Carry Brachvogel

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbthemes/2014/klein/frauenkrieg_26_500.jpg
Erster Mobilmachungstag, 2. August 1914. Menschenmenge vor der Feldherrnhalle anlässlich der Wachablösung. Sign.: C 1914444 (Münchner Stadtarchiv)

1917 veröffentlichte Carry Brachvogel den Roman Schwertzauber, in dem sie beschrieb, wie sich Euphorie in Verzweiflung verkehrt und die nationalistische Begeisterung Freundschaften und Familien zerreißt.

Irene von Erhart war abgereist. Sie hatte noch miterleben müssen, dass Fedor Horsten sich zum Heeresdienst in Russland meldete, und ihr Entsetzen war groß gewesen. Sie rang die Hände und klagte: „Dahin also muss es kommen! In unserer Zeit muss man, als lebte man im finstersten Mittelalter, mitansehen, wie der Bruderkrieg selbst die Familie entzweireißt. Sind es wirklich Kulturvölker, bei denen so etwas möglich ist?“

(Carry Brachvogel: Schwertzauber. Edition Monacensia. Allitera Verlag, München 2014, S. 72.)

Solange man auf deutschem und österreichischem Gebiet fuhr, bot das Leben auf den Bahnhöfen, an denen man hielt, für Steffi kein neues Bild. Die Schweiz aber, nein, die Schweiz hatte sich Steffi gerade in dieser Zeit anders vorgestellt! Sie hatte geglaubt, eine Art Insel der Seligen zu finden, zu der nichts vom Krieg hereindrang. [...] Aber der Krieg hatte auch das Gesicht dieses politisch unbeschwerten, gastlichen Landes verändert, dass es ernst und wachsam dreinblickte und sein Asylrecht umständlich verklausuliert hatte. [...] Wohl redeten auch jetzt noch hier die Zungen aller Völker, aber wer sie hörte, vernahm sie nicht mehr mit dem Gleichmut entschwundener Tage, und wenn er auch keinem Freund oder Feind war, so konnte man doch an einen Husch von Freude oder Ärger, der über sein Gesicht glitt, erkennen, wie er in seinem Innern zu dem Sprechenden stand.

(Ebda., S. 80.)

Zwei Tage lang dauerte noch die Ungewißheit, der dritte Tag brachte endlich Klarheit. Steffi war schon sehr früh wach, hörte, wie die Morgenzeitung kam und kurz darauf das kleine, blecherne „Tak“, mit dem ein Brief in den Briefkasten fiel. Sie sprang aus dem Bett, sperrte den Briefkasten auf, lief mit dem Brief in ihr Zimmer zurück, schlug die Vorhänge auf, sah den Brief näher an. Da wurde ihr schwarz vor Augen, es war ihre eigene Handschrift die sie jetzt auf dem Umschlag erkannte. Der letzte Brief, den sie an ihren Mann gerichtet hatte, kam zurück und quer über die Adresse hatte eine fremde, ungeschickte Hand geschrieben: „Ist den Heldentod gestorben.“

(Ebda., S. 92.)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl

Verwandte Inhalte