Der Ruf
Unabhängige Blätter einer jungen Generation
1946 gegründet, kommt der Zeitschrift „Der Ruf – unabhängige Blätter einer jungen Generation“ mit einer Auflagenhöhe von bis zu 70.000 Exemplaren in der Nachkriegszeit eine große Bedeutung zu. Sie ist eines der ersten Sprachorgane der jungen Intellektualität in der neuen westdeutschen Demokratie. Die Herausgeber und Schreibenden sehen sich selbst als „politisch engagierte Publizisten mit literarischen Ambitionen“. Inhaltlich beschäftigt sich Der Ruf mit kulturpolitischen Themen. Artikel zum Wiederaufbau, zu den Heimkehrern, zu Gefangenenlagern etc. verarbeiten Kriegserlebnisse und spiegeln Bedürfnisse und Sorgen der Nachkriegsgeneration. Ein Beispiel aus der 6. Ausgabe, S. 7:
Die Kunde erreicht uns, daß die Bauern eines bayerischen Kreises eine wahrhaft elegante Art gefunden haben, um ihren Teil zur Lösung der Flüchtlingsfrage beizusteuern, indem sie die „lästigen Eindringlinge” kurzerhand der Hexerei bezichtigen. Zahllose Frauen unter den Ausgewiesenen, begabt mit dem „bösen Blick”, behexen nun nach Herzenslust, sozusagen nach alter Mütter-Sitte, den bäuerlich-bayerischen Viehbestand. Man raunt es von Hof zu Hof. Und man schließt die Tore fester. [...] Eine Bäuerin wurde bereits in ein Sanatorium eingeliefert, da sie der Ansturm so vieler Hexen um den Verstand zu bringen drohte.
Aber auch die politische Rolle und Neurorientierung Deutschlands wird diskutiert. Der Herausgeber Hans Werner Richter vertritt die Idee des „sozialistischen Humanismus“: Deutschland solle die Brücke zwischen Ost und West schlagen und das Beste von Sozialismus und Demokratie in sich vereinen. Das beinhaltet für ihn die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, kultureller Offenheit und der grundsätzlichen Bereitschaft zur Opposition.
Im Ruf werden aber auch Gedichte und Romanauszüge gedruckt, solange sie politisch oder kulturpolitisch ausgerichtet sind, wie zum Beispiel Günter Eichs Gedichte aus dem Lager. Ein Auszug aus dem Gedicht „Pfannkuchenrezept“, gedruckt in der 7. Ausgabe auf S. 12:
Die Trockenmilch der Firma Harrison Brothers, Chikago,
das Eipulver von Walkers, Merrymaker & Co., Kingstown, Alabama,
das von der deutschen Campführung nicht unterschlagene Mehl
und die Zuckerration von drei Tagen
ergeben, gemischt mit dem gut gechlorten Wasser des Altvaters Rhein,
einen schönen Pfannkuchenteig.
Man brate ihn in der Schmalzportion für acht Mann
auf dem Deckel einer Konservenbüchse und über dem Feuer
von lange gedörrtem Gras.
Wenn ihr ihn dann gemeinsam verzehrt,
jeder sein Achtel,
dann spürt ihr, wenn er auf der Zunge zergeht,
in einer üppigen Sekunde das Glück der geborgenen Kindheit [...].
Für den Ruf schreiben Autorinnen und Autoren wie Bertolt Brecht, Ilse Schneider-Lengyel, Wolfgang Borchert, Karl Krolow oder Walter Kolbenhoff. Alfred Andersch und, ab der vierten Ausgabe, Hans Werner Richter sind die ersten Herausgeber der Zeitschrift, die im Nymphenburger Verlag München zweimal im Monat erscheint. Durch die kritische Haltung zur amerikanischen Besatzung und der sozialistischen Grundhaltung der Zeitschrift bekommt Der Ruf bald Probleme mit der amerikanischen Zensurbehörde und wird im April 1947 verboten. Andersch und Richter müssen die Konsequenzen ziehen und die Zeitschrift verlassen. Unter neuer Herausgeberschaft durch Walter von Cube kann Der Ruf ab Januar 1948 bis zu seiner endgültigen Einstellung 1949 wieder erscheinen.
Das Aus für Richter beim Ruf gilt als die Geburtsstunde der Gruppe 47, die sich parallel zur Konzeption seines Nachfolgeprojekts, der Zeitschrift Skorpion entwickelt. Richter sagt später, dass der Geist des alten Ruf in der Gruppe 47 weiterlebt. Aus der politischen Publizistik abgedrängt, habe die Gruppe 47 „die fehlende Zeitschrift als Kristallisationspunkt durch das Gespräch, durch Kritik und Diskussion ersetzt.“
Der Ruf
Unabhängige Blätter einer jungen Generation
1946 gegründet, kommt der Zeitschrift „Der Ruf – unabhängige Blätter einer jungen Generation“ mit einer Auflagenhöhe von bis zu 70.000 Exemplaren in der Nachkriegszeit eine große Bedeutung zu. Sie ist eines der ersten Sprachorgane der jungen Intellektualität in der neuen westdeutschen Demokratie. Die Herausgeber und Schreibenden sehen sich selbst als „politisch engagierte Publizisten mit literarischen Ambitionen“. Inhaltlich beschäftigt sich Der Ruf mit kulturpolitischen Themen. Artikel zum Wiederaufbau, zu den Heimkehrern, zu Gefangenenlagern etc. verarbeiten Kriegserlebnisse und spiegeln Bedürfnisse und Sorgen der Nachkriegsgeneration. Ein Beispiel aus der 6. Ausgabe, S. 7:
Die Kunde erreicht uns, daß die Bauern eines bayerischen Kreises eine wahrhaft elegante Art gefunden haben, um ihren Teil zur Lösung der Flüchtlingsfrage beizusteuern, indem sie die „lästigen Eindringlinge” kurzerhand der Hexerei bezichtigen. Zahllose Frauen unter den Ausgewiesenen, begabt mit dem „bösen Blick”, behexen nun nach Herzenslust, sozusagen nach alter Mütter-Sitte, den bäuerlich-bayerischen Viehbestand. Man raunt es von Hof zu Hof. Und man schließt die Tore fester. [...] Eine Bäuerin wurde bereits in ein Sanatorium eingeliefert, da sie der Ansturm so vieler Hexen um den Verstand zu bringen drohte.
Aber auch die politische Rolle und Neurorientierung Deutschlands wird diskutiert. Der Herausgeber Hans Werner Richter vertritt die Idee des „sozialistischen Humanismus“: Deutschland solle die Brücke zwischen Ost und West schlagen und das Beste von Sozialismus und Demokratie in sich vereinen. Das beinhaltet für ihn die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, kultureller Offenheit und der grundsätzlichen Bereitschaft zur Opposition.
Im Ruf werden aber auch Gedichte und Romanauszüge gedruckt, solange sie politisch oder kulturpolitisch ausgerichtet sind, wie zum Beispiel Günter Eichs Gedichte aus dem Lager. Ein Auszug aus dem Gedicht „Pfannkuchenrezept“, gedruckt in der 7. Ausgabe auf S. 12:
Die Trockenmilch der Firma Harrison Brothers, Chikago,
das Eipulver von Walkers, Merrymaker & Co., Kingstown, Alabama,
das von der deutschen Campführung nicht unterschlagene Mehl
und die Zuckerration von drei Tagen
ergeben, gemischt mit dem gut gechlorten Wasser des Altvaters Rhein,
einen schönen Pfannkuchenteig.
Man brate ihn in der Schmalzportion für acht Mann
auf dem Deckel einer Konservenbüchse und über dem Feuer
von lange gedörrtem Gras.
Wenn ihr ihn dann gemeinsam verzehrt,
jeder sein Achtel,
dann spürt ihr, wenn er auf der Zunge zergeht,
in einer üppigen Sekunde das Glück der geborgenen Kindheit [...].
Für den Ruf schreiben Autorinnen und Autoren wie Bertolt Brecht, Ilse Schneider-Lengyel, Wolfgang Borchert, Karl Krolow oder Walter Kolbenhoff. Alfred Andersch und, ab der vierten Ausgabe, Hans Werner Richter sind die ersten Herausgeber der Zeitschrift, die im Nymphenburger Verlag München zweimal im Monat erscheint. Durch die kritische Haltung zur amerikanischen Besatzung und der sozialistischen Grundhaltung der Zeitschrift bekommt Der Ruf bald Probleme mit der amerikanischen Zensurbehörde und wird im April 1947 verboten. Andersch und Richter müssen die Konsequenzen ziehen und die Zeitschrift verlassen. Unter neuer Herausgeberschaft durch Walter von Cube kann Der Ruf ab Januar 1948 bis zu seiner endgültigen Einstellung 1949 wieder erscheinen.
Das Aus für Richter beim Ruf gilt als die Geburtsstunde der Gruppe 47, die sich parallel zur Konzeption seines Nachfolgeprojekts, der Zeitschrift Skorpion entwickelt. Richter sagt später, dass der Geist des alten Ruf in der Gruppe 47 weiterlebt. Aus der politischen Publizistik abgedrängt, habe die Gruppe 47 „die fehlende Zeitschrift als Kristallisationspunkt durch das Gespräch, durch Kritik und Diskussion ersetzt.“