D. H. Lawrence in Oberbayern: Bad Tölz / Bad Tollingen

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Eugen Felle (1869-1934): Ansichtskarte von Bad Tölz im Isartal.

Am 5. August 1912 haben D. H. Lawrence und Frieda Weekley Wolfratshausen verlassen und sind acht Kilometer südlich in Eurasburg in die Isartalbahn eingestiegen. Von dort fahren sie dreizehn Kilometer bis zur Endstation Bichl, von wo aus sie zu Fuß die Straße nach Bad Tölz nehmen. Auf dieser Strecke machen sie in einem Wirtshaus Rast (wahrscheinlich beim „Jaudwirth“ in Oberenzenau). Früh am Abend kommen sie schließlich in Bad Tölz an, schon damals ein kleiner Sommerkurort. Die beiden Liebenden nehmen in der Nähe eines Schlachthauses ein billiges Zimmer und schauen sich im Kurpark eine Komödie an.

In Mr. Noon schildert der Erzähler eine ähnliche Etappe. Nach Wolfratsberg gelangen Gilbert und Johanna an der kurzen Eisenbahnstrecke an einen Bahnhof, warten auf einen Zug und fahren „zehn Meilen bis zur Endstation.“ Dort steigen sie aus und nehmen die „Landstraße Richtung Österreich“ (Mr. Noon, S. 350). Bei Regen trotten sie weiter bis zu einem Gasthaus, wo sie einkehren. Die oberbayerischen Fuhrleute und Bauern, die „mit ihren Pfeifen beim Bier“ sitzen, machen sich einen Spaß aus dem Engländer, indem sie im Dialekt „ziemlich derbe Witze“ über ihn reißen, „über sein Nichtverstehen – über sein Schweigen und seine Jugend.“ (Mr. Noon, S. 352). Die „Glut männlicher Leidenschaftlichkeit“ wird – wie schon im Gasthaus in Kloster Schaeftlarn und später in Eckershofen (Mr. Noon, S. 366f.) – auch hier durch Johannas weibliche Gestalt entfacht, nur dass diese Glut jetzt beängstigend statt befreiend auf Johanna wirkt. Die beiden verlassen deshalb das Lokal fluchtartig.

So gingen sie in ihren klammen Kleidern die nasse Straße hinunter nach Bad Tollingen. Sie kamen ungefähr um halb sieben in diesem kleinen Sommerkurort an – und durchstreiften ihn auf der Suche nach einem Zimmer. In einem kleinen Haus fanden sie eins für vier Shilling. Es war recht gemütlich, aber Johanna erklärte, sie röche Ställe und ein Schlachthaus. Gilbert roch etwas, aber nichts so Fürchterliches.

So wechselten sie an Kleidern, was sie hatten und aßen auf ihrem Zimmer etwas aus ihrem Rucksack, um Ausgaben zu sparen. Dann machten sie einen Ausfall. Es gab ein kleines Sommertheater, und so bezahlten sie ihren Shilling und sahen sich eine Wiener Komödie an.

Der nächste Tag war wieder sonnig. So bald wie möglich verließen sie das Haus, in dem sie geschlafen hatten und wo Johanna so scharfe Gerüche wahrgenommen hatte. Ach, die Freude, morgens ein Hotel oder eine Pension zu verlassen, endgültig zu verschwinden! Es nie mehr wiederzusehen! (Mr. Noon, S. 353)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik