Heinrich Mann: Der Bauer in der Touraine
So virulent Heinrich Mann den Typus des Untertanen dichterisch festhält, so ungleich mehr wiegt die Tatsache, dass nicht nur die Masse der Bevölkerung nationalistischen Ideen anheimfallen kann, sondern auch die Exponenten einer geistigen Elite. In seinem Essay Der Bauer in der Touraine (1914), wenige Monate vor Kriegsausbruch geschrieben, macht Mann in Frankreich ein geistiges Klima aus, das sich dem Krieg gegenüber affirmativ verhält – nicht bei den gängigen Chauvinisten, sondern bei den Autoren, die bis vor Kurzem noch Erzieher ihrer Leserschaft im Sinne der Aufklärung waren.
So auch bei dem französischen Romancier und Feuilletonisten Alfred Capus (1858-1922), den Heinrich Mann als Autor schätzen gelernt hat und dessen Roman Qui perd gagne (Wer zuletzt lacht) er 1901 übersetzt. Nicht ohne bittere Lust an der Rollensprache wird Capus' nationalistisches und patriotisches Denken – ähnlich wie im Essay Wir gebildeten Bürger – der intellektuellen Mimikry preisgegeben:
Der Patriotismus, die große Sensation unserer reiferen Jahre darf nicht Mode genannt werden wie die Gerechtigkeit; die ganze Zukunft wird sich auf dem Felde der Vaterlandsliebe vollziehen, und nicht auf dem des Menschentums! Die Weltanschauung des Patriotismus ist der Mut zur Wirklichkeit, zu der literarisch nicht verschleierten Wirklichkeit, die uns aus den Ereignissen entgegenschreit, daß wir immer blutrünstige Tiere bleiben, daß es keinen sittlichen Fortschritt gibt, daß die Völker nie einander kennen können. Und dies erschreckt uns nicht, es raubt uns nichts von unserer guten Laune. [...] Wie würde man vor zwanzig Jahren gezetert haben über das unfaßbar Kulturwidrige des Balkankrieges. Wir finden alle seine Greuel ganz natürlich. Die Nachrichten aus Deutschland stellen die Börsenkurse und unseren Patriotismus täglich so oft auf die Probe, daß wir diese wilden Sensationen nun schon lieben und abgehärtet und zu allem bereit sind, das Heldentum einbegriffen.
(zit. n. Schuhmacher, Klaus [2000]: Heinrich Mann, S. 129)
Die starre Gegenüberstellung Deutschland – Frankreich erscheint hier zugleich relativiert. Ebenso wird wahrer „sittlicher Fortschritt“ in dem Essay nicht mehr typologisch nationalen Traditionen zugeschrieben, sondern der Hoffnung auf den ‚besseren’ Deutschen bzw. Franzosen. „Vielleicht“, wendet Heinrich Mann traurig-ironisch ein, „gebe es kein besseres Mittel, um unseren sittlichen Fortschritt zu beweisen, als den berühmten Weltkrieg. Aber wird er kommen? Wird er der Aufforderung seiner zahlreichen Freunde, auf dem Boulevard und anderswo, Folge leisten? Davon hängt es ab, ob die primitiven Gefühle des Patrioten Capus nur trostlos sind, oder auch zwecklos.“ (Ebda., S. 130) Je länger zumindest diese im Frankreich der Gegenwart auszumachende „Komödianterei, Albernheit und Ohnmacht“ andauert, desto näher scheint die Zeit heranzurücken, wo die deutschen Feinde Sachverwalter der ‚besseren’ Ideen Frankreichs werden würden.
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So virulent Heinrich Mann den Typus des Untertanen dichterisch festhält, so ungleich mehr wiegt die Tatsache, dass nicht nur die Masse der Bevölkerung nationalistischen Ideen anheimfallen kann, sondern auch die Exponenten einer geistigen Elite. In seinem Essay Der Bauer in der Touraine (1914), wenige Monate vor Kriegsausbruch geschrieben, macht Mann in Frankreich ein geistiges Klima aus, das sich dem Krieg gegenüber affirmativ verhält – nicht bei den gängigen Chauvinisten, sondern bei den Autoren, die bis vor Kurzem noch Erzieher ihrer Leserschaft im Sinne der Aufklärung waren.
So auch bei dem französischen Romancier und Feuilletonisten Alfred Capus (1858-1922), den Heinrich Mann als Autor schätzen gelernt hat und dessen Roman Qui perd gagne (Wer zuletzt lacht) er 1901 übersetzt. Nicht ohne bittere Lust an der Rollensprache wird Capus' nationalistisches und patriotisches Denken – ähnlich wie im Essay Wir gebildeten Bürger – der intellektuellen Mimikry preisgegeben:
Der Patriotismus, die große Sensation unserer reiferen Jahre darf nicht Mode genannt werden wie die Gerechtigkeit; die ganze Zukunft wird sich auf dem Felde der Vaterlandsliebe vollziehen, und nicht auf dem des Menschentums! Die Weltanschauung des Patriotismus ist der Mut zur Wirklichkeit, zu der literarisch nicht verschleierten Wirklichkeit, die uns aus den Ereignissen entgegenschreit, daß wir immer blutrünstige Tiere bleiben, daß es keinen sittlichen Fortschritt gibt, daß die Völker nie einander kennen können. Und dies erschreckt uns nicht, es raubt uns nichts von unserer guten Laune. [...] Wie würde man vor zwanzig Jahren gezetert haben über das unfaßbar Kulturwidrige des Balkankrieges. Wir finden alle seine Greuel ganz natürlich. Die Nachrichten aus Deutschland stellen die Börsenkurse und unseren Patriotismus täglich so oft auf die Probe, daß wir diese wilden Sensationen nun schon lieben und abgehärtet und zu allem bereit sind, das Heldentum einbegriffen.
(zit. n. Schuhmacher, Klaus [2000]: Heinrich Mann, S. 129)
Die starre Gegenüberstellung Deutschland – Frankreich erscheint hier zugleich relativiert. Ebenso wird wahrer „sittlicher Fortschritt“ in dem Essay nicht mehr typologisch nationalen Traditionen zugeschrieben, sondern der Hoffnung auf den ‚besseren’ Deutschen bzw. Franzosen. „Vielleicht“, wendet Heinrich Mann traurig-ironisch ein, „gebe es kein besseres Mittel, um unseren sittlichen Fortschritt zu beweisen, als den berühmten Weltkrieg. Aber wird er kommen? Wird er der Aufforderung seiner zahlreichen Freunde, auf dem Boulevard und anderswo, Folge leisten? Davon hängt es ab, ob die primitiven Gefühle des Patrioten Capus nur trostlos sind, oder auch zwecklos.“ (Ebda., S. 130) Je länger zumindest diese im Frankreich der Gegenwart auszumachende „Komödianterei, Albernheit und Ohnmacht“ andauert, desto näher scheint die Zeit heranzurücken, wo die deutschen Feinde Sachverwalter der ‚besseren’ Ideen Frankreichs werden würden.