Ludwig Thoma: Hodlerei

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Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813. Gemälde von Ferdinand Hodler, 1908/09, Aula der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Das monumentale Historiengemälde versinnbildlicht ein bedeutendes Ereignis der antinapoleonischen Zeit und wurde von der Gesellschaft der Kunstfreunde in Jena und Weimar in Auftrag gegeben.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges dringt ein neuer Zug in Ludwig Thomas Dichtung ein. Davor eher linksliberal im Kampf gegen klerikalen Traditionalismus und wilhelminischen Militarismus orientiert, versteht sich Thoma nunmehr als vollkommener Patriot, für den Satire keine bzw. nur noch eine untergeordnete Rolle im Schreiben spielt.

In diesem Sinne plädiert er für die Einstellung des Satireblattes Simplicissimus, dessen wichtigster Autor er bis dahin gewesen ist. Er, der im Laufe der Zeit immer reaktionärer und chauvinistischer wird, tritt im Frühjahr 1917 aus der Redaktion aus und findet in der präfaschistischen Deutschen Vaterlands-Partei eine neue „Heimat“. Die Kriegsniederlage vom November 1918 verbittert den deutschnationalen Schriftsteller schließlich so sehr, dass er antisemitische Hetzartikel und politische Polemiken gegen die Sozialdemokratie für die Regionalzeitung Miesbacher Anzeiger verfasst.

Als ein Daheimgebliebener, der hinter der „Front“ seinen Beitrag zum deutschen Sieg leisten will, sieht sich Thoma von Anbeginn des Krieges. Seine Stimmungen, eine Momentaufnahme einer Zugfahrt von München nach Tegernsee am Abend des 1. August 1914 (März, Jg. 8 [1914], Bd. 3, S. 296-299), belegen dies ebenso wie sein ebenfalls in der Wochenschrift März erschienener Artikel Schützenvereine, worin er vorschlägt, die Schießausbildung der Männer in den Vereinen kriegstauglich zu machen (Jg. 8 [1914], Bd. 4, S. 291-294). Nicht zuletzt gehört es zu Thomas Anliegen, auf Angriffe von außen zu reagieren wie im Fall des Schweizer Malers Ferdinand Hodler (1853-1918).

Dieser hat den sog. „Genfer Protest“ gegen die Beschießung der Kathedrale von Reims durch die Deutschen am 20. September 1914 mit unterzeichnet. Nach seinem Protest wird Hodler von allen deutschen Künstlervereinigungen ausgeschlossen; der Zoologe, Philosoph und Freidenker Ernst Haeckel fordert in einem Offenen Brief, Hodlers Bild Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813 in Jena abhängen zu lassen und zu versteigern. Daraufhin schreibt März-Autor Theodor Heuss, der spätere erste Bundespräsident der BRD, am 31. Oktober 1914 eine Glosse unter dem Titel Was zuviel ist..., worin er Haeckel attackiert und Hodler verteidigt. Ludwig Thoma hat seinerseits mit einem polemischen Artikel gegen Hodler in den Münchner Neuesten Nachrichten am 10. Oktober 1914 reagiert. Darin heißt es:  

Wer in der Schweiz lebt, einen immerhin deutsch klingenden Namen führt und nicht verstehen will, um was es in diesem Kriege geht, und nicht weiß, wieviel unser Deutschland für die Gesittung Europas bedeutet, ja daß die Sicherung der höchsten kulturellen Güter von unserem Siege abhängt, dem fehlt die innere Bildung, die den großen Künstler ausmacht. Wir können es wirklich ertragen, daß uns Monsieur Hodlère als Vandalen brandmarken will, und wir dürfen sogar aus seinem Geschwätz eine Lehre ziehen: daß man Ausländer nur frech macht, wenn man Abgötterei mit ihnen treibt. Monsieur Hodlère, der seinen unzählige Male abgeklatschten Holzfäller [gemeint ist das gleichnamige Bild] jedem mit der Mode gehenden Kunstliebhaber für lächerliche Summen aufgehängt hat, darf am Ende die Lippen kräuseln. Aber an uns ist es, dafür zu sorgen, daß mit dem Humbug ein für allemal aufgeräumt wird.

(zit. n. Rösch, Gertrud M. [1989]: Ludwig Thoma als Journalist, S. 579)

Indem er Hodler die dem Künstler notwendige „innere Bildung“ abspricht, weil Hodler das kulturelle Verdienst der Deutschen in diesem Krieg nicht anerkenne, zeigt Thoma, auf welcher Seite er steht: auf der Seite der Nationalisten und kriegsbegeisterten Hurra-Patrioten. Für ihn ist Hodler nur einer der überschätzten und überzahlten ausländischen Künstler, „für welche Millionen deutsches Geld zum Fenster hinausgeworfen wurden“ und die der Erfolg in Deutschland „nur frech“ gemacht habe. Das in Jena hängende Fresko Auszug der Jenenser Studenten in den Freiheitskrieg 1813 stelle klar unter Beweis, dass Hodler dem Befreiungskrieg „kalt und fremd gegenüber stand“.

Thomas Kritik richtet sich aber auch gegen die Kritiker im Allgemeinen bzw. jene „Berliner Kreise“, „die seit Jahren systematisch bald diesem, bald jenem Ausländer übertriebene Marktwerte verschafften, während sie mit dem Aufgebot einer phrasenreichen Klugheit die deutsche bodenständige Kunst schlecht machten und heimischen Künstlern das Leben erschwerten.“ Damit nimmt er seine wütende Offensive in einem Brief vom 8. November 1914 an Conrad Hausmann vorweg, in dem er die Freude, „als kultivierter Gönner und Versteher der Kunst zu glänzen“, unverhohlen und grob als (ewige) „Schleimscheißerei“ bezeichnet.

(Rösch, Gertrud M. [1989]: Ludwig Thoma als Journalist, S. 291-295 und 579f.)

[Ferdinand Hodler: Holzfäller, 1910]

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik