Religiöse Erziehung
Lion Feuchtwanger wurde in eine wohlhabende jüdisch-orthodoxe Fabrikantenfamilie hineingeboren. Sein Großvater Elkan Feuchtwanger hatte Mitte des 19. Jahrhunderts am Stadtrand von München eine Margarinefabrik gegründet, die bald von Niederlassungen im Ausland ergänzt wurde. Finanziell war die Familie abgesichert und lebte im Wohlstand. Lion Feuchtwangers Vater Sigmund war ein Kenner der jüdischen Kultur und Geschichte und ein großer Sammler althebräischer Werke. Der Biograf Wilhelm von Sternburg berichtet, die Familie habe eine Lithographie besessen, die Lessing, Lavater und Moses Mendelssohn beim Schachspiel zeigte. Anhand dieses Bildes habe der Vater seinen Kindern immer wieder die Ringparabel aus Lessings Nathan der Weise erzählt. Die Mutter Johanna erzog ihre Kinder mit Strenge und war auf die Einhaltung der Regeln der Orthodoxie bedacht.
In seinem Aufsatz Aus meinem Leben schreibt Lion Feuchtwanger, er habe täglich um fünf Uhr zur Bibelstunde gehen müssen. In der Schule sei er als Hebräer unter den Katholiken ein Außenseiter gewesen, den man verspottet habe, wenn er mit den Stigmen der Orthodoxie angetroffen wurde.
Meine Eltern hielten darauf, dass ich die umständlichen, mühevollen Riten rabbinischen Judentums, die auf Schritt und Tritt ins tägliche Leben eingreifen, minutiös befolgte. Die strenge Einhaltung der Speisegesetze und der Sabbatgesetze, die vielen langen, täglich zu verrichtenden Gebete, der sehr häufige Synagogenbesuch, die zahllosen umständlichen Gebräuche spannten das Leben in einen verzweifelt engen Rahmen. Auch musste ich unter Leitung eines Privatlehrers täglich mindestens eine Stunde dem Studium der hebräischen Bibel und des aramäischen Talmuds widmen.
Schon im Alter von zehn Jahren seien in ihm Zweifel an dem Sinn der Riten, die ihn zum Sonderling stempelten, aufgetaucht, denn er fühlte sich nicht als gläubiger Jude – das doktrinäre Elternhaus war nicht seine Welt. Doch der gebildete, feinsinnige Vater reagierte in diesem Fall wie die rigide engherzige Mutter.
Sein strenges Festhalten an den Bräuchen und sein unerbittliches Verlangen, dass auch ich sie befolgte, führte zu ständigen Zwistigkeiten.
(Aus meinem Leben, zit. n. Jaretzky, Reinhold [1984]: Lion Feuchtwanger. Rowohlt Verlag, Reinbek, S. 12ff.)
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Lion Feuchtwanger wurde in eine wohlhabende jüdisch-orthodoxe Fabrikantenfamilie hineingeboren. Sein Großvater Elkan Feuchtwanger hatte Mitte des 19. Jahrhunderts am Stadtrand von München eine Margarinefabrik gegründet, die bald von Niederlassungen im Ausland ergänzt wurde. Finanziell war die Familie abgesichert und lebte im Wohlstand. Lion Feuchtwangers Vater Sigmund war ein Kenner der jüdischen Kultur und Geschichte und ein großer Sammler althebräischer Werke. Der Biograf Wilhelm von Sternburg berichtet, die Familie habe eine Lithographie besessen, die Lessing, Lavater und Moses Mendelssohn beim Schachspiel zeigte. Anhand dieses Bildes habe der Vater seinen Kindern immer wieder die Ringparabel aus Lessings Nathan der Weise erzählt. Die Mutter Johanna erzog ihre Kinder mit Strenge und war auf die Einhaltung der Regeln der Orthodoxie bedacht.
In seinem Aufsatz Aus meinem Leben schreibt Lion Feuchtwanger, er habe täglich um fünf Uhr zur Bibelstunde gehen müssen. In der Schule sei er als Hebräer unter den Katholiken ein Außenseiter gewesen, den man verspottet habe, wenn er mit den Stigmen der Orthodoxie angetroffen wurde.
Meine Eltern hielten darauf, dass ich die umständlichen, mühevollen Riten rabbinischen Judentums, die auf Schritt und Tritt ins tägliche Leben eingreifen, minutiös befolgte. Die strenge Einhaltung der Speisegesetze und der Sabbatgesetze, die vielen langen, täglich zu verrichtenden Gebete, der sehr häufige Synagogenbesuch, die zahllosen umständlichen Gebräuche spannten das Leben in einen verzweifelt engen Rahmen. Auch musste ich unter Leitung eines Privatlehrers täglich mindestens eine Stunde dem Studium der hebräischen Bibel und des aramäischen Talmuds widmen.
Schon im Alter von zehn Jahren seien in ihm Zweifel an dem Sinn der Riten, die ihn zum Sonderling stempelten, aufgetaucht, denn er fühlte sich nicht als gläubiger Jude – das doktrinäre Elternhaus war nicht seine Welt. Doch der gebildete, feinsinnige Vater reagierte in diesem Fall wie die rigide engherzige Mutter.
Sein strenges Festhalten an den Bräuchen und sein unerbittliches Verlangen, dass auch ich sie befolgte, führte zu ständigen Zwistigkeiten.
(Aus meinem Leben, zit. n. Jaretzky, Reinhold [1984]: Lion Feuchtwanger. Rowohlt Verlag, Reinbek, S. 12ff.)