Ludwig Thoma in Egern
In dem 1912 in Berlin uraufgeführten tragischen Volksstück Magdalena setzt sich Ludwig Thoma kritisch mit den gesellschaftspolitischen und moralischen Maximen seiner Zeit auseinander. In einem Brief an seine verheiratete Geliebte Maidi von Liebermann vom 15. März 1919 geht Thoma auf die Klärung des biographischen Hintergrunds ein und erklärt sein poetisches Verfahren:
Ich arbeite nie nach Modell; das ist immer verfehlt. Man kriegt keinen Typ. Schriftstellerische Figuren müssen wie malerische Typen sein, Zusammensetzungen aus vielen Individualitäten, sie müssen eine ganze Rasse, einen Stand verkörpern. Nur dann sind sie treffend, können interessieren.
[...]
Fast alle Leute leben in dem Irrtume, daß bestimmte Ereignisse und bestimmte Personen uns anregen können und müssen. Ganz falsch!
Sie können eine Stimmung hervorrufen, die in uns widerklingt und plötzlich eine längst erkannte, verarbeitete, durchlebte Mehrheit von Stimmungen aufwecken. Irgend ein fremder Mensch im Coupé, eine alte Frau am Bahnhofperron, der Ton einer Drehorgel, eine Regenstimmung geben uns plötzlich Bilder, Ideen, und das verbindet sich mit starken Eindrücken, von denen wir schon nichts mehr wußten, die irgendwo in uns geschlafen haben.
Meine Magdalena entstand fix und fertig im Kopfe, seiner Zeit, als ich in Egern die Fronleichnamsprozession durch die Felder ziehen sah. Die kleinen, weißgekleideten Mädel, die hinter dem Pfarrer hertrippelten, machten mir einen rührenden Eindruck. Was wird aus ihnen werden? Wie lange halten sie fest an dem Kinderglauben? Und plötzlich stand ein Schicksal von so einem armen Ding vor meinen Augen. Die Idee hielt mich fest, ich wollte mir daheim ein paar Notizen machen und schrieb die ganze Fabel des Stückes in einem Zuge hin. (Zit. aus: Ludwig Thoma: Ausgewählte Briefe. Hg. von Josef Hofmiller und Michael Hochgesang. München 1927, S. 204-206)
Sekundärliteratur:
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 116, S. 264.
Weitere Kapitel:
In dem 1912 in Berlin uraufgeführten tragischen Volksstück Magdalena setzt sich Ludwig Thoma kritisch mit den gesellschaftspolitischen und moralischen Maximen seiner Zeit auseinander. In einem Brief an seine verheiratete Geliebte Maidi von Liebermann vom 15. März 1919 geht Thoma auf die Klärung des biographischen Hintergrunds ein und erklärt sein poetisches Verfahren:
Ich arbeite nie nach Modell; das ist immer verfehlt. Man kriegt keinen Typ. Schriftstellerische Figuren müssen wie malerische Typen sein, Zusammensetzungen aus vielen Individualitäten, sie müssen eine ganze Rasse, einen Stand verkörpern. Nur dann sind sie treffend, können interessieren.
[...]
Fast alle Leute leben in dem Irrtume, daß bestimmte Ereignisse und bestimmte Personen uns anregen können und müssen. Ganz falsch!
Sie können eine Stimmung hervorrufen, die in uns widerklingt und plötzlich eine längst erkannte, verarbeitete, durchlebte Mehrheit von Stimmungen aufwecken. Irgend ein fremder Mensch im Coupé, eine alte Frau am Bahnhofperron, der Ton einer Drehorgel, eine Regenstimmung geben uns plötzlich Bilder, Ideen, und das verbindet sich mit starken Eindrücken, von denen wir schon nichts mehr wußten, die irgendwo in uns geschlafen haben.
Meine Magdalena entstand fix und fertig im Kopfe, seiner Zeit, als ich in Egern die Fronleichnamsprozession durch die Felder ziehen sah. Die kleinen, weißgekleideten Mädel, die hinter dem Pfarrer hertrippelten, machten mir einen rührenden Eindruck. Was wird aus ihnen werden? Wie lange halten sie fest an dem Kinderglauben? Und plötzlich stand ein Schicksal von so einem armen Ding vor meinen Augen. Die Idee hielt mich fest, ich wollte mir daheim ein paar Notizen machen und schrieb die ganze Fabel des Stückes in einem Zuge hin. (Zit. aus: Ludwig Thoma: Ausgewählte Briefe. Hg. von Josef Hofmiller und Michael Hochgesang. München 1927, S. 204-206)
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 116, S. 264.