Annette Kolb

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Nydeckbrücke in Bern, Annette Kolbs Exil

1917 war Annette Kolb die Ausreise in die Schweiz geglückt. Ein Exil, das sie, wie ihre später veröffentlichten Aufzeichnungen verraten, nicht glücklich machte.

Dieses Buch, das auf Grund täglicher Aufzeichnungen entstand, enthält Enttäuschungen als sein Wesen. Es ist ein Tagebuch der Enttäuschungen, ich verhehle es nicht. Gerade sie sind das einzig wertvolle daran. Denn an allen Erlebnissen während dieser Jahre, an allen Szenen, allen Ereignissen, allen Episoden hat sich die Beobachtung ergeben, daß im wachsenden Umfang die besten Hoffnungen, die reinsten Zugehörigkeiten ihre dramatische Zerstörung nach sich zogen. Zu sehen, wie sie immer sehr buchstäblich zuschanden kommen mußten, versetzte mich erst in eine dumpfe, herabgestimmte Unruhe, und nur allmählich entdeckte ich, daß sich in allem die kleine wie die große Höllenmaschine menschlicher Niedrigkeit gleichsam eingebaut hielt, überall, auf dieselbe Weise und mit derselben Wirkung jede edle, jede vernünftige Absicht, jede Harmonie im Keim vernichtete.

(Annette Kolb: Zarastro. Memento. Texte aus dem Exil. Edition Monacensia. Allitera Verlag, München 2002, S. 9.)

25. Februar 1917. Zwar scheint die Sonne hin und wieder, und die Zauberwand der Berge stellt sich dann strahlend auf, doch das Licht bleibt spröde. Nie träumt dieser kalte Himmel dahin, nie ermatten die Reflexe; stets rufen sie: gedenk! und nie: vergiß! und ewige Gegenwart ist die Fanfare. Oder liegt es an mir? – „Mein gutestes Fräulein,“ sagte mir einmal ein dickgebliebener Berliner Aufsichtsrat, „wer sagt Ihnen, daß nicht am Ende mit dem Frieden so bunte Zeiten kommen, daß wir uns nach den Kriegszeiten zurücksehnen werden , bis auf die Schlachten natürlich“, hing er mit einer Handbewegung an, als wären sie ein Detail.

(Ebda., S. 25.)

8. März 1917: Besuch des sozialistischen Reichstagsabgeordneten W. H. Er ist gegen den Unterseebootkrieg. Ich glaube, daß er unter dem Krieg leidet. [...] Im Januar 1917 lauerte ich im Hause einer Bekannten dem damaligen Staatssekretär Zimmermann auf [...]. Als ich mit meiner Rede über die elsässische Frage zu Ende war, nickte er ganz kulant und bemerkte: „Wir müssen nur bedenken, was wir dem deutschen Volk zumuten können.“ „In vier Tagen haben wir es hineingelogen, vielleicht lügen wir es in acht Tagen wieder heraus“, sagte ich. Er schien kein bißchen choquiert. In der Politik gibt es ja keine Moral [...]

(Ebda., S. 30.)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl

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