Bayern im Sommer 1914: Der König und der Kriegsausbruch
[Links: Ansprache Kaiser Wilhelms II. vom königlichen Schloss in Berlin, Fotografie 1. August 1914. Album Der Weltkrieg in der Photographie um 1915, BSB/Porträtsammlung. Rechts: König Ludwig III. besichtigt „Eroberte französische Geschütze in München“ vor „G. Hess Buch u. Kunst Antiquariat“. Lichtdruck nach einer Fotografie um 1914, BSB/Porträtsammlung.]
Am 1. August 1914 verkündet König Ludwig III. abends um 19 Uhr 30 die Mobilmachung. Die Bekanntmachung wird als Plakat ausgehängt und in zahlreichen bayerischen Tageszeitungen abgedruckt. Wie in Kaiser Wilhelms II. Rede vom gleichen Tag wird auch bei Ludwig der Verteidigungskrieg beschworen, der dem deutschen und bayerischen Volk aufgezwungen worden sei, um damit den Zusammenhalt in der Bevölkerung und in den politischen Parteien zu stärken. Noch am selben Tag stimmen alle Parteien des Reichstages den Kriegskrediten zu.
Die patriotische Hochstimmung äußert sich in Huldigungen gegenüber dem König und der Königin Marie Therese. Vor der Feldherrnhalle und dem Wittelsbacher Palais in München kommen freudig bewegte Menschen zusammen und stimmen die Königshymne an. Auch der in München geborene Schriftsteller Johannes R. Becher, nach 1949 Kulturminister der DDR, gehört zu ihren Zuhörern:
Als wir uns zum Residenzplatz duchgezwängt hatten, der innen für den Aufmarsch aller Münchener Regimenter gesperrt war, dröhnte von der Feldherrnhalle her der bayerische Defiliermarsch. Die Fenster im ersten Stock der Residenz leuchteten auf. Die Flügeltüren zum Balkon, über dessen Geländer das bayerische Wappen ausgebreitet herabhing, öffneten sich weit. Warmer leichter Wind ging. Die Pechflammen auf den Kandelabern loderten. Das Dröhnen der Musikkapelle, von Paukenstößen und Trommelschlägen verstärkt, rückte von der Residenzstraße näher.
(zit. n. Wilhelm, Hermann [2013]: München im Ersten Weltkrieg, S. 12f.)
Distanzierter als Becher und mit kritischen Untertönen konstatiert Oskar Maria Graf das Geschehen:
In den zwei Wochen, die ich noch in München blieb, veränderte sich das Gesicht der Stadt doch ein wenig. Die zahlreichen französischen und englischen Aufschriften der vornehmen Auslagefenster verschwanden. Der alte graubärtige König sprach einmal vom Balkon seiner Residenz. Aus dem gegenüberliegenden, von alten Kastanienbäumen beschatteten Hofgarten-Café kamen zahlreiche Gäste herbei. Zufällige Spaziergänger und Straßenpassanten gesellten sich dazu. Es mochten vielleicht vier- bis fünfhundert Menschen sein, die ein wenig neugierig und unerregt zum Balkon emporschauten. Der König Ludwig III., an den man sich zwar gewöhnt hatte, der indessen nie populär war, sprach unpathetisch, und seine Worte waren anheimelnd dialektgefärbt. Er sagte ungefähr, daß uns nun einmal der Krieg aufgezwungen worden sei, und ein jeder müsse jetzt eben sein Pflicht tun, bis Gott, der Herr, uns zu einer günstigen Entscheidung verhelfe. Er war schon über sechzig Jahre alt und ein einfacher, streng katholischer Mensch, der sich hauptsächlich für Landwirtschaft interessierte. Immer noch verübelten ihm die Leute, daß er als der älteste Sohn des inzwischen verstorbenen Prinzregenten Luitpold sich gegen das verfassungsmäßige Recht hatte zum König ernennen lassen, obgleich der Bruder König Ludwigs II., der geisteskranke Otto, noch lebte und nach dem Buchstaben ein Anrecht auf den Thron gehabt hätte.
„Und nun mit Gott für unser Vaterland!“ schloß der König schlicht und ein wenig unvermittelt. Da und dort riefen einige „Hoch!“ oder klatschten, und schließlich stimmten alle die Hymne „Gott mit dir, du Land der Bayern!“ an. Der König verschwand. Diskutierend gingen die Leute auseinander. [...]
(Oskar Maria Graf: Das Leben meiner Mutter, S. 453f.)
König Ludwig III., der wegen seines Engagements für sein bäuerlich-landwirtschaftliches Gut Leutstetten von den Münchnern auch den Spitznamen „Millibauer“ erhält, gibt sich siegesgewiss. Eroberungspläne und territoriale Machterweiterungsgedanken machen sich bei ihm breit. Bereits Mitte August 1914 formuliert er „wittelsbachische Kriegsziele“, darunter die Aufteilung Elsass-Lothringens, eine „deutsche Rheinmündung“ sowie das Verschwinden Belgiens von der Landkarte.
(Schmalzl, Markus [2014]: Das „August-Erlebnis“ – Ein Aufbruch, S. 97ff.)
(Wilhelm, Hermann [2013]: München im Ersten Weltkrieg, S. 11ff.)
[Text der Ansprache von Kaiser Wilhelm II. An das deutsche Volk!, vermutlich plakatierte Version des Aufrufs oder Sonderabdruck im Reichsanzeiger vom 6. August 1914.]
Weitere Kapitel:
[Links: Ansprache Kaiser Wilhelms II. vom königlichen Schloss in Berlin, Fotografie 1. August 1914. Album Der Weltkrieg in der Photographie um 1915, BSB/Porträtsammlung. Rechts: König Ludwig III. besichtigt „Eroberte französische Geschütze in München“ vor „G. Hess Buch u. Kunst Antiquariat“. Lichtdruck nach einer Fotografie um 1914, BSB/Porträtsammlung.]
Am 1. August 1914 verkündet König Ludwig III. abends um 19 Uhr 30 die Mobilmachung. Die Bekanntmachung wird als Plakat ausgehängt und in zahlreichen bayerischen Tageszeitungen abgedruckt. Wie in Kaiser Wilhelms II. Rede vom gleichen Tag wird auch bei Ludwig der Verteidigungskrieg beschworen, der dem deutschen und bayerischen Volk aufgezwungen worden sei, um damit den Zusammenhalt in der Bevölkerung und in den politischen Parteien zu stärken. Noch am selben Tag stimmen alle Parteien des Reichstages den Kriegskrediten zu.
Die patriotische Hochstimmung äußert sich in Huldigungen gegenüber dem König und der Königin Marie Therese. Vor der Feldherrnhalle und dem Wittelsbacher Palais in München kommen freudig bewegte Menschen zusammen und stimmen die Königshymne an. Auch der in München geborene Schriftsteller Johannes R. Becher, nach 1949 Kulturminister der DDR, gehört zu ihren Zuhörern:
Als wir uns zum Residenzplatz duchgezwängt hatten, der innen für den Aufmarsch aller Münchener Regimenter gesperrt war, dröhnte von der Feldherrnhalle her der bayerische Defiliermarsch. Die Fenster im ersten Stock der Residenz leuchteten auf. Die Flügeltüren zum Balkon, über dessen Geländer das bayerische Wappen ausgebreitet herabhing, öffneten sich weit. Warmer leichter Wind ging. Die Pechflammen auf den Kandelabern loderten. Das Dröhnen der Musikkapelle, von Paukenstößen und Trommelschlägen verstärkt, rückte von der Residenzstraße näher.
(zit. n. Wilhelm, Hermann [2013]: München im Ersten Weltkrieg, S. 12f.)
Distanzierter als Becher und mit kritischen Untertönen konstatiert Oskar Maria Graf das Geschehen:
In den zwei Wochen, die ich noch in München blieb, veränderte sich das Gesicht der Stadt doch ein wenig. Die zahlreichen französischen und englischen Aufschriften der vornehmen Auslagefenster verschwanden. Der alte graubärtige König sprach einmal vom Balkon seiner Residenz. Aus dem gegenüberliegenden, von alten Kastanienbäumen beschatteten Hofgarten-Café kamen zahlreiche Gäste herbei. Zufällige Spaziergänger und Straßenpassanten gesellten sich dazu. Es mochten vielleicht vier- bis fünfhundert Menschen sein, die ein wenig neugierig und unerregt zum Balkon emporschauten. Der König Ludwig III., an den man sich zwar gewöhnt hatte, der indessen nie populär war, sprach unpathetisch, und seine Worte waren anheimelnd dialektgefärbt. Er sagte ungefähr, daß uns nun einmal der Krieg aufgezwungen worden sei, und ein jeder müsse jetzt eben sein Pflicht tun, bis Gott, der Herr, uns zu einer günstigen Entscheidung verhelfe. Er war schon über sechzig Jahre alt und ein einfacher, streng katholischer Mensch, der sich hauptsächlich für Landwirtschaft interessierte. Immer noch verübelten ihm die Leute, daß er als der älteste Sohn des inzwischen verstorbenen Prinzregenten Luitpold sich gegen das verfassungsmäßige Recht hatte zum König ernennen lassen, obgleich der Bruder König Ludwigs II., der geisteskranke Otto, noch lebte und nach dem Buchstaben ein Anrecht auf den Thron gehabt hätte.
„Und nun mit Gott für unser Vaterland!“ schloß der König schlicht und ein wenig unvermittelt. Da und dort riefen einige „Hoch!“ oder klatschten, und schließlich stimmten alle die Hymne „Gott mit dir, du Land der Bayern!“ an. Der König verschwand. Diskutierend gingen die Leute auseinander. [...]
(Oskar Maria Graf: Das Leben meiner Mutter, S. 453f.)
König Ludwig III., der wegen seines Engagements für sein bäuerlich-landwirtschaftliches Gut Leutstetten von den Münchnern auch den Spitznamen „Millibauer“ erhält, gibt sich siegesgewiss. Eroberungspläne und territoriale Machterweiterungsgedanken machen sich bei ihm breit. Bereits Mitte August 1914 formuliert er „wittelsbachische Kriegsziele“, darunter die Aufteilung Elsass-Lothringens, eine „deutsche Rheinmündung“ sowie das Verschwinden Belgiens von der Landkarte.
(Schmalzl, Markus [2014]: Das „August-Erlebnis“ – Ein Aufbruch, S. 97ff.)
(Wilhelm, Hermann [2013]: München im Ersten Weltkrieg, S. 11ff.)
[Text der Ansprache von Kaiser Wilhelm II. An das deutsche Volk!, vermutlich plakatierte Version des Aufrufs oder Sonderabdruck im Reichsanzeiger vom 6. August 1914.]