Carl Zuckmayer in Henndorf
Im österreichischen Henndorf bei Salzburg kauft der Schriftsteller und Theaterautor Carl Zuckmayer von den Tantiemen, die ihm sein Theaterstück Der fröhliche Weinberg einbringt, 1926 ein Haus: die Wiesmühl. Ein Zentrum deutschsprachiger Schriftsteller und Künstler (darunter Ödön von Horváth, Franz Theodor Csokor, Stefan Zweig, Albrecht Joseph, Richard Billinger), entstehen dort fast alle seiner literarischen Arbeiten. Mit Hitlers Machtergreifung 1933 wird die Wiesmühl für Zuckmayer bis zum Anschluss Österreichs 1938 schließlich zum Exil. Für die Übergangszeit, bis er die „vielfach reparaturbedürftige Wiesmühl“ beziehen kann, lebt er zusammen mit seiner Frau im Henndorfer Gasthof Bräu in einem Zimmer, in dem es angeblich spukt:
Da wir zu zweit waren und nach den angeregten Abenden im Gastgarten oder in der Wirtsstube gewöhnlich leicht beschwipst zu Bett gingen, fürchteten wir uns nicht – aber meine Frau war damals in Hoffnung (mit unserer nachmals in etwas infantiler Laune „Winnetou“ benannten Tochter), und dieser Zustand machte sie wohl besonders empfänglich für parapsychologische Einflüsse: Jede Nacht, in der tiefen Dunkelheit, die dem ersten Dämmern vorausgeht, erwachte sie mit einer so lähmenden Beklemmung, dass sie die Hand nicht nach dem Lichtschalter oder nach mir auszustrecken wagte, in der Vorstellung, auf etwas Kaltes oder Leichenhaftes zu greifen. Ich muss zugeben, dass ich selbst, als ich später das Zimmer allein bewohnte, öfters gegen Morgen ähnliche Sensationen empfand, von denen mich dann der erste Hahnenschrei aus dem nächstgelegenen Bauernhof befreite. Die alten Bilder mochten das ihre zu einer gewissen reizvollen Unheimlichkeit des Zimmers beitragen – ein verschollener Habsburger mit greisenhaften Zügen bekam in der schummrigen Beleuchtung durch die altmodischen Lampenschirme grelle, stechende Augen, und es gab da eine Madonna, in deren erhöhtem Leib man, wenn das Licht darauffiel, wie hinter einem durchsichtigen Gewebe das bereits von einer Aura umstrahlte und Kreuzlein haltende Christuskind sehen konnte: kein entspannender Anblick für eine schwangere Frau. (Zit. aus: Carl Zuckmayer: Als wär's ein Stück von mir. Horen der Freundschaft. Lizenzausgabe der Herder-Buchgemeinde o.J., S. 16, S. 25f. © S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1966)
Sekundärliteratur:
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 97f., S. 266.
Weitere Kapitel:
Im österreichischen Henndorf bei Salzburg kauft der Schriftsteller und Theaterautor Carl Zuckmayer von den Tantiemen, die ihm sein Theaterstück Der fröhliche Weinberg einbringt, 1926 ein Haus: die Wiesmühl. Ein Zentrum deutschsprachiger Schriftsteller und Künstler (darunter Ödön von Horváth, Franz Theodor Csokor, Stefan Zweig, Albrecht Joseph, Richard Billinger), entstehen dort fast alle seiner literarischen Arbeiten. Mit Hitlers Machtergreifung 1933 wird die Wiesmühl für Zuckmayer bis zum Anschluss Österreichs 1938 schließlich zum Exil. Für die Übergangszeit, bis er die „vielfach reparaturbedürftige Wiesmühl“ beziehen kann, lebt er zusammen mit seiner Frau im Henndorfer Gasthof Bräu in einem Zimmer, in dem es angeblich spukt:
Da wir zu zweit waren und nach den angeregten Abenden im Gastgarten oder in der Wirtsstube gewöhnlich leicht beschwipst zu Bett gingen, fürchteten wir uns nicht – aber meine Frau war damals in Hoffnung (mit unserer nachmals in etwas infantiler Laune „Winnetou“ benannten Tochter), und dieser Zustand machte sie wohl besonders empfänglich für parapsychologische Einflüsse: Jede Nacht, in der tiefen Dunkelheit, die dem ersten Dämmern vorausgeht, erwachte sie mit einer so lähmenden Beklemmung, dass sie die Hand nicht nach dem Lichtschalter oder nach mir auszustrecken wagte, in der Vorstellung, auf etwas Kaltes oder Leichenhaftes zu greifen. Ich muss zugeben, dass ich selbst, als ich später das Zimmer allein bewohnte, öfters gegen Morgen ähnliche Sensationen empfand, von denen mich dann der erste Hahnenschrei aus dem nächstgelegenen Bauernhof befreite. Die alten Bilder mochten das ihre zu einer gewissen reizvollen Unheimlichkeit des Zimmers beitragen – ein verschollener Habsburger mit greisenhaften Zügen bekam in der schummrigen Beleuchtung durch die altmodischen Lampenschirme grelle, stechende Augen, und es gab da eine Madonna, in deren erhöhtem Leib man, wenn das Licht darauffiel, wie hinter einem durchsichtigen Gewebe das bereits von einer Aura umstrahlte und Kreuzlein haltende Christuskind sehen konnte: kein entspannender Anblick für eine schwangere Frau. (Zit. aus: Carl Zuckmayer: Als wär's ein Stück von mir. Horen der Freundschaft. Lizenzausgabe der Herder-Buchgemeinde o.J., S. 16, S. 25f. © S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1966)
Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 97f., S. 266.