Ludwig Ganghofer: Beim deutschen Kaiser
Mit Kaiser Wilhelm II., dessen Lieblingsautor und Gerüchten zufolge Duzfreund er ist, trifft Ludwig Ganghofer sich während des Krieges gleich zweimal: an der Westfront bei Sedan sowie an der Ostfront am See von Janow. Für Wilhelm hegt Ganghofer eine ebenso gläubige wie unkritische Bewunderung. Am 17. Januar 1915 schreibt er, wie er am 11. Januar 1915 beim Kaiser zu Tisch geladen ist. Während er auf das Erscheinen des Kaisers wartet, fragt er sich immer wieder, wie der Kaiser aussehen werde „in dieser Zeit des Ringens, in der jedes deutsche Herz sich sehnt nach dem aufrichtenden Orakel eines Wissenden“, und kommt zu dem Schluss:
Unter allem Sturm dieser vierundzwanzig roten Wochen ist der Kaiser in jeder Wertlinie seines Wesens der gleiche geblieben – nein, nicht der gleiche, er ist einer geworden, der gewann und nichts verlor. Der Kaiser ist ein durch die Zeit Erhöhter! Man empfindet es vor dem Bild seiner Würde und Haltung, empfindet es bei seinem ruhigen Lächeln, vor seinem ruhigen Blick. Und bevor ich noch ein erstes Wort von ihm höre, strömt etwas Aufrichtendes in mich über. Ein frohes Gefühl der deutschen Sicherheit ist in mir, erneuter Glaube und erhöhtes Vertrauen. Ich weiß: Bei uns ist die Wahrheit, bei uns das Recht, bei uns die Kraft und bei uns der Sieg!
(Ludwig Ganghofer: Reise zur deutschen Front [1915], 17.1.1915)
Eine Erkenntnis, die Ganghofer später zu dem Ausspruch verleitet: „Deutschland wäre ärmer geblieben um einen genialen Feldherrn, wenn es nicht reicher geworden wäre um diesen heiligen Krieg.“ Dieser Leitmaxime hat sich dann auch alles andere unterzuordnen, sogar die Kunst und deren Ausdrucksformen Witz und Satire:
Gewiss sind Witz und Satire zwei völlig unentbehrliche Waffen jeder Kultur, jeder ethischen und nationalen Entwicklung. Aber künstlerische Schöpferkraft ist nur dann in ihnen, wenn sie die Größe fördern und bejahen, die sie zu befehden scheinen. Fehlt es ihrem Maßstab an gerechtem Gewissen, verliert ihr Scheinbild jede Beziehung zum Bild der Wirklichkeit, jeden positiven Boden, und wird es zur augenlosen Negation, die à la mode einen vergnüglichen mundenden Kaviar für das Volk bereitet, dann ist es mit Witz und Satire die gleiche Sache, wie wenn die völkerrechtlich zulässigen Mantelgeschosse durch sträfliche Manipulationen zu mörderisch wirkenden Dum-Dum-Kugeln verzwickt werden.
(Ludwig Ganghofer: Reise zur deutschen Front [1915], 22.1.1915)
Doch zurück zum Kaiser. Während Ganghofer beim ersten Treffen noch dessen Lieblingshund Teckel liebevoll beschreibt, was mitunter komisch wirkt („manchmal nimmt er auf des Kaisers Knie höchst schwierige und bedrohsame Stellungen ein, die fast an die Kletterkünste einer Gämse erinnern“), nimmt das zweite Gespräch nicht weniger komische feierliche Züge an. Unter „herzlichem Lächeln“ streckt der Kaiser Ganghofer die Hand entgegen und sagt:
„Ganghofer? Sind Sie denn überall?“ Ich berichtete, woher ich käme, und der Kaiser erfreute mich durch das Wort: „Jetzt eben ist die Nachricht eingetroffen, daß das Nachbarkorps den vorgeschobenen Stützpunkt der Russen genommen hat.“ „Ja?“ Mir fuhr das wie ein froher Schrei aus dem Herzen. Vom Kaiser hört man doch immer was Erfreuliches!
(zit. n. Adolph, Carin [1990]: Reisen zur deutschen Front, S. 6)
Diese innewohnende Komik hat den österreichischen Dichter Karl Kraus nicht umsonst dazu bewegt, das Verhältnis zwischen dem jovial und geistlos phrasierenden Kaiser und seinem urwüchsig-unbekümmerten Schlachtfeuilletonisten in dem opulenten Anti-Weltkriegsdrama Die letzten Tage der Menschheit (1915-22) zu parodieren. In der 23. Szene des ersten Aktes lässt er Ganghofer und den Kaiser zusammen auftreten:
(S[eine]. M[ajestät]. mit Gefolge. Im Hintergrund der Photograph der Woche. S. M. geht auf den Dichter zu und streckt ihm unter herzlichem Lachen die Hand entgegen.)
Der Kaiser: Ja Ganghofer, sind Sie denn überall? Hören Sie mal Ganghofer, Sie sind gut!
Ganghofer: Majestät, mei Gmüat hat sich bemüat den Siegeslauf der deutschen Heere einzuholen. Fix Laudon, dös is aber gach ganga! (Er hüpft.)
Der Kaiser (lachend): 's ist gut Ganghofer,'s ist gut. Ha–haben Sie schon Mittagbrot gegessen?
Ganghofer: Nein, Majestät, wer würde denn in so großer Zeit an so etwas denken?
Der Kaiser: Um Gottes willen, da müssen Sie doch gleich etwas essen! (Der Kaiser winkt, es wird ein Topf mit Tee gebracht nebst zwei festen Schnitten Gebäck. Der Kaiser greift selbst mit der Hand in eine Blechdose, stopft Ganghofer die Taschen mit Zwieback voll und sagt dabei immer wieder.) Essen Sie Ganghofer, essen Sie doch! (Der Photograph knipst.)
Der Kaiser: Waren Sie schon in Przemisel, Ganghofer? Essen Sie doch, um Gotteswillen, essen Sie doch! (Ganghofer ißt.) [...]
(Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit, I. Akt, 23. Szene)
(Adolph, Carin [1990]: Reisen zur deutschen Front, S. 4-7)
(Koch, Werner [1972]: Der Kriegsberichterstatter Ganghofer, S. 425-427)
Weitere Kapitel:
Mit Kaiser Wilhelm II., dessen Lieblingsautor und Gerüchten zufolge Duzfreund er ist, trifft Ludwig Ganghofer sich während des Krieges gleich zweimal: an der Westfront bei Sedan sowie an der Ostfront am See von Janow. Für Wilhelm hegt Ganghofer eine ebenso gläubige wie unkritische Bewunderung. Am 17. Januar 1915 schreibt er, wie er am 11. Januar 1915 beim Kaiser zu Tisch geladen ist. Während er auf das Erscheinen des Kaisers wartet, fragt er sich immer wieder, wie der Kaiser aussehen werde „in dieser Zeit des Ringens, in der jedes deutsche Herz sich sehnt nach dem aufrichtenden Orakel eines Wissenden“, und kommt zu dem Schluss:
Unter allem Sturm dieser vierundzwanzig roten Wochen ist der Kaiser in jeder Wertlinie seines Wesens der gleiche geblieben – nein, nicht der gleiche, er ist einer geworden, der gewann und nichts verlor. Der Kaiser ist ein durch die Zeit Erhöhter! Man empfindet es vor dem Bild seiner Würde und Haltung, empfindet es bei seinem ruhigen Lächeln, vor seinem ruhigen Blick. Und bevor ich noch ein erstes Wort von ihm höre, strömt etwas Aufrichtendes in mich über. Ein frohes Gefühl der deutschen Sicherheit ist in mir, erneuter Glaube und erhöhtes Vertrauen. Ich weiß: Bei uns ist die Wahrheit, bei uns das Recht, bei uns die Kraft und bei uns der Sieg!
(Ludwig Ganghofer: Reise zur deutschen Front [1915], 17.1.1915)
Eine Erkenntnis, die Ganghofer später zu dem Ausspruch verleitet: „Deutschland wäre ärmer geblieben um einen genialen Feldherrn, wenn es nicht reicher geworden wäre um diesen heiligen Krieg.“ Dieser Leitmaxime hat sich dann auch alles andere unterzuordnen, sogar die Kunst und deren Ausdrucksformen Witz und Satire:
Gewiss sind Witz und Satire zwei völlig unentbehrliche Waffen jeder Kultur, jeder ethischen und nationalen Entwicklung. Aber künstlerische Schöpferkraft ist nur dann in ihnen, wenn sie die Größe fördern und bejahen, die sie zu befehden scheinen. Fehlt es ihrem Maßstab an gerechtem Gewissen, verliert ihr Scheinbild jede Beziehung zum Bild der Wirklichkeit, jeden positiven Boden, und wird es zur augenlosen Negation, die à la mode einen vergnüglichen mundenden Kaviar für das Volk bereitet, dann ist es mit Witz und Satire die gleiche Sache, wie wenn die völkerrechtlich zulässigen Mantelgeschosse durch sträfliche Manipulationen zu mörderisch wirkenden Dum-Dum-Kugeln verzwickt werden.
(Ludwig Ganghofer: Reise zur deutschen Front [1915], 22.1.1915)
Doch zurück zum Kaiser. Während Ganghofer beim ersten Treffen noch dessen Lieblingshund Teckel liebevoll beschreibt, was mitunter komisch wirkt („manchmal nimmt er auf des Kaisers Knie höchst schwierige und bedrohsame Stellungen ein, die fast an die Kletterkünste einer Gämse erinnern“), nimmt das zweite Gespräch nicht weniger komische feierliche Züge an. Unter „herzlichem Lächeln“ streckt der Kaiser Ganghofer die Hand entgegen und sagt:
„Ganghofer? Sind Sie denn überall?“ Ich berichtete, woher ich käme, und der Kaiser erfreute mich durch das Wort: „Jetzt eben ist die Nachricht eingetroffen, daß das Nachbarkorps den vorgeschobenen Stützpunkt der Russen genommen hat.“ „Ja?“ Mir fuhr das wie ein froher Schrei aus dem Herzen. Vom Kaiser hört man doch immer was Erfreuliches!
(zit. n. Adolph, Carin [1990]: Reisen zur deutschen Front, S. 6)
Diese innewohnende Komik hat den österreichischen Dichter Karl Kraus nicht umsonst dazu bewegt, das Verhältnis zwischen dem jovial und geistlos phrasierenden Kaiser und seinem urwüchsig-unbekümmerten Schlachtfeuilletonisten in dem opulenten Anti-Weltkriegsdrama Die letzten Tage der Menschheit (1915-22) zu parodieren. In der 23. Szene des ersten Aktes lässt er Ganghofer und den Kaiser zusammen auftreten:
(S[eine]. M[ajestät]. mit Gefolge. Im Hintergrund der Photograph der Woche. S. M. geht auf den Dichter zu und streckt ihm unter herzlichem Lachen die Hand entgegen.)
Der Kaiser: Ja Ganghofer, sind Sie denn überall? Hören Sie mal Ganghofer, Sie sind gut!
Ganghofer: Majestät, mei Gmüat hat sich bemüat den Siegeslauf der deutschen Heere einzuholen. Fix Laudon, dös is aber gach ganga! (Er hüpft.)
Der Kaiser (lachend): 's ist gut Ganghofer,'s ist gut. Ha–haben Sie schon Mittagbrot gegessen?
Ganghofer: Nein, Majestät, wer würde denn in so großer Zeit an so etwas denken?
Der Kaiser: Um Gottes willen, da müssen Sie doch gleich etwas essen! (Der Kaiser winkt, es wird ein Topf mit Tee gebracht nebst zwei festen Schnitten Gebäck. Der Kaiser greift selbst mit der Hand in eine Blechdose, stopft Ganghofer die Taschen mit Zwieback voll und sagt dabei immer wieder.) Essen Sie Ganghofer, essen Sie doch! (Der Photograph knipst.)
Der Kaiser: Waren Sie schon in Przemisel, Ganghofer? Essen Sie doch, um Gotteswillen, essen Sie doch! (Ganghofer ißt.) [...]
(Karl Kraus: Die letzten Tage der Menschheit, I. Akt, 23. Szene)
(Adolph, Carin [1990]: Reisen zur deutschen Front, S. 4-7)
(Koch, Werner [1972]: Der Kriegsberichterstatter Ganghofer, S. 425-427)