Thomas Corinth in Urfeld am Walchensee
Nach Lovis Corinths Tod kommt die Familie nur noch selten an den Walchensee und verkauft das Holzhaus in Urfeld. In seiner persönlichen Erinnerung vom 4. August 1924 gedenkt sein Sohn Thomas ihres gemeinsamen Aufenthalts im Häuschen Petermann, wobei er auch eine private Entstehungsgeschichte von Corinths berühmtem Walchensee-Gemälde zeichnet – Lovis sei danach nach eigener Aussage „ein ganz anderer Kerl“ geworden:
Wir waren in unserem Häuschen in Urfeld am Walchensee am Fuße des Herzogstandes. Mein Zimmer lag im ersten Stock neben Lovis' Schlafzimmer, das durch eine Tür auf den Balkon ging. Von dort hatte man über die Terrasse unseres Hauses einen weiten Blick über Bäume, Wiesen und den See. Diesen Morgen erwachte ich gegen fünf Uhr durch ein Geräusch auf Lovis' Balkon. Ich ging ans Fenster und sah meinen Vater, nur mit Nachtgewand bekleidet, draußen auf dem Balkon mit größter Konzentration ein Bild malen. Ich war ganz perplex und auch besorgt, dass Lovis sich draußen eine Erkältung zuziehen könnte. Ich ging daher zu ihm rüber, und bat ihn, sich wenigstens etwas Wärmeres anzuziehen. Lovis wurde darauf furchtbar böse über die Störung und schnauzte mich an, ihn in Ruhe zu lassen, und er würde das Malen hinschmeißen, wenn ich ihn noch weiter belästigte. Um ihm nicht durch Aufregung zu schaden, ging ich sofort ohne ein weiteres Wort in mein Zimmer zurück. Er vollendete dann sein wundervolles Walchensee, Morgennebel (WKK 959, 1924), und die kühle Morgenluft hatte ihm auch weiter nichts angehabt. Später besahen wir uns dies Gemälde; wie er es mich gelehrt hatte, betrachtete ich es auf einige Meter Abstand mit zusammengekniffenen Augen blinzelnd, damit sich der auf dem Bild z.T. ungemischte Farbenauftrag wie vom Künstler gewollt verschmelzen könne. Durch diese Betrachtungsweise erhielt man einen berückenden Eindruck von der Atmosphäre und Stimmung der Landschaft, wie der Maler sie empfunden hatte und ausdrücken wollte. Auch Lovis schätzte sein Werk und setzte einen verhältnismäßig hohen Verkaufspreis an; er wäre ja nun, wie er sich ausdrückte, „ein ganz anderer Kerl“ geworden. (Zit. aus: Thomas Corinth: Persönliche Erinnerung, 4. August 1924. In: Lovis Corinth. Eine Dokumentation, zusammengestellt und erläutert von Thomas Corinth. Tübingen 1979, S. 318.)
Sekundärliteratur:
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 94, S. 249.
Weitere Kapitel:
Nach Lovis Corinths Tod kommt die Familie nur noch selten an den Walchensee und verkauft das Holzhaus in Urfeld. In seiner persönlichen Erinnerung vom 4. August 1924 gedenkt sein Sohn Thomas ihres gemeinsamen Aufenthalts im Häuschen Petermann, wobei er auch eine private Entstehungsgeschichte von Corinths berühmtem Walchensee-Gemälde zeichnet – Lovis sei danach nach eigener Aussage „ein ganz anderer Kerl“ geworden:
Wir waren in unserem Häuschen in Urfeld am Walchensee am Fuße des Herzogstandes. Mein Zimmer lag im ersten Stock neben Lovis' Schlafzimmer, das durch eine Tür auf den Balkon ging. Von dort hatte man über die Terrasse unseres Hauses einen weiten Blick über Bäume, Wiesen und den See. Diesen Morgen erwachte ich gegen fünf Uhr durch ein Geräusch auf Lovis' Balkon. Ich ging ans Fenster und sah meinen Vater, nur mit Nachtgewand bekleidet, draußen auf dem Balkon mit größter Konzentration ein Bild malen. Ich war ganz perplex und auch besorgt, dass Lovis sich draußen eine Erkältung zuziehen könnte. Ich ging daher zu ihm rüber, und bat ihn, sich wenigstens etwas Wärmeres anzuziehen. Lovis wurde darauf furchtbar böse über die Störung und schnauzte mich an, ihn in Ruhe zu lassen, und er würde das Malen hinschmeißen, wenn ich ihn noch weiter belästigte. Um ihm nicht durch Aufregung zu schaden, ging ich sofort ohne ein weiteres Wort in mein Zimmer zurück. Er vollendete dann sein wundervolles Walchensee, Morgennebel (WKK 959, 1924), und die kühle Morgenluft hatte ihm auch weiter nichts angehabt. Später besahen wir uns dies Gemälde; wie er es mich gelehrt hatte, betrachtete ich es auf einige Meter Abstand mit zusammengekniffenen Augen blinzelnd, damit sich der auf dem Bild z.T. ungemischte Farbenauftrag wie vom Künstler gewollt verschmelzen könne. Durch diese Betrachtungsweise erhielt man einen berückenden Eindruck von der Atmosphäre und Stimmung der Landschaft, wie der Maler sie empfunden hatte und ausdrücken wollte. Auch Lovis schätzte sein Werk und setzte einen verhältnismäßig hohen Verkaufspreis an; er wäre ja nun, wie er sich ausdrückte, „ein ganz anderer Kerl“ geworden. (Zit. aus: Thomas Corinth: Persönliche Erinnerung, 4. August 1924. In: Lovis Corinth. Eine Dokumentation, zusammengestellt und erläutert von Thomas Corinth. Tübingen 1979, S. 318.)
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 94, S. 249.