Jagdszenen
In der Nachkriegszeit wird die trügerische Ruhe in dem niederbayerischen Dorf Reinöd gestört: Abram, der wegen homosexueller Delikte im Landshut inhaftiert war, hat seine Gefängnisstrafe verbüßt und kehrt zu seiner Mutter zurück. Auch Barbara ist eine Außenseiterin, die als Tagelöhnerin arbeitet, von den Dorfbewohnern gemieden wird und nach Anerkennung sehnt.
Barbara: Warum hast du keine Arbeit? Warum denn nicht? Du hast es nicht versucht, wahrscheinlich! Ich hab fest angenommen, dass du eine hast. Hör Abram, du musst weg aus dem Dorf. Die Leute reden über dich.
Du willst also dableiben. Es ist immer dasselbe mit dir. Eines Tages bist du weg, und dann zeigen die Leut mit dem Finger auf mich: Die ist die Mutter von dem. Und dann weiß ich, dass du wieder eine von deinen Schweinereien gemacht hast. Und ich hab die Blicke im Rücken, immer, bis ich in ein anderes Dorf gehe. Und immer findest du mich wieder, und es ist immer dasselbe. Und jetzt ist es wieder soweit.
(Martin Sperr: Bayerische Trilogie [Jagdszenen aus Niederbayern]. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1972, S. 17)
Als Abram auf seinem Recht besteht, im Dorf zu bleiben, widerspricht ihm die Mutter vehement: „Man hat kein Recht, wenn man gegen die Natur lebt.“ Sie habe versucht, ihn zu einem anständigen Menschen zu erziehen – vergebens. Abram wehrt sich seinerseits mit Vorwürfen: Die Mutter sei nicht für ihn da gewesen, als er sie brauchte und habe verhindert, dass er mit anderen Kindern spielte. Auch als er älter wurde, habe sie ihn von Gleichaltrigen ferngehalten.
Barbara: Da hab ich dich nicht tanzen gehen lassen und da hast du dann deine Schweinereien mit den Burschen machen müssen – daran bin ich auch schuld, ich weiß schon. Ich bin überall schuld. [...] Abram: Warum erzählst du zum Beispiel überall, dass ich ihm Gefängnis war? Wo – wo soll ich denn bloß hin? Wohin denn? Wenn nirgends Arbeit ist und überhaupt. Was hast du davon, wenns die Leut wissen? Barbara: Ich hoff, sie schlagen dich solang, bis du freiwillig gehst, ich hoff, sie schlagen dich aus dem Dorf hinaus. Vielleicht schlagen sie dich auch tot. Und ich wünsch mirs, dass sie dich totschlagen. Da im Dorf ists noch nicht wie in der Stadt, wo man das modern findet: Ich weiß bestimmt, dass sie was gegen dich haben, die Leut –
(Ebda., S. 19)
Weitere Kapitel:
In der Nachkriegszeit wird die trügerische Ruhe in dem niederbayerischen Dorf Reinöd gestört: Abram, der wegen homosexueller Delikte im Landshut inhaftiert war, hat seine Gefängnisstrafe verbüßt und kehrt zu seiner Mutter zurück. Auch Barbara ist eine Außenseiterin, die als Tagelöhnerin arbeitet, von den Dorfbewohnern gemieden wird und nach Anerkennung sehnt.
Barbara: Warum hast du keine Arbeit? Warum denn nicht? Du hast es nicht versucht, wahrscheinlich! Ich hab fest angenommen, dass du eine hast. Hör Abram, du musst weg aus dem Dorf. Die Leute reden über dich.
Du willst also dableiben. Es ist immer dasselbe mit dir. Eines Tages bist du weg, und dann zeigen die Leut mit dem Finger auf mich: Die ist die Mutter von dem. Und dann weiß ich, dass du wieder eine von deinen Schweinereien gemacht hast. Und ich hab die Blicke im Rücken, immer, bis ich in ein anderes Dorf gehe. Und immer findest du mich wieder, und es ist immer dasselbe. Und jetzt ist es wieder soweit.
(Martin Sperr: Bayerische Trilogie [Jagdszenen aus Niederbayern]. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1972, S. 17)
Als Abram auf seinem Recht besteht, im Dorf zu bleiben, widerspricht ihm die Mutter vehement: „Man hat kein Recht, wenn man gegen die Natur lebt.“ Sie habe versucht, ihn zu einem anständigen Menschen zu erziehen – vergebens. Abram wehrt sich seinerseits mit Vorwürfen: Die Mutter sei nicht für ihn da gewesen, als er sie brauchte und habe verhindert, dass er mit anderen Kindern spielte. Auch als er älter wurde, habe sie ihn von Gleichaltrigen ferngehalten.
Barbara: Da hab ich dich nicht tanzen gehen lassen und da hast du dann deine Schweinereien mit den Burschen machen müssen – daran bin ich auch schuld, ich weiß schon. Ich bin überall schuld. [...] Abram: Warum erzählst du zum Beispiel überall, dass ich ihm Gefängnis war? Wo – wo soll ich denn bloß hin? Wohin denn? Wenn nirgends Arbeit ist und überhaupt. Was hast du davon, wenns die Leut wissen? Barbara: Ich hoff, sie schlagen dich solang, bis du freiwillig gehst, ich hoff, sie schlagen dich aus dem Dorf hinaus. Vielleicht schlagen sie dich auch tot. Und ich wünsch mirs, dass sie dich totschlagen. Da im Dorf ists noch nicht wie in der Stadt, wo man das modern findet: Ich weiß bestimmt, dass sie was gegen dich haben, die Leut –
(Ebda., S. 19)