Heimliches Tagebuch

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Joachim Lutz: Kriegsweihnachten 1943

Seine Erlebnisse im Konzentrationslager notierte Gross unter Lebensgefahr heimlich in sein Tagebuch. Um nicht entdeckt zu werden, sah er sich immer wieder gezwungen, Teile seiner Aufzeichnungen zu verbrennen. Einzig die Eintragungen vom 2. November 1943 bis zum 22. Dezember 1944 konnte er aus dem Lager herausschmuggeln.

26. Dezember

Heute ist Stephanstag; es dunkelt schon, Weihnachten 1943 ist bald vorüber. Draußen im Lager ist schon allenthalben gearbeitet worden. Ja, war denn überhaupt Weihnacht? Einige Anzeichen sprechen dafür, so die schlanke Tanne, die wie ein Paradiesengel die Türe bewacht zu unserer Stube, welche allerdings nichts von einem Paradiese an sich hat. Die glänzenden Kugeln in den herrlich satten roten, blauen, gelben und grünen Farben fehlen vollständig. Auch Weihnachtsglocken ließen sich nicht hören, weder fern noch nah. Einige Fetzchen aus Krippenliedern, von einer schätternden Mundharfe gespielt, hingen zuweilen in der Luft. Die Deutschen, kaum ein Dutzend in der Stube, versammelten sich am Ofen und stimmten ihr „Stille Nacht“ an und „O du fröhliche“. Über die Weihnachtsbotschaft herrschte tödliches Schweigen.

(S. 160f.)

In seinen Aufzeichnungen beschrieb er auch, welchen Stellenwert Bücher, die Literatur, in der Hölle des Konzentrationslagers hatten. Oftmals wurde als Strafmaßnahme eine mehrtägige Büchersperre verhängt, die die Gefangenen bitter entbehren mussten: „Ja, wahre Lieblinge seid ihr uns geworden, ihr Tröster unserer Einsamkeit! Ihr einzigen Besucher, denen es erlaubt ist, sich zu den Verarmten und Verfemten zu gesellen, die nicht müde werden, uns Worte voll Ermutigung, Kraft und Beherztheit ins Ohr zu flüstern! Ihr neigt euch zu den Tiefen unserer Verlassenheit herunter und zögert nicht, uns in die Höhen eures Lichts hinaufzuheben.(S. 176)

Nach fast sechs Jahren Lagerhaft wurde Karl Adolf Gross am 29. April 1945 von der 7. US-Armee befreit.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl