Studentenbewegung literarisch: Peter Schneider, „Lenz“

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Skizze von Georg Büchner, gefertigt von Alexis Muston um 1835.

Der zweite literarische Klassiker, den 1968 hervorbrachte, ist Peter Schneiders Novelle Lenz. Die Titelwahl darf durchaus als Anspielung auf Georg Büchners Lenz verstanden werden. Schneider, selbst einer der Wortführer der Studentenbewegung und enger Freund des Berliner Studentenführers Rudi Dutschke, beschreibt in seiner Erzählung die Schwierigkeiten des jungen Schriftstellers Lenz Ende der 1960er-Jahre. Lenz ist als politischer Aktivist und Mitglied diverser linker Gruppen in vielerlei Theoriedebatten verwickelt. Um der Arbeiterklasse näher zu kommen, arbeitet er zeitgleich in einem Betrieb. Dennoch fühlt er sich nirgends wirklich zugehörig, irrt verloren durch die Stadt. Nachdem ihn die Theoriediskussion in der Bundesrepublik zunehmend zermürbt hat, fällt er immer mehr auf sich selbst zurück. Schließlich geht er nach Italien, wo er eine bessere Verbindung zwischen Theorie und Praxis, Öffentlichkeit und Privatheit erlebt. Nach einer politischen Aktion wird er verhaftet und nach Deutschland abgeschoben. Er kehrt nach Berlin zurück, wo er endlich seinen Platz findet. Peter Schneiders Erzählung, die als literarisches Meisterwerk gilt, wurde zum Wegbereiter einer neuen Innerlichkeit, die prägend für die Literatur der 1970er-Jahre wurde.

Morgens wachte Lenz aus einem seiner üblichen Träume auf. [...] Er sprang aus dem Bett.

[...]

Schon seit einiger Zeit konnte er das weise Marxgesicht über seinem Bett nicht mehr ausstehen. Er hatte es schon einmal verkehrt herum aufgehängt. Um den Verstand abtropfen zu lassen, hatte er einem Freund erklärt. Er sah Marx in die Augen: „Was waren deine Träume, alter Besserwisser, nachts meine ich? Warst du eigentlich glücklich“?

(Peter Schneider: Lenz. Eine Erzählung. Rotbuch Verlag, Berlin 1973, S. 5)

Dreißig Jahre rekapitulierte Peter Schneider in einem Erinnerungsband die Jahre der Rebellion:

Es war eine schöne und schreckliche Zeit. Meinen Kindern sage ich: Es ist nötig – und wird immer wieder nötig sein und Mut erfordern , gegen selbsternannte Herren der Welt und eine feige oder übergeschnappte Obrigkeit zu rebellieren. Aber noch mehr Mut gehört dazu, gegen die Führer in der eigenen Gruppe aufzustehen und zu sagen: „Ihr spinnt! Ihr seid verrückt geworden!“  wenn ebendies der Fall ist.

(Peter Schneider: Rebellion und Wahn. Mein ´68. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, S. 362)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Michaela Karl