Annette Kolb
Annette Kolb war eine Weltbürgerin mit zwei Heimatländern: Deutschland und Frankreich. Dass zwischen diesen beiden Nationen Krieg herrschte, machte der überzeugten Pazifistin schwer zu schaffen. Ihre Bemühungen um Aussöhnung und ihr öffentliches Eintreten gegen den Krieg führten zu heftigen Angriffen seitens der Presse. Die bayerischen Behörden verhängten ein Schreibverbot sowie ein Reiseverbot über sie. 1917 gelang ihr die Ausreise in die Schweiz:
Besuch der Miß Annie A. Wir hatten uns seit dem Kriege nicht mehr gesehen. Sie ist mütterlicherseits deutsch wie ich französisch, väterlicherseits englisch wie ich deutsch. Nur ist sie nebenbei auch ein Engel von Güte [...]. Wer kennt sie nicht, diese Engel von Güte, mit ihren „they say“, ihren „man sagt“, ihren „on dit“ und ihren „si dice“. Unbesehen ist für sie der Teufel überall nur drüben. „Mein Deutschtum ist tot in mir“, sagte sie. „Auch Sie sollten sich entscheiden.“ Dasselbe Ansinnen, nur umgekehrt natürlich, war mir in Deutschland zu oft gemacht worden, und ich war in solchen Dingen sehr abgebrüht. „Was brauchen mich die Franzosen,“ seufzte ich, „die ganze Welt steht ja auf ihrer Seite.“
Da sie mich traurig sah, schaute sie mich betrübt mit ihren guten und veilchenblauen Augen an. „I thank God on my knees“, brach sie dann aus, „that I am English.“
Auch die Variationen dieser Formel waren mir vertraut. Und ich konnte nicht umhin, ihr von den Halbengländerinnen zu erzählen, die in Deutschland unter die Patriotinnen gegangen waren, von Marie von B…., die mich wie keine andere deutsche Frau in den deutschen Blättern verriß, und von jener jungen englischen Gouvernante in München, die ich in Tränen fand, weil ihre, an einen norddeutschen Offizier verheiratete Schwester soeben, anläßlich eines Luftangriffes auf London, von den Zeppelinen als von „our glorious zeps“ geschrieben hatte. Aber kaum hatte ich meine Pfeile abgeschossen, so war mir’s schon leid. Unser Wiedersehen fand also nur statt, um uns unsere Trennung nur um so fühlbarer zu machen.
„Nichts ist mehr, wie es war!“ rufe ich aus, indem ich sie in meine Arme schließe. Denn sie ist ein Engel.
(Annette Kolb: Zarastro. Memento. Texte aus dem Exil. Edition Monacensia. Allitera Verlag, München 2002, S. 24.)
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Annette Kolb war eine Weltbürgerin mit zwei Heimatländern: Deutschland und Frankreich. Dass zwischen diesen beiden Nationen Krieg herrschte, machte der überzeugten Pazifistin schwer zu schaffen. Ihre Bemühungen um Aussöhnung und ihr öffentliches Eintreten gegen den Krieg führten zu heftigen Angriffen seitens der Presse. Die bayerischen Behörden verhängten ein Schreibverbot sowie ein Reiseverbot über sie. 1917 gelang ihr die Ausreise in die Schweiz:
Besuch der Miß Annie A. Wir hatten uns seit dem Kriege nicht mehr gesehen. Sie ist mütterlicherseits deutsch wie ich französisch, väterlicherseits englisch wie ich deutsch. Nur ist sie nebenbei auch ein Engel von Güte [...]. Wer kennt sie nicht, diese Engel von Güte, mit ihren „they say“, ihren „man sagt“, ihren „on dit“ und ihren „si dice“. Unbesehen ist für sie der Teufel überall nur drüben. „Mein Deutschtum ist tot in mir“, sagte sie. „Auch Sie sollten sich entscheiden.“ Dasselbe Ansinnen, nur umgekehrt natürlich, war mir in Deutschland zu oft gemacht worden, und ich war in solchen Dingen sehr abgebrüht. „Was brauchen mich die Franzosen,“ seufzte ich, „die ganze Welt steht ja auf ihrer Seite.“
Da sie mich traurig sah, schaute sie mich betrübt mit ihren guten und veilchenblauen Augen an. „I thank God on my knees“, brach sie dann aus, „that I am English.“
Auch die Variationen dieser Formel waren mir vertraut. Und ich konnte nicht umhin, ihr von den Halbengländerinnen zu erzählen, die in Deutschland unter die Patriotinnen gegangen waren, von Marie von B…., die mich wie keine andere deutsche Frau in den deutschen Blättern verriß, und von jener jungen englischen Gouvernante in München, die ich in Tränen fand, weil ihre, an einen norddeutschen Offizier verheiratete Schwester soeben, anläßlich eines Luftangriffes auf London, von den Zeppelinen als von „our glorious zeps“ geschrieben hatte. Aber kaum hatte ich meine Pfeile abgeschossen, so war mir’s schon leid. Unser Wiedersehen fand also nur statt, um uns unsere Trennung nur um so fühlbarer zu machen.
„Nichts ist mehr, wie es war!“ rufe ich aus, indem ich sie in meine Arme schließe. Denn sie ist ein Engel.
(Annette Kolb: Zarastro. Memento. Texte aus dem Exil. Edition Monacensia. Allitera Verlag, München 2002, S. 24.)