Sozialbanditentum
In den 1970er-Jahren, als im Zuge des Aufbruchs von 1968, auch die Sozialforschung entrümpelt wurde, beschäftigte sich der weltberühmte englische Historiker Eric Hobsbawm mit den verschiedenen Formen von vorpolitischem archaischem Widerstand. Seine bahnbrechenden Forschungen zum Sozialrebellentum beschreiben Sozialrebellen als Bauernbanditen, die sich aus einer ländlichen Bevölkerung rekrutieren, sehr heimatverbunden sind und dadurch einen nur eingeschränkten Aktionsradius haben. Ihre erste Tat ist zwar ein Verstoß gegen das Gesetz, in den Augen der Bevölkerung aber kein kriminelles Vergehen (Wildern, Desertieren, Müßiggang). Trotzdem wird es unverhältnismäßig hart bestraft, wodurch die Sozialrebellen in Opposition zum Staat gestellt werden. Sie führen von nun an ein Leben in der Illegalität, behalten aber hierbei eine zutiefst ethische Einstellung bei, die sie selbst beim Gesetzesverstoß innerhalb einer ungeschriebenen sittlichen Ordnung bleiben lässt. Dazu gehört: die Reichen bestehlen und den Armen geben. Vom Volk werden sie unterstützt und bereits zu Lebzeiten verehrt. Sie fühlen sich als Interessensvertreter der kleinen Leute, weshalb ihr Kampf eine gewisse gesellschaftliche Relevanz erhält. Trotzdem sind sie keine Revolutionäre, haben kein Programm, keine Organisation. Sie kämpfen wie Robin Hood gegen Ungerechtigkeit und Willkür, doch sie stellen niemals die Herrschaftsverhältnisse an sich in Frage.
Der einzige eindeutige Fall von Sozialbanditentum im Deutschland des 18. Jahrhunderts war der des Matthias Klostermayr und seiner Bande („der bayerische Hiasl“) die um 1770 aktiv waren. Da Klostermayr sich auf die Wilderei spezialisiert hatte, die von den Bauern stets als legitim betrachtet wurde, fand er Bewunderung und Unterstützung. [...] Er führte ganz offen und öffentlich seinen Privatkrieg gegen Jäger, Wildhüter, Gesetzesvertreter und andere Offizielle und stand in dem Ruf, niemals jemand anderen als diese, seine „Feinde“, zu berauben.
(Eric Hobsbawm: Die Banditen. Räuber als Sozialrebellen. Carl Hanser Verlag, München 2007, S. 183)
Sekundärliteratur:
Wolf, Klaus (2017): Matthias (Matthäus) Klostermayr – der ›Bayerische Hiasl‹ (1736-1771). Räuber, Wilderer und ein Phänomen der Literaturgeschichte (Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, 19).
Weitere Kapitel:
In den 1970er-Jahren, als im Zuge des Aufbruchs von 1968, auch die Sozialforschung entrümpelt wurde, beschäftigte sich der weltberühmte englische Historiker Eric Hobsbawm mit den verschiedenen Formen von vorpolitischem archaischem Widerstand. Seine bahnbrechenden Forschungen zum Sozialrebellentum beschreiben Sozialrebellen als Bauernbanditen, die sich aus einer ländlichen Bevölkerung rekrutieren, sehr heimatverbunden sind und dadurch einen nur eingeschränkten Aktionsradius haben. Ihre erste Tat ist zwar ein Verstoß gegen das Gesetz, in den Augen der Bevölkerung aber kein kriminelles Vergehen (Wildern, Desertieren, Müßiggang). Trotzdem wird es unverhältnismäßig hart bestraft, wodurch die Sozialrebellen in Opposition zum Staat gestellt werden. Sie führen von nun an ein Leben in der Illegalität, behalten aber hierbei eine zutiefst ethische Einstellung bei, die sie selbst beim Gesetzesverstoß innerhalb einer ungeschriebenen sittlichen Ordnung bleiben lässt. Dazu gehört: die Reichen bestehlen und den Armen geben. Vom Volk werden sie unterstützt und bereits zu Lebzeiten verehrt. Sie fühlen sich als Interessensvertreter der kleinen Leute, weshalb ihr Kampf eine gewisse gesellschaftliche Relevanz erhält. Trotzdem sind sie keine Revolutionäre, haben kein Programm, keine Organisation. Sie kämpfen wie Robin Hood gegen Ungerechtigkeit und Willkür, doch sie stellen niemals die Herrschaftsverhältnisse an sich in Frage.
Der einzige eindeutige Fall von Sozialbanditentum im Deutschland des 18. Jahrhunderts war der des Matthias Klostermayr und seiner Bande („der bayerische Hiasl“) die um 1770 aktiv waren. Da Klostermayr sich auf die Wilderei spezialisiert hatte, die von den Bauern stets als legitim betrachtet wurde, fand er Bewunderung und Unterstützung. [...] Er führte ganz offen und öffentlich seinen Privatkrieg gegen Jäger, Wildhüter, Gesetzesvertreter und andere Offizielle und stand in dem Ruf, niemals jemand anderen als diese, seine „Feinde“, zu berauben.
(Eric Hobsbawm: Die Banditen. Räuber als Sozialrebellen. Carl Hanser Verlag, München 2007, S. 183)
Wolf, Klaus (2017): Matthias (Matthäus) Klostermayr – der ›Bayerische Hiasl‹ (1736-1771). Räuber, Wilderer und ein Phänomen der Literaturgeschichte (Lebensbilder aus dem Bayerischen Schwaben, 19).