D. H. Lawrence in Oberbayern: Glashütte

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Glashütte bei Tegernsee. Postkarte ca. 1938.

Am nächsten Morgen werden Gilbert und Johanna der ganzen Trostlosigkeit der Röhrlmoos-Alm gewahr: „Es war ein einsames, trostloses kleines Almgehöft, nur einige Monate im Jahr bewohnt. [...] Das Gehöft war kaum mehr als ein Viehschuppen – verwahrlost.“ Im Licht der zunehmenden Dämmerung erblicken sie von dort einen Mann und eine Frau, beide dünn und „wie von der Stille ausgelöscht.“ (Mr. Noon, S. 360) Johanna fragt die Frau nach dem Weg, und endlich kommen sie in vorgeschriebener Richtung an ihrem nächsten Zielort an:

Gegen acht Uhr kamen sie zu einem aus ungefähr vier Häusern bestehenden Dorf. Beim ersten Haus – es war recht groß und ganz mit Holz getäfelt – baten sie um Kaffee. Ja, sie könnten welchen haben. Die Frau hatte ein frisches Gesicht und war liebenswürdig. Ein Junge weinte neben dem großen, grünen Ofen. Draußen fiel Regen, Gebirgsregen. (Mr. Noon, S. 361)

Das Dorf heißt Glashütte bei Kreuth am Tegernsee mit einer kleinen Kirche und einem Gasthof im alpinen Stil, ungefähr vier Kilometer von der österreichischen Grenze am Achenpass entfernt. Tegernseer Mönche legten einst am alten Passübergang nach Tirol den Grundstein für diese Siedlung; den Namen „Glashütte“ erhielt das Dorf erst 1808 nach Gründung der Gemeinde Kreuth, nachdem einer der Mönche versucht hatte, hier eine Glasbläserei aufzubauen.

Während die namensgebende Glashütte nicht mehr existiert, steht das alte gleichnamige Wirtshaus noch heute. Aus diesem schreibt Lawrence am 7. August 1912 (Poststempel vom 8. August) seinem Bekannten Arthur McLeod: „It's raining for ever, damn it, among these thundering mountains. Last night I got hopelessly lost, and slept in a hay hut. This card I write in the cottage of a hunter, beloved of the Kronprinz.“ (The Letters of D. H. Lawrence, Vol. 1, S. 432) Im Gasthof Glashütte erinnert noch heute ein Fotoporträt an den Aufenthalt des Schriftstellers. Den „Kronprinz“ (der österreichische Erzherzog Franz Ferdinand) und den Gebirgsjäger erwähnt auch Mr. Noon, wobei Johanna bemerkt, dass ihre Schwester den Kronprinzen kennt:

Dann kam ein Mann herein. Er war ein strammer, hart aussehender Gebirgler. Er sagte, er sei Förster – die Gegend sei berühmt für Gemsen. Der Kronprinz komme jeden Sommer, um Gemsen zu schießen. Er brachte Fotografien der Königlichen Hoheit – und einen Brief, den der Prinz ihm geschrieben hatte: Lieber Karl. Es war ein einfacher, ungekünstelter kleiner Brief. (Mr. Noon, S. 361)

Gegen 16 Uhr machen sich Gilbert und Johanna dann auf, mit dem Postomnibus ins österreichische Scholastika an den Achensee zu fahren.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik