Entzauberung einer Idylle
Tannöd fasziniert nicht nur durch seine sprachliche Intensität, sondern auch durch die ungewöhnliche Form. Der Roman ist eine Collage aus Zeugenaussagen, Reflexionen, Gedanken der Opfer und des Täters. Ständig ändert sich die Perspektive. Wenn man das Mosaik zusammensetzt entsteht eine eindringliche Charakteristik der Nachkriegsjahre in einer vermeintlich idyllischen ländlichen Welt: Gewalt, Hass, Verrat, Inzest, Missbrauch, Bigotterie sind an der Tagesordnung.
Die Autorin Andrea Maria Schenkel berichtet, sie sei als einziges Kind weit und breit in einem Miethaus in Kumpfmühl bei Regensburg aufgewachsen und habe den alten Leuten gespannt zugehört, wenn sie ihre Geschichten erzählten. Daher rühre ihre genaue Kenntnis der Atmosphäre der 1950er-Jahre. Nachdem sie auf Seite 3 der Süddeutschen Zeitung einen Artikel über den mehrfachen Mord von Hinterkaifeck gelesen hatte, begann sie mit der Recherche. Die grauenvolle Tat, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnte, ließ ihr keine Ruhe. Doch als sie mit dem Schreiben begann, ließ sie die Fakten weitgehend außer Acht, um in ihrer Phantasie freier zu sein. Dabei löst sie sich so weit von den Tatsachen, dass sie den Täter erfindet und ihm eine Stimme gibt:
Warum bringt einer alle um? Warum tötet er, was er liebt? Anna, nur was man liebt, kann man auch töten. Weißt du, Anna, was in den Köpfen der Menschen vor sich geht? Weißt du das? Kannst du in die Köpfe, in die Herzen schauen? Eingesperrt war ich doch mein ganzes Leben, eingesperrt. Und auf einmal öffnet sich mir eine neue Welt , ein neues Leben, Weißt du, wie das ist? Ich sage dir, jeder ist einsam sein ganzes Leben lang. Alleine ist er, wenn er zur Welt kommt, und alleine stirbt er. Und dazwischen, gefangen war ich in meinem Körper, gefangen in meinem Verlangen. Ich sage dir, es gibt keinen Gott auf dieser Welt, es gibt nur die Hölle. Und sie ist hier auf Erden in unseren Köpfen, in unseren Herzen. Der Dämon sitzt in jedem und jeder kann seinen Dämon jederzeit herauslassen.
(Andrea Maria Schenkel: Tannöd. btb Verlag, München 2008, S. 124)
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Tannöd fasziniert nicht nur durch seine sprachliche Intensität, sondern auch durch die ungewöhnliche Form. Der Roman ist eine Collage aus Zeugenaussagen, Reflexionen, Gedanken der Opfer und des Täters. Ständig ändert sich die Perspektive. Wenn man das Mosaik zusammensetzt entsteht eine eindringliche Charakteristik der Nachkriegsjahre in einer vermeintlich idyllischen ländlichen Welt: Gewalt, Hass, Verrat, Inzest, Missbrauch, Bigotterie sind an der Tagesordnung.
Die Autorin Andrea Maria Schenkel berichtet, sie sei als einziges Kind weit und breit in einem Miethaus in Kumpfmühl bei Regensburg aufgewachsen und habe den alten Leuten gespannt zugehört, wenn sie ihre Geschichten erzählten. Daher rühre ihre genaue Kenntnis der Atmosphäre der 1950er-Jahre. Nachdem sie auf Seite 3 der Süddeutschen Zeitung einen Artikel über den mehrfachen Mord von Hinterkaifeck gelesen hatte, begann sie mit der Recherche. Die grauenvolle Tat, die bis heute nicht aufgeklärt werden konnte, ließ ihr keine Ruhe. Doch als sie mit dem Schreiben begann, ließ sie die Fakten weitgehend außer Acht, um in ihrer Phantasie freier zu sein. Dabei löst sie sich so weit von den Tatsachen, dass sie den Täter erfindet und ihm eine Stimme gibt:
Warum bringt einer alle um? Warum tötet er, was er liebt? Anna, nur was man liebt, kann man auch töten. Weißt du, Anna, was in den Köpfen der Menschen vor sich geht? Weißt du das? Kannst du in die Köpfe, in die Herzen schauen? Eingesperrt war ich doch mein ganzes Leben, eingesperrt. Und auf einmal öffnet sich mir eine neue Welt , ein neues Leben, Weißt du, wie das ist? Ich sage dir, jeder ist einsam sein ganzes Leben lang. Alleine ist er, wenn er zur Welt kommt, und alleine stirbt er. Und dazwischen, gefangen war ich in meinem Körper, gefangen in meinem Verlangen. Ich sage dir, es gibt keinen Gott auf dieser Welt, es gibt nur die Hölle. Und sie ist hier auf Erden in unseren Köpfen, in unseren Herzen. Der Dämon sitzt in jedem und jeder kann seinen Dämon jederzeit herauslassen.
(Andrea Maria Schenkel: Tannöd. btb Verlag, München 2008, S. 124)