäude, in welchem auch Vladimir Nabokov und W. G. Sebald als Landgastschreiber (ja, ausgeschrieben) untergebracht sind. Zuletzt hebt Ehrlich in seiner Raumkapsel aus dem Allgäu gar ins Weltall ab.
Parallel zu dieser Verzeichnung des Ortes Irsee zur metafiktionalen Diegese stehen immer die beobachtenden Instanzen des Ortes und der Wissenschaft. Denn zu Ehrlichs Rolle als Landgastschreiber gehören auch Observationsgruppen der Universitäten Augsburg und Münchens. So trifft sich der LGS digital per Videotelefonat mit den Beobachtenden und muss Rede und Antwort stehen über seine Arbeit, über sein Leben, über seine Person. Demgemäß offenbart sich der Autor einerseits den Betrachtenden, andererseits entzieht er sich in seinen textuellen Berichten einem zu genauen Blick auf die Finger. Indem er seine Blogleser mal in Israel, mal in Kalifornien, mal am Baseler Spalentor wähnt, oszilliert auch die Observanz des Irsee-Ehrlichs. Seine ironischen Kommentare ringen folglich nicht nur mit der Schwere der Geste des Erzählens, sondern kämpfen auch gegen den Drang an, sich rechtfertigen zu müssen, ein Alibi abzugeben. Wo waren Sie, als Sie Kritik an einer Dorfgemeinschaft geübt haben?! Na in Jerusalem. Doch natürlich ist dies nicht Ehrlichs Versuch, seine Hände in Unschuld zu waschen, vielmehr handelt es sich hierbei um eine notwendige Befreiung von den beobachtenden Instanzen. Denn zurecht fragen die Texte des LGS, „ob ein Schreiben unter Beobachtung vom Leben handeln kann“[17]. Ebenso trifft der unter Beobachtung gefertigte Gedanke – wenn man der Autorinszenierung Ehrlichs Glauben schenken will – nie ins Schwarze, „weil ihn das Wollen vom Ziel abgelenkt hat“[18]. Auch dieser Zwang zum klugen Gedanken, den die Observanz erwirkt, macht es unmöglich, den Texterzeuger als Barthes’schen Schreiber zu betrachten; sobald jener beobachtet wird, ist er zwingend Autor und damit evidente Persönlichkeit. Kein Wunder also, dass Ehrlich den Wischmopp vorschieben will und sich hinter Meta- und Autofiktionalisierungen verbirgt. Sein letzter Eintrag bringt es auf den Punkt: „[W]enn etwas die Beobachtungen verfälscht, dann [die] Sorge um Sinn und Zweck des Beobachtens selbst.“[19] Diese Sorge stellt für das ‚Writing under Observation‘ ein Paradoxon ähnlich Schrödingers Katze dar – sobald das schreibende Objekt untersucht wird, manifestieren und inszenieren sich Funktionen des Autor-Seins und anstatt zu sterben wird der Autor wieder zum Subjekt. Deshalb nun die Augen zu verschließen, wäre ein Fehlschluss – ganz im Gegenteil muss bei der Observanz auch stets ein Augenmerk auf die Eigenheit der Situation gelegt werden. Um die Erkenntnisse der Arbeit am exponierten Objekt nützlich einzuordnen, ist also auch der Einblick als solcher zu hinterfragen, denn der Untersuchungsgegenstand changiert zwischen Schreiber und Autor sowie zwischen Persönlichkeit und Inszenierung.
[3] Vgl. Roland Barthes: „Der Tod des Autors.“, S. 189.
[7] Vgl. Jan Mukařovský: „Die Persönlichkeit in der Kunst.“, S. 68.
[8] Vgl. ebd., S. 71.
Barthes, Roland (2000): „Der Tod des Autors.“ In: Texte zur Theorie der Autorenschaft. Hg. v. Fotis Jannidis et al. Reclam, Stuttgart, S. 185-193.
Mukařovský, Jan (2000): „Die Persönlichkeit in der Kunst.“ In: Texte zur Theorie der Autorenschaft. Hg. v. Fotis Jannidis et al. Reclam, Stuttgart, S. 65-79.