Untertauchen in der Au
Die Au ist ein sehr lebendiges Viertel, in deren engen Straßen viele Menschen unterwegs sind. Friedrich Kirsch, dem aus Mainz stammenden Schriftsetzer, der seit einigen Monaten, engagiert von den Sozialdemokraten, als Agitator im Königreich Bayern unterwegs ist, kommt das gelegen, denn er will untertauchen, die Stadt am liebsten so schnell wie möglich verlassen. Man hat ihn aus seiner Unterkunft rausgeschmissen, er friert und fühlt sich kraftlos.
Nur noch diese Versammlung am Abend und dann nichts wie weg aus München! Sein bescheidenes Bündel wusste er gleich neben seinen Füßen. Es würde ihm nicht gestohlen werden, da konnte er sicher sein, auch wenn das Treiben auf der Brücke zunahm. Und selbst wenn? Ein herber Verlust wären die paar Sachen nicht, die er noch besaß: ein zerfleddertes Buch von Heine, ein paar Stricksocken mit Löchern, grau gewordene Wäsche. Das alles in einem ausgebleichten Leintuch fest verschnürt. Seine Mutter hatte ihm das Leinen letzten Herbst mitgegeben, als Schutz vor dem Ungeziefer in den Matratzen, auf denen er schlief. Wären die Sachen von Wert, hätte er sie schon längst versetzt. Geld für ein bisschen Essen, vielleicht sogar ein Billett nach Hause hätte er nur zu gern dafür in den Taschen gehabt. Er tastete nach dem Messer am Gürtel. Das war kein Luxus, das war lebensnotwendig.
(Heidi Rehn: Blutige Hände. Emons Verlag, Köln 2006, S. 78ff.)
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Die Au ist ein sehr lebendiges Viertel, in deren engen Straßen viele Menschen unterwegs sind. Friedrich Kirsch, dem aus Mainz stammenden Schriftsetzer, der seit einigen Monaten, engagiert von den Sozialdemokraten, als Agitator im Königreich Bayern unterwegs ist, kommt das gelegen, denn er will untertauchen, die Stadt am liebsten so schnell wie möglich verlassen. Man hat ihn aus seiner Unterkunft rausgeschmissen, er friert und fühlt sich kraftlos.
Nur noch diese Versammlung am Abend und dann nichts wie weg aus München! Sein bescheidenes Bündel wusste er gleich neben seinen Füßen. Es würde ihm nicht gestohlen werden, da konnte er sicher sein, auch wenn das Treiben auf der Brücke zunahm. Und selbst wenn? Ein herber Verlust wären die paar Sachen nicht, die er noch besaß: ein zerfleddertes Buch von Heine, ein paar Stricksocken mit Löchern, grau gewordene Wäsche. Das alles in einem ausgebleichten Leintuch fest verschnürt. Seine Mutter hatte ihm das Leinen letzten Herbst mitgegeben, als Schutz vor dem Ungeziefer in den Matratzen, auf denen er schlief. Wären die Sachen von Wert, hätte er sie schon längst versetzt. Geld für ein bisschen Essen, vielleicht sogar ein Billett nach Hause hätte er nur zu gern dafür in den Taschen gehabt. Er tastete nach dem Messer am Gürtel. Das war kein Luxus, das war lebensnotwendig.
(Heidi Rehn: Blutige Hände. Emons Verlag, Köln 2006, S. 78ff.)