Observationsverhör mit Roman Ehrlich (1)

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Filmstill aus "7. Literarischer Salon auf Schloss Edelstetten - Roman Ehrlich" (c) Literaturschloss Edelstetten

Das Projekt hieß Writing under Observation; eingeladen in die Klausur der Schwabenakademie Irsee war als Landgastschreiber der Autor Roman Ehrlich. Roman Ehrlich verbrachte von April bis Mai 2021 mehrere Wochen in Irsee. Eine in diesem Rahmen organisierte Lesung im Schloss Edelstetten kann hier als Video besichtigt werden.

Begleitet wurde Ehrlichs Aufenthalt von einem literaturwissenschaftlich-ethnologischen Seminar (LMU München und Universität Augsburg), in dem Roman Ehrlich in der Seminarsitzung wöchentlich Rede und Antwort stand. Zusätzlich führten die Teilnehmenden insgesamt fünf Observationsverhöre, die viele Themen umfassten, sich auf einzelne Seminarsitzungen bezogen und auf die sogenannten Produktionstagebücher, die Ehrlich einmal in der Woche auf seinem Blog postete. Wir dokumentieren hier die Texte, die im Rahmen von Writing under Observation entstanden sind.

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„Es wird viel ums Fernsehen, um Film gehen, um eine andere Epoche, die 80er und 90er.“

Gespräch mit Kay Wolfinger am 14. April 2021

 

Wie unterscheidet sich Dein jetziger Aufenthalt in Irsee, den Du soeben begonnen hast, von den bisherigen Residenz-Aufenthalten, z.B. in den USA? Damals war ja keine Pandemie.

Ich habe das ja noch nicht sehr oft gemacht, diese Residenzen, und dann nur, wenn ich das Gefühl hatte, dass das was Besonderes ist, dass es mir tatsächlich hilft, an diesem Ort zu sein. Was Besonderes ist insofern, dass ich das Gefühl hatte, der Ort sagt mir was, mit dem würde ich gern in Austausch treten oder es ist eine Herausforderung der Lebensweise. Z.B. war ich ein Jahr in Basel mit einem Stipendium, von dem ich vorher gar nicht wusste, dass es existiert. Das wurde an mich herangetragen und dann bin ich dorthin gezogen und habe dann in Basel so eine zusätzliche Lebensformerfahrung gemacht. Ich habe dort gelebt und war trotzdem irgendwie der Gast, in einer Art Zwischenstadium. In L.A. war ich im ehemaligen Feuchtwanger-Haus mit seiner ganzen Exilgeschichte. Dann war ich in Hamburg im Haus Roger Willemsen. Aber ansonsten habe ich das kaum gemacht. Es gibt ja diesen Lebensentwurf bei Schreibenden, dass sie so oft wie möglich versuchen, solche Sachen zu machen und dann immer wieder Räume zu haben, in denen sie in Ruhe ihrer Arbeit nachgehen können. Und das ist ja auch das, was sich die meisten Stipendiengeber auf die Fahnen schreiben: Sie kriegen einen Raum, arbeiten da und wenn sie Glück haben, kommt am Ende was dabei raus, was sie irgendwie vorzeigen können. Das hier ist natürlich schon etwas anderes, mit der Beobachtung von Anfang an. Die Offenlegung der Prozesse des Schreibens beim Writing under Observation, das ist natürlich auch eine schwierige Sache. Es kann ja sein, dass da überhaupt nichts sichtbar wird, was irgendwie verwertbar ist, es kann sein, dass es etwas sehr Intimes ist, etwas sehr Banales, es hängt ja immer davon ab, wie die Person, die beobachtet wird, bereit ist, sich in diesen Prozessen darzustellen oder überhaupt sichtbar zu werden. Da bin ich auch bereit, dem selber nachzuspüren, was da passiert. Ich bin auch selber neugierig, erst einmal offen zu schauen.

 

Erwartest Du, dass die Beobachtungssituation Dein Arbeiten oder Schreiben beeinflusst, beeinflussen wird? Verändert es etwas, wenn man unter Beobachtung steht?

Ich glaube schon. Der Text, an dem ich gerade arbeite, soll aufgenommen werden in eine Anthologie, die heißt Neue Schule; sie ist von Leander Steinkopf  konzipiert worden, der mir geschrieben hat und meinte, er würde gern mich und einige andere dabei haben. Und er sei auf die Idee gekommen, weil er gemerkt habe, in der Schule, da sei eine große Neugier bei Jugendlichen für Literatur, dass Schüler*innen viele Fragen an die Literatur haben und dass er gern eine Anthologie machen würde, wo Schriftsteller*innen über Fragen der Jugend und des Aufwachsens schreiben. Also nicht zwingend Jugendliteratur, sondern Literatur auch für Erwachsene über diese Fragen der Jugend. So habe ich es zumindest verstanden und versprochen, damit so umzugehen. Da allein habe ich aber schon gemerkt, dass diese Vorstellung einer vermeintlich auch jugendlichen Leserschaft schon verändert, wie ich selber auf den Text schaue. Dass es nochmal eine andere Instanz gibt, die mir beim Schreiben über die Schulter schaut und fragt: Was ist denn jetzt mit diesem Satz, ist der jetzt nicht eigentlich zu kompliziert und kann man das nicht auch einfacher sagen und müsste man das nicht auch einfacher sagen? Dass das auch eine Anforderung an den Text ist, der natürlich hauptsächlich wie alle anderen Texte antritt, um ein schlüssiges Werk zu sein, auch sprachlich. Aber ich könnte mir durchaus vorstellen, dass die Situation, in der ich jetzt bin, einen ähnlichen Effekt hat – bei diesem Produktionstagebuch, das parallel zur Beobachtung entsteht. Es gibt ja beim Schreiben auch ohne konkrete Beobachtungsinstanzen immer dieses Tribunal, das aus den Büchern, die man gelesen hat, besteht und den Leuten, die man verehrt und denen man gern gefallen würde. Verschiedenste Urteile, die man imaginiert, die dann widerhallen und niedergerungen werden müssen, die ignoriert oder gehört werden müssen, wofür es ja auch kein allgemeingültiges Regelwerk gibt. Keine Handlungsanweisung, was dann das Richtige ist.

 

Wird es während Deines Schreibaufenthaltes auch noch ein größeres Projekt geben, das am Entstehen ist? Was darfst Du darüber schon verraten, thematisch?

Diese Erzählung, die so gut wie fertig ist, die ist schon Teil eines Romans. Sie wird nicht in dieser Form in den Roman einfließen, sondern noch überarbeitet werden müssen. Aber es ist auf jeden Fall ein Teilaspekt, ein Teilkomplex. Dieser Roman ist wirklich ganz am Anfang, so dass ich aufpassen muss, dass ich nicht zu viel vorwegnehme, was ich dann nicht mehr zurückholen kann, dass ich nicht so viel darüber spreche, dass es mir am Ende gar nicht mehr gehört. Viele Dinge muss man ja auch lang verteidigen vor dem Außen, bevor sie reif sind dafür. Es wird viel ums Fernsehen, um Film gehen, um eine andere Epoche, die 80er und 90er, in denen ich ja auch biografisch sehr viel ferngesehen habe und auch sehr viele Filme geschaut habe, die ich damals ausgeliehen habe aus einer Videothek in der gleichen Straße, in der ich aufgewachsen bin und die wir dann überspielt haben mit so einem alten Videorecorder, mit dem wir den Kopierschutz umgehen konnten. Ich hoffe, dass das jetzt verjährt ist... Aber es ist ja sowieso alles erfunden. Es gibt im Rahmen dieser Fiktion des Romans einen Wiederbesuch dieses Ortes und dieser Videothek, die aber inzwischen geschlossen hat wie alle Videotheken, die ja nicht mehr existieren. Es gibt aber noch diese Privatvideothek aus den überspielten Filmen, die dann so eine Art letztes Archiv ist, um noch zu versuchen, die Erinnerung dieser Zeit wieder zugänglich zu machen. Über das, was aufgezeichnet wurde. Über das eigentlich auch schon tote Medium der Videokassette wird dann eben versucht, diese Zeit wieder hervorzuholen.

 

Es geht ja auch in die Richtung der Fürchterlichen Tage des schrecklichen Grauens, das ist ja auch eigentlich ein Filmroman.

Das ist einfach auch ein Thema, das mich wahrscheinlich sehr interessiert: Die Verflechtung von Wirklichkeits-Empfindungen. Inwiefern kommt einem vielleicht sogar so eine Sitcom-Kulisse aus den 80ern wirklicher vor als eine Erinnerung aus dem eigenen Leben, aus der Zeit, weil vielleicht in den Kulissen so wahr gesprochen wurde, dass es einem unmittelbar eingeleuchtet hat, dass es eine viel wirklichere Empfindung war als eine andere ‚reale‘ Begegnung. Meine Erinnerung ist etwas, was ich als gleichwertig erzählbar empfinde, wie das Wiedererzählbare einer Filmszene oder eines gedanklichen Prozesses, den ich jemand anderem unterstelle. Es wird ja selten darüber gesprochen, was es für ein Wahnsinn ist, sich die gedanklichen Prozesse anderer auszudenken und sie niederzuschreiben, als wären sie Tatsachen. Und dann soll es ja im Buch auch noch um so eine Art politischer Bewusstseinsbildung gehen. Es gibt verschiedene Stränge, die da zusammenlaufen sollen in diesem Roman, und die Videothek ist so eine Art räumlicher Kernpunkt, die Gänge dieser Videothek und das dort Ausgestellte, die zu Hause gehorteten Filme und aufgezeichneten Serien, die Fragen danach, was man eigentlich behält und warum. Und von da aus werden dann auch wieder Geschichten erzählt.

 

Wenn Du für die nächsten Wochen in die Zukunft schauen könntest und Dir den idealen Schreibaufenthalt vorstellst, was würdest Du sagen, was machst Du dann täglich, wie schreibst Du an diesem Projekt? Verfasst Du, recherchierst Du, liest Du, sind es irgendwelche Skizzen, wie ist dieser Arbeitsprozess, für den Du jetzt in Irsee bist?

Tatsächlich möchte ich es genau so machen, als würde ich in Berlin an diesem Text sitzen. Ich würde anfangen, den Text zu schreiben mit dem, was es an Notizen schon gibt. Das ist auch nicht so wenig. Und gleichzeitig parallel in alle Kaninchenbauten einen Blick hinein werfen, nachverfolgen, noch einmal Dinge ankucken, nochmal Bücher lesen, Notizen machen. Wenn Du mich vor einem Jahr gefragt hättest, hätte ich gedacht, dass es jetzt schon mehr Text zum eigentlichen Roman gibt. Das hat nun aus verschiedenen Gründen alles ein bisschen länger gedauert. Meine Hoffnung ist aber schon, dass ich mit einigen Seiten vom Roman unterm Arm wieder abreise. Alles andere fände ich schade, dann wäre ich vielleicht doch gescheitert, wenn ich dazu nicht komme.

 

Du hast mir ja schon einmal erzählt, dass Du so eine eigene Mischform des Schreibens hast zwischen täglichen Notizen als Tagebuch, das Du von Hand schreibst, und an Texten, die Du tippst oder abtippst. Kannst Du dazu noch was sagen? Was notierst Du tatsächlich von Hand und schreibst Du den Text dann gleich in die Tastatur?

Es ist tatsächlich so eine Mischung. Es kommt auch vor, dass ich Sachen, die ich schon in den Computer getippt habe, nochmals ins Notizbuch per Hand übertrage, weil ich dann auch mit den Notizen wieder irgendwo hingehe und nur die dabeihabe oder eben denke, dass das auch gedanklich zueinander gehört und beieinander stehen muss. Dann bewirkt das nochmalige Aufschreiben auch, dass man auf diese Weise, in diesen Gedanken weiterschreibt. Sätze, die man vielleicht schon vor längerer Zeit formuliert hat, nochmal aufzuschreiben, führen dazu, dass andere, verwandte Sätze nachfolgen. So entsteht ein Mehrfach-Kopierverfahren, bei dem dann natürlich auch immer wieder schrittweise verfremdet wird. Im Computer gibt es tagebuchähnliche Dateien, Mitschriften der Arbeit und Manuskriptfassungen in sauberer Form. Aber für jeden Text gibt es auch eine größere Sudeldatei, in die alles gepackt wird, was irgendwie damit zu tun hat, in die auch Abschriften aus anderen Büchern reinkommen und die eben auch sehr stark aus dem Notizbuch gespeist wird.

 

Das System klingt sehr systematisch, aber auch nach einem System, wo man gar keinen Überblick mehr hat?

Es gibt schon die konstante Angst, die Dinge dann auch irgendwo zu verlieren. Also es ist dann auch so, dass ich immer mal denke: Ich hatte doch eigentlich hierzu schon so ausformulierte Sätze an einem anderen Ort. Dann muss ich durch die Notizbücher und Dateien und oft gibt es diese sehr frustrierenden Momente, wo das nicht mehr gefunden wird, wo man dann anfängt, an sich selbst zu zweifeln: Hat es das tatsächlich gegeben oder habe ich mir das ausgedacht? Wünsche ich mir nur, dass ich das schon mal auf eine richtige Weise formuliert habe? Es ist leider nicht so systematisch, wie es sich anhört. Und gleichzeitig gibt es auch immer wieder das Gefühl, dass ja nicht alles festgehalten und veröffentlicht werden muss. Es sind ja doch nur Gedanken. Und manchmal ist es doch schöner, wenn man an einem offenen Fenster sitzt und ein Instrument spielt und die Musik weht so nach draußen und keiner zeichnet das auf.

 

Im Seminar werden wir uns in den nächsten Wochen auch mit Deinem jüngsten Roman mit Deinem Leben beschäftigen. Wie bist Du denn im letzten Jahr [2020, Anm. d. Red.] zurechtgekommen? Es war sicher kein einfaches Jahr, das erste Jahr der Pandemie. Welche Stelle nimmt der Roman in Deinem Gesamtwerk eigentlich ein? Denkst Du da noch weiter oder denkst Du, dass das abgeschlossen ist?

Ich glaube, er ist insofern abgeschlossen, als ich jetzt versuche, weiter zu gehen und das Nächste zu machen. Das Nächste wird sich auf jeden Fall auch wieder aus allem speisen, was davor kam, es wird sicherlich Zitate aus dem Roman geben, die auch in den nächsten wieder einfließen, es wird wiederkehrende Themen geben. Man kann sich ja auch gar nicht für so viele verschiedene Dinge interessieren, dass immer komplett verschiedene Bücher daraus entstehen würden. Es ist eher so, dass alle Texte etwas Grundsätzliches gemeinsam mit sich führen. Und so richtig fertig sind die Bücher eh nie. Irgendwann müssen sie halt abgeschlossen werden, weil sie sonst auch niemals zu Büchern werden können. Ich bin nicht unzufrieden damit, wie das Malé-Buch am Ende geworden ist und wie es in die Welt gekommen ist. Sicherlich wäre alles etwas anders gelaufen, wenn es eine andere Zeit gewesen wäre. Letztes Jahr gab es ja zwei Bücher, die in die Pandemie hineinveröffentlicht wurden, in diese Hochphasen, was schon sehr absurd ist. Schade natürlich, wenn dann nicht die Aufmerksamkeit da ist, die man sich wünscht. Aber mit der Aufmerksamkeit ist es ja sowieso immer so eine Sache. Noch begleitet mich die Arbeit mit dem Buch auch noch und wird mich weiter begleiten. Es haben auch noch nicht alle Veranstaltungen stattgefunden, immer mal wieder wird etwas nachgeholt und das Gespräch über das Buch, an dem ich auch selbst teilhabe, ist damit noch nicht zu Ende.

 

Roman Ehrlich hat also Lust auf dieses Experiment in Irsee, was immer da jetzt auch entstehen wird an Diskursen der Studierenden.

Ich bin auf jeden Fall neugierig, was sich ergibt. Der Ausgang ist absolut offen. Darüber hatten wir ja auch gesprochen. Es interessiert mich, aber ich kann nicht vorhersagen, was zu sehen sein wird.

 

Mal schauen, was die Studierenden daraus machen, die müssen ja irgendwas produzieren, auch über Texte, die es schon gibt, da sind sie auch ganz frei in der Themenwahl. Mal schauen, ob sie mit dieser Freiheit überhaupt umgehen können.

Ja, das kann ja auch ein schweres Los sein.