Skandale und Skandälchen
Bettina Brentano weilt von Herbst 1808 in München. Sie bezieht Quartier in der Rosenstraße 11 und beginnt ein Musikstudium. Mit ihrer unbekümmerten Direktheit stößt sie viele vor den Kopf, unter anderem auch Caroline Schelling, die über die 23-Jährige schreibt:
Es ist ein wunderliches kleine Wesen, eine wahre Bettine (aus den venetianischen Epigrammen) an körperlicher Schmieg- und Biegsamkeit, innerlich verständig, aber äußerlich ganz thöricht, anständig und doch über allen Anstand hinaus, alles aber, was sie ist und thut, ist nicht rein natürlich, und doch ist es ihr unmöglich anders zu seyn. Sie leidet an dem Brentanoischen Familienübel: einer zur Natur gewordenen Verschrobenheit [...].
Andererseits schließt sie viele Freundschaften, unter anderem mit dem Schriftsteller Ludwig Tieck, den Caroline noch aus Jenaer Zeiten kennt.
Hier kam sie mit ihrem Schwager Savigny her, welcher in Landshut angestellt ist, blieb aber ohne ihn, um singen zu lernen und Tiek zu pflegen, der seit Weihnachten an der Gicht kläglich danieder liegt und viel zartes Mitleid erregt. Den Leuten, die ihn besuchten, hat sie viel Spektakel und Skandal gegeben, sie tändelt mit ihm in Worten und Werken, nennt ihn Du, küßt ihn, und sagt ihm dabei die ärgsten Wahrheiten, ist auch ganz im Klaren über ihn, also keineswegs etwa verliebt.
[...]
Mit den Tieks ist überhaupt eine närrische Wirtschaft hier eingezogen. Wir wußten wohl von sonst und hatten es nur vor der Hand wieder vergessen, dass unser Freund Tiek nichts ist als ein anmuthiger und würdiger Lump, von dem einer seiner Freunde ein Lied gedichtet, das anfängt:
Wie ein blinder Passagier
Fahr ich auf des Lebens Posten,
Einer Freundschaft ohne Kosten
Rühmt sich keiner je mit mir.
(Caroline Schelling an Pauline Gotter. München 1. März 1809. In: Caroline Schlegel-Schelling: „Lieber Freund, ich komme weit her schon an diesem frühen Morgen“. Briefe. Hg. von Sigrid Damm. Luchterhand, Darmstadt 1980, S. 339f.)
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Bettina Brentano weilt von Herbst 1808 in München. Sie bezieht Quartier in der Rosenstraße 11 und beginnt ein Musikstudium. Mit ihrer unbekümmerten Direktheit stößt sie viele vor den Kopf, unter anderem auch Caroline Schelling, die über die 23-Jährige schreibt:
Es ist ein wunderliches kleine Wesen, eine wahre Bettine (aus den venetianischen Epigrammen) an körperlicher Schmieg- und Biegsamkeit, innerlich verständig, aber äußerlich ganz thöricht, anständig und doch über allen Anstand hinaus, alles aber, was sie ist und thut, ist nicht rein natürlich, und doch ist es ihr unmöglich anders zu seyn. Sie leidet an dem Brentanoischen Familienübel: einer zur Natur gewordenen Verschrobenheit [...].
Andererseits schließt sie viele Freundschaften, unter anderem mit dem Schriftsteller Ludwig Tieck, den Caroline noch aus Jenaer Zeiten kennt.
Hier kam sie mit ihrem Schwager Savigny her, welcher in Landshut angestellt ist, blieb aber ohne ihn, um singen zu lernen und Tiek zu pflegen, der seit Weihnachten an der Gicht kläglich danieder liegt und viel zartes Mitleid erregt. Den Leuten, die ihn besuchten, hat sie viel Spektakel und Skandal gegeben, sie tändelt mit ihm in Worten und Werken, nennt ihn Du, küßt ihn, und sagt ihm dabei die ärgsten Wahrheiten, ist auch ganz im Klaren über ihn, also keineswegs etwa verliebt.
[...]
Mit den Tieks ist überhaupt eine närrische Wirtschaft hier eingezogen. Wir wußten wohl von sonst und hatten es nur vor der Hand wieder vergessen, dass unser Freund Tiek nichts ist als ein anmuthiger und würdiger Lump, von dem einer seiner Freunde ein Lied gedichtet, das anfängt:
Wie ein blinder Passagier
Fahr ich auf des Lebens Posten,
Einer Freundschaft ohne Kosten
Rühmt sich keiner je mit mir.
(Caroline Schelling an Pauline Gotter. München 1. März 1809. In: Caroline Schlegel-Schelling: „Lieber Freund, ich komme weit her schon an diesem frühen Morgen“. Briefe. Hg. von Sigrid Damm. Luchterhand, Darmstadt 1980, S. 339f.)