Ludwig Ganghofer: Humor im Schützengraben
In seinem 1915 erschienenen ersten gedruckten Kriegsbericht Reise zur deutschen Front schildert der Autor Ludwig Ganghofer, wie man mit (Galgen-)Humor den strapaziösen Alltag des Schützengrabenlebens meistern kann:
Der Schützengraben, in dem ich da stehe, ist einer der niederträchtigsten – nur haltloser Lehm, immer in rutschender Bewegung, alles eine Spottgeburt aus Dreck und Wasser. Mit Spaten und Brettern, mit Flechtwerk und Lattenrost kann man dieses klebrigen, schleichenden Feindes nicht Herr werden – nur mit Humor. Recht bezeichnend heißt eine Strecke dieses Schützengrabens das „Pfuiteufelgasserl“. Ein Verbindungsgang hat sogar einen variablen Namen: Bei leidlich trockenem Wetter heißt er „König-Ludwig-Straße“; steigt das Grundwasser, so heißt er „König-Ludwig-Kanal“. Und in einer Grabensenkung, die immer Wasser hat, bis übers Knie herauf, zeigt ein Täfelchen die Inschrift: „Bitte nicht auf den Boden spucken!“ Man begreift da den Sänger aus dem feldgrauen Volk, der sich in einer lyrischen Schilderung des ihm geläufigen Milieus zu dem Vers verstieg:
„Der Schützengraben, wenn ich nicht irr',
Ist dem heiligen Peterl sein Nachtgeschirr!“
(Ludwig Ganghofer: Reise zur deutschen Front [1915], 3.2.1915)
Obwohl Humor in Ganghofers Erfolgsromanen in Szenen und bei Nebenfiguren durchaus vorkommt, ist der Einsatz des Humors hier nicht selbstverständlich. Er wird propagandistisch genutzt, um an den „schönen, klaren Brunnen [...] unverwüstlicher Heiterkeit am Rande des immer harrenden Grabes“ zu erinnern, der aus dem „Kraft schenkenden Bewusstsein redlichster Pflichterfüllung“ ströme und auch vor der Heimat nicht Halt mache. Die Lösung für alle Probleme liefert Ganghofer gleich mit:
Täten wir alle daheim so bis zum letzten Atemzug unsere deutsche Pflicht, wie diese Getreuen hier im Schützengraben, dann wäre nicht ruhelose Ungeduld in vielen von uns, sondern Ruhe, Zuversicht und frohe Festigkeit wäre in uns allen. Da würde der Groschen nicht zählen, den wir verlieren, keine Bedrängnis unserer wirtschaftlichen Lage, keine nötige Einschränkung, keine Sorge und kein Opfer unseres Lebens!
(Ebda., 30.1.1915)
Die deutsche Front wird stellenweise zur friedlichen Idylle von Ganghofer verkehrt. Wie realitätsfern ein solches Harmoniebedürfnis während des Krieges sein kann, zeigt wiederum sein chauvinistischer Vergleich mit den Feinden: deutsche Lazarette, die wie Sanatorien anmuten, hier – französische Spitäler, die Sterbekliniken gleichen, dort; „stille, zufriedene Ruhe, fast ein Lächeln“ in den Gesichtern „der für ihre Heimat gefallenen Kaiserjäger und Landesschützen“ – „verzerrt[e], entstellt[e] und verwüstet[e]“ „Mienen der toten Russen“ (Ludwig Ganghofer: Die Front im Osten [1915], 5.5.1915). Die Logik der Moral folgt Ganghofers Hochlandromanen: Wer von schöner Gestalt ist, hat auch eine gesunde Natur und ein tapferes Herz. Für die Kriegsberichte lässt sich ergänzen: Wer von deutscher Natur ist, dem kann man so gar nichts anhaben. Oder in Ganghofers Worten: „So, wie bei uns, kann es nirgends sein! Was ich hier gesehen habe, das kann nur deutsche Schulung, nur deutsche Umsicht und Fürsorge fertig bringen!“ (Ludwig Ganghofer: Reise zur deutschen Front [1915], 3.2.1915)
Da nutzt es auch nichts, wenn Ganghofer beim Anblick französischer Gefangener einmal einen leisen Anflug von Kritik am Großen Krieg äußert:
Die heitere Stimmung, in die ich geraten bin, schlägt mir plötzlich um in eine schwere und tiefe Erschütterung. Mir scheint, ich muss mich erst an den Krieg gewöhnen. Unpolitisches Erbarmen ließ mich für einen Augenblick vergessen, dass ich Deutscher bin und dass diese Gelben, die da vorüberwandern, unsere erbitterten Feinde sind, die auf deutsche Soldaten schossen und stachen und schlugen. Das vergaß ich für einen Augenblick, weil die meisten dieser Menschen da grauenhaft aussehen, herzergreifend. Sehen so auch die Unseren im Schützengraben aus? Dann wissen wir in der Heimat noch immer nicht, was Krieg ist, und was unsere lieben, treuen Feldgrauen um unserer Sicherheit willen ertragen müssen.
(Ebda., 19.1.1915)
(Adolph, Carin [1990]: Reisen zur deutschen Front, S. 9ff.)
(Braito, Emil Karl [2005]: Ludwig Ganghofer und seine Zeit, S. 393f. und 461-471)
(Scheichl, Sigurd Paul [2007]: Humor in der Kriegsberichterstattung, S. 245-253)
[Links: Soldaten beim Kartenspielen in einem Schützengraben, 12. Bayer.-Res.-Inf.-Regiment (Frankeich, Sommer und Herbst 1918), BSB/Johannes. Rechts: Soldaten und Offiziere in einem durch Wellbleche getarnten Schützengraben, 12. Bayer.-Res.-Inf.-Regiment (Frankreich, Sommer und Herbst 1918), BSB/Johannes.]
Weitere Kapitel:
In seinem 1915 erschienenen ersten gedruckten Kriegsbericht Reise zur deutschen Front schildert der Autor Ludwig Ganghofer, wie man mit (Galgen-)Humor den strapaziösen Alltag des Schützengrabenlebens meistern kann:
Der Schützengraben, in dem ich da stehe, ist einer der niederträchtigsten – nur haltloser Lehm, immer in rutschender Bewegung, alles eine Spottgeburt aus Dreck und Wasser. Mit Spaten und Brettern, mit Flechtwerk und Lattenrost kann man dieses klebrigen, schleichenden Feindes nicht Herr werden – nur mit Humor. Recht bezeichnend heißt eine Strecke dieses Schützengrabens das „Pfuiteufelgasserl“. Ein Verbindungsgang hat sogar einen variablen Namen: Bei leidlich trockenem Wetter heißt er „König-Ludwig-Straße“; steigt das Grundwasser, so heißt er „König-Ludwig-Kanal“. Und in einer Grabensenkung, die immer Wasser hat, bis übers Knie herauf, zeigt ein Täfelchen die Inschrift: „Bitte nicht auf den Boden spucken!“ Man begreift da den Sänger aus dem feldgrauen Volk, der sich in einer lyrischen Schilderung des ihm geläufigen Milieus zu dem Vers verstieg:
„Der Schützengraben, wenn ich nicht irr',
Ist dem heiligen Peterl sein Nachtgeschirr!“
(Ludwig Ganghofer: Reise zur deutschen Front [1915], 3.2.1915)
Obwohl Humor in Ganghofers Erfolgsromanen in Szenen und bei Nebenfiguren durchaus vorkommt, ist der Einsatz des Humors hier nicht selbstverständlich. Er wird propagandistisch genutzt, um an den „schönen, klaren Brunnen [...] unverwüstlicher Heiterkeit am Rande des immer harrenden Grabes“ zu erinnern, der aus dem „Kraft schenkenden Bewusstsein redlichster Pflichterfüllung“ ströme und auch vor der Heimat nicht Halt mache. Die Lösung für alle Probleme liefert Ganghofer gleich mit:
Täten wir alle daheim so bis zum letzten Atemzug unsere deutsche Pflicht, wie diese Getreuen hier im Schützengraben, dann wäre nicht ruhelose Ungeduld in vielen von uns, sondern Ruhe, Zuversicht und frohe Festigkeit wäre in uns allen. Da würde der Groschen nicht zählen, den wir verlieren, keine Bedrängnis unserer wirtschaftlichen Lage, keine nötige Einschränkung, keine Sorge und kein Opfer unseres Lebens!
(Ebda., 30.1.1915)
Die deutsche Front wird stellenweise zur friedlichen Idylle von Ganghofer verkehrt. Wie realitätsfern ein solches Harmoniebedürfnis während des Krieges sein kann, zeigt wiederum sein chauvinistischer Vergleich mit den Feinden: deutsche Lazarette, die wie Sanatorien anmuten, hier – französische Spitäler, die Sterbekliniken gleichen, dort; „stille, zufriedene Ruhe, fast ein Lächeln“ in den Gesichtern „der für ihre Heimat gefallenen Kaiserjäger und Landesschützen“ – „verzerrt[e], entstellt[e] und verwüstet[e]“ „Mienen der toten Russen“ (Ludwig Ganghofer: Die Front im Osten [1915], 5.5.1915). Die Logik der Moral folgt Ganghofers Hochlandromanen: Wer von schöner Gestalt ist, hat auch eine gesunde Natur und ein tapferes Herz. Für die Kriegsberichte lässt sich ergänzen: Wer von deutscher Natur ist, dem kann man so gar nichts anhaben. Oder in Ganghofers Worten: „So, wie bei uns, kann es nirgends sein! Was ich hier gesehen habe, das kann nur deutsche Schulung, nur deutsche Umsicht und Fürsorge fertig bringen!“ (Ludwig Ganghofer: Reise zur deutschen Front [1915], 3.2.1915)
Da nutzt es auch nichts, wenn Ganghofer beim Anblick französischer Gefangener einmal einen leisen Anflug von Kritik am Großen Krieg äußert:
Die heitere Stimmung, in die ich geraten bin, schlägt mir plötzlich um in eine schwere und tiefe Erschütterung. Mir scheint, ich muss mich erst an den Krieg gewöhnen. Unpolitisches Erbarmen ließ mich für einen Augenblick vergessen, dass ich Deutscher bin und dass diese Gelben, die da vorüberwandern, unsere erbitterten Feinde sind, die auf deutsche Soldaten schossen und stachen und schlugen. Das vergaß ich für einen Augenblick, weil die meisten dieser Menschen da grauenhaft aussehen, herzergreifend. Sehen so auch die Unseren im Schützengraben aus? Dann wissen wir in der Heimat noch immer nicht, was Krieg ist, und was unsere lieben, treuen Feldgrauen um unserer Sicherheit willen ertragen müssen.
(Ebda., 19.1.1915)
(Adolph, Carin [1990]: Reisen zur deutschen Front, S. 9ff.)
(Braito, Emil Karl [2005]: Ludwig Ganghofer und seine Zeit, S. 393f. und 461-471)
(Scheichl, Sigurd Paul [2007]: Humor in der Kriegsberichterstattung, S. 245-253)
[Links: Soldaten beim Kartenspielen in einem Schützengraben, 12. Bayer.-Res.-Inf.-Regiment (Frankeich, Sommer und Herbst 1918), BSB/Johannes. Rechts: Soldaten und Offiziere in einem durch Wellbleche getarnten Schützengraben, 12. Bayer.-Res.-Inf.-Regiment (Frankreich, Sommer und Herbst 1918), BSB/Johannes.]