Die Rache der Sieger
Bis zum Nachmittag des 2. Mai 1919 dauerten die Kämpfe an. Dann war die Räterepublik besiegt, die Revolution in Bayern endgültig vorbei. Was nun einsetzte, schildert der Schriftsteller Gustav Regler, der sich als Student an der Revolution beteiligte: „Am nächsten Tag begann die Hysterie einer Stadt, die ‚befreit‘ wurde [...]. Die Zeitungen nannten es ‚die Reinigung von dem roten Gesindel‘. Die württembergischen Soldaten, die die ‚Reinigung‘ vollzogen, brüsteten sich damit, dass es eine biblische Rache war. ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘, sagte ihr Plakat.“
(Gustav Regler: Das Ohr des Malchus. Eine Lebensgeschichte. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1989, S. 103)
Menschen wurden aus ihren Häusern gezerrt, an die Wand gestellt und erschossen. In Perlach holte das Freikorps Lützow in der Nacht vom 4. Mai 1919 zwölf Arbeiter aus ihren Betten und erschoss sie am andern Morgen im Hofbräukeller am Wiener Platz in München. Der ortsansässige Pfarrer hatte sie als Unruhestifter diffamiert. Männer, Frauen und Kinder wurden Opfer der Gewalttaten.
Die meisten Toten der Maitage waren Zivilisten. Willkürlich ermordet aufgrund übler Verleumdung, oder eines vagen Verdachtes. Viele stammten aus den Münchener Arbeitervierteln. Ihre Leichen wurden zum Ostfriedhof gebracht, wo verzweifelte Menschen nach ihren Angehörige suchten. Manche waren so verstümmelt, dass eine Identifizierung nicht mehr möglich war. Gustav Regler suchte auf dem Friedhof seinen Freund und Studienkollegen Strasser, der zusammen mit ihm verhaftet worden war:
Mein Herz schmerzte in einem bitteren Aufwallen, ich grüßte, es war wie eine Entschuldigung; dann neigte ich mich vor, um Strasser ins Gesicht zu sehen. Strasser hatte kein Gesicht mehr. Der zerrissene Kopf höhnte jedem Namen den man ihm geben konnte. [...] Ich wusste, dass Strasser im Krieg zwei Finger der rechten Hand verloren hatte. Ich kniete nieder und hob den rechten Arm, dass er Zeugnis ablege für den Mann, den ich suchte. Aber auch der Arm höhnte mich. Der Arm hatte keine Hand mehr. Ich starrte hilflos auf den Stumpen, der aus dem Ärmel herausrutschte, und fühlte mich taub, als wäre ich ein Tier, das zuviel geschlagen worden war. Dies war Teufelswerk.
(Gustav Regler: Das Ohr des Malchus. Eine Lebensgeschichte. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1989, S. 106f.)
Weitere Kapitel:
Bis zum Nachmittag des 2. Mai 1919 dauerten die Kämpfe an. Dann war die Räterepublik besiegt, die Revolution in Bayern endgültig vorbei. Was nun einsetzte, schildert der Schriftsteller Gustav Regler, der sich als Student an der Revolution beteiligte: „Am nächsten Tag begann die Hysterie einer Stadt, die ‚befreit‘ wurde [...]. Die Zeitungen nannten es ‚die Reinigung von dem roten Gesindel‘. Die württembergischen Soldaten, die die ‚Reinigung‘ vollzogen, brüsteten sich damit, dass es eine biblische Rache war. ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘, sagte ihr Plakat.“
(Gustav Regler: Das Ohr des Malchus. Eine Lebensgeschichte. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1989, S. 103)
Menschen wurden aus ihren Häusern gezerrt, an die Wand gestellt und erschossen. In Perlach holte das Freikorps Lützow in der Nacht vom 4. Mai 1919 zwölf Arbeiter aus ihren Betten und erschoss sie am andern Morgen im Hofbräukeller am Wiener Platz in München. Der ortsansässige Pfarrer hatte sie als Unruhestifter diffamiert. Männer, Frauen und Kinder wurden Opfer der Gewalttaten.
Die meisten Toten der Maitage waren Zivilisten. Willkürlich ermordet aufgrund übler Verleumdung, oder eines vagen Verdachtes. Viele stammten aus den Münchener Arbeitervierteln. Ihre Leichen wurden zum Ostfriedhof gebracht, wo verzweifelte Menschen nach ihren Angehörige suchten. Manche waren so verstümmelt, dass eine Identifizierung nicht mehr möglich war. Gustav Regler suchte auf dem Friedhof seinen Freund und Studienkollegen Strasser, der zusammen mit ihm verhaftet worden war:
Mein Herz schmerzte in einem bitteren Aufwallen, ich grüßte, es war wie eine Entschuldigung; dann neigte ich mich vor, um Strasser ins Gesicht zu sehen. Strasser hatte kein Gesicht mehr. Der zerrissene Kopf höhnte jedem Namen den man ihm geben konnte. [...] Ich wusste, dass Strasser im Krieg zwei Finger der rechten Hand verloren hatte. Ich kniete nieder und hob den rechten Arm, dass er Zeugnis ablege für den Mann, den ich suchte. Aber auch der Arm höhnte mich. Der Arm hatte keine Hand mehr. Ich starrte hilflos auf den Stumpen, der aus dem Ärmel herausrutschte, und fühlte mich taub, als wäre ich ein Tier, das zuviel geschlagen worden war. Dies war Teufelswerk.
(Gustav Regler: Das Ohr des Malchus. Eine Lebensgeschichte. Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 1989, S. 106f.)