Rainer Maria Rilke: „Auf den Bergen des Herzens“
Rainer Maria Rilke distanziert sich schon früh vom Kriegsgeschehen: Seine Weigerung in einem Brief vom Oktober 1914 an den Verleger Axel Juncker, Kriegsdichtungen zu verfassen („‚Kriegslieder’ sind keine bei mir zu holen, beim besten Willen“), sowie seine Ablehnung der in verschiedenen Städten stattfindenden musikalischen Untermalungen des Cornet (1899), seiner heldenverklärenden Jugenddichtung, sprechen für sich.
In Irschenhausen, wo Rilke sich auf Anraten seines Münchner Arztes zurückgezogen hat, lernt er Mitte September 1914 die Malerin Lou Albert-Lasard (1885-1969) kennen. Die gebürtige Lothringerin steht – wie die Schriftstellerin Annette Kolb – zwischen den beiden verfeindeten Ländern Frankreich und Deutschland; ihr Pazifismus und ihre Kunstausübung schaffen viele Berührungspunkte zu Rilke. Eine dauerhafte leidenschaftliche Beziehung ist den beiden allerdings nicht beschieden.
An Lou wird Rilke bis zum 10. Dezember 1914 fünfzehn Gedichte schreiben. Das Gedicht vom 20. September schickt er nach Kriegsende an seinen Verleger Kippenberg nach Leipzig – als Teil seines Duineser Elegien-Projekts das er bereits im Januar 1912 in Duino bei Triest begonnen hat.
Die zentrale Botschaft ist einfach: Es gibt Gefühle und Empfindungen, die nicht verbalisiert werden können. Denn sie befinden sich gipfelwärts, oberhalb der Sprache und für den Dichter unerreichbar.
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort,
siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher,
aber wie klein auch, noch ein letztes
Gehöft von Gefühl. Erkennst du's?
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund
unter den Händen. Hier blüht wohl
einiges auf; aus stummem Absturz
blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.
Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann
und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens.
Da geht wohl, heilen Bewußtseins,
manches umher, manches gesicherte Bergtier,
wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel
kreist um der Gipfel reine Verweigerung. – Aber
ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens.
(zit. n. Jaegle, Dietmar; Weber, Silke [Red.] (2013): August 1914, Teil „Der Krieg im Archiv. Ein Kalendarium, September 1914 – Dezember 1918“, S. 8f.)
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Rainer Maria Rilke distanziert sich schon früh vom Kriegsgeschehen: Seine Weigerung in einem Brief vom Oktober 1914 an den Verleger Axel Juncker, Kriegsdichtungen zu verfassen („‚Kriegslieder’ sind keine bei mir zu holen, beim besten Willen“), sowie seine Ablehnung der in verschiedenen Städten stattfindenden musikalischen Untermalungen des Cornet (1899), seiner heldenverklärenden Jugenddichtung, sprechen für sich.
In Irschenhausen, wo Rilke sich auf Anraten seines Münchner Arztes zurückgezogen hat, lernt er Mitte September 1914 die Malerin Lou Albert-Lasard (1885-1969) kennen. Die gebürtige Lothringerin steht – wie die Schriftstellerin Annette Kolb – zwischen den beiden verfeindeten Ländern Frankreich und Deutschland; ihr Pazifismus und ihre Kunstausübung schaffen viele Berührungspunkte zu Rilke. Eine dauerhafte leidenschaftliche Beziehung ist den beiden allerdings nicht beschieden.
An Lou wird Rilke bis zum 10. Dezember 1914 fünfzehn Gedichte schreiben. Das Gedicht vom 20. September schickt er nach Kriegsende an seinen Verleger Kippenberg nach Leipzig – als Teil seines Duineser Elegien-Projekts das er bereits im Januar 1912 in Duino bei Triest begonnen hat.
Die zentrale Botschaft ist einfach: Es gibt Gefühle und Empfindungen, die nicht verbalisiert werden können. Denn sie befinden sich gipfelwärts, oberhalb der Sprache und für den Dichter unerreichbar.
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Siehe, wie klein dort,
siehe: die letzte Ortschaft der Worte, und höher,
aber wie klein auch, noch ein letztes
Gehöft von Gefühl. Erkennst du's?
Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens. Steingrund
unter den Händen. Hier blüht wohl
einiges auf; aus stummem Absturz
blüht ein unwissendes Kraut singend hervor.
Aber der Wissende? Ach, der zu wissen begann
und schweigt nun, ausgesetzt auf den Bergen des Herzens.
Da geht wohl, heilen Bewußtseins,
manches umher, manches gesicherte Bergtier,
wechselt und weilt. Und der große geborgene Vogel
kreist um der Gipfel reine Verweigerung. – Aber
ungeborgen, hier auf den Bergen des Herzens.
(zit. n. Jaegle, Dietmar; Weber, Silke [Red.] (2013): August 1914, Teil „Der Krieg im Archiv. Ein Kalendarium, September 1914 – Dezember 1918“, S. 8f.)