D. H. Lawrence in Oberbayern: Hans Carossa
Noch einmal wird die Villa 1927 im Zusammenhang mit einer denkwürdigen Begegnung brisant. Kein Geringerer als der bayerische Dichter und Arzt Hans Carossa stattet Lawrence wegen seines Lungenleidens einen Besuch ab. Am 2. Oktober findet das Treffen im Beisein Franz Schoenberners, Chefredakteur der Zeitschrift Simplicissimus, statt, der darüber in seinen Erinnerungen berichtet:
Kein Zweifel, er war schwer krank. Die Tuberkulose, die Bergmannskrankheit, hatte seinen knochigen, hochgewachsenen Körper und die abfallenden Schultern ausgemergelt. Es sah aus, als sei ihm der Anzug viel zu groß. Aber das blaße, dreieckige Gesicht mit der mächtigen Stirn und dem rötlichen kleinen Ziegenbart war von einer geistigen Vitalität durchleuchtet, die allen körperlichen Verfall triumphierend Lügen strafte. Ich habe Lawrence im Herbst 1927 noch zwei- oder dreimal gesehen, und ich entsinne mich noch besonders des Tages, als Hans Carossa mit mir nach Irschenhausen fuhr, um Lawrences Lunge zu untersuchen. Ich glaube, im tiefsten Innern wußte Lawrence, daß er verloren war; aber seine ans Wunderbare grenzende innere Vitalität konnte sich mit diesen Todesgedanken niemals abfinden. Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte er den Ratschlägen Hans Carossas, dessen Ton ruhiger Zuversicht mir etwas gezwungen klang. Lawrence selbst schien recht ermutigt. [...] Als wir endlich gingen, fragte ich Carossa auf dem Wege zur Bahn, wie der Befund wirklich sei. Er zögerte einen Moment, bevor er sagte: „Ein Durchschnittsmensch mit solchen Lungen wäre längst gestorben. Aber bei einem echten Künstler gibt es keine sicheren Prognosen. Da sind noch andere Kräfte im Spiel. Kann sein, daß Lawrence noch zwei oder auch drei Jahre lebt. Aber es gibt keine medizinische Behandlungsmethode, die ihn wirklich retten könnte.“
„Der Dichter, der Arzt war“, sollte nur allzu recht behalten. Lawrence starb im März 1930, erst fünfundvierzigjährig. Ich werde es stets tief bedauern, daß ich die Gelegenheit versäumt habe, Lawrence öfter zu sehen. (Bekenntnisse eines europäischen Intellektuellen, S. 310-314)
Lawrence selbst erwähnt die Untersuchung in einem in Deutsch gehaltenen Brief an Friedas Schwester Else:
Ja, wir sahen den Hans Carossa – ein netter Mann, mild wie Kartoffelbrei. Er hörte mir an – ich meine, meine Atmenswegen – könnte von Lungen nichts hören, sagt, das muß geheilt sein – nur die Bronchien – und die Ärzte interessieren sich gar nicht an den Bronchien. – Er sagt aber ich soll keine Einhalieren machen mit heißer Luft: das bringt wieder Verblutung. – (Nur der Wind..., S. 295)
Eine Unterhaltung schriftstellerischer Kollegen kommt so nicht zustande – dafür kennen sich die beiden Dichter nicht gut genug.
Weitere Kapitel:
Noch einmal wird die Villa 1927 im Zusammenhang mit einer denkwürdigen Begegnung brisant. Kein Geringerer als der bayerische Dichter und Arzt Hans Carossa stattet Lawrence wegen seines Lungenleidens einen Besuch ab. Am 2. Oktober findet das Treffen im Beisein Franz Schoenberners, Chefredakteur der Zeitschrift Simplicissimus, statt, der darüber in seinen Erinnerungen berichtet:
Kein Zweifel, er war schwer krank. Die Tuberkulose, die Bergmannskrankheit, hatte seinen knochigen, hochgewachsenen Körper und die abfallenden Schultern ausgemergelt. Es sah aus, als sei ihm der Anzug viel zu groß. Aber das blaße, dreieckige Gesicht mit der mächtigen Stirn und dem rötlichen kleinen Ziegenbart war von einer geistigen Vitalität durchleuchtet, die allen körperlichen Verfall triumphierend Lügen strafte. Ich habe Lawrence im Herbst 1927 noch zwei- oder dreimal gesehen, und ich entsinne mich noch besonders des Tages, als Hans Carossa mit mir nach Irschenhausen fuhr, um Lawrences Lunge zu untersuchen. Ich glaube, im tiefsten Innern wußte Lawrence, daß er verloren war; aber seine ans Wunderbare grenzende innere Vitalität konnte sich mit diesen Todesgedanken niemals abfinden. Mit gespannter Aufmerksamkeit lauschte er den Ratschlägen Hans Carossas, dessen Ton ruhiger Zuversicht mir etwas gezwungen klang. Lawrence selbst schien recht ermutigt. [...] Als wir endlich gingen, fragte ich Carossa auf dem Wege zur Bahn, wie der Befund wirklich sei. Er zögerte einen Moment, bevor er sagte: „Ein Durchschnittsmensch mit solchen Lungen wäre längst gestorben. Aber bei einem echten Künstler gibt es keine sicheren Prognosen. Da sind noch andere Kräfte im Spiel. Kann sein, daß Lawrence noch zwei oder auch drei Jahre lebt. Aber es gibt keine medizinische Behandlungsmethode, die ihn wirklich retten könnte.“
„Der Dichter, der Arzt war“, sollte nur allzu recht behalten. Lawrence starb im März 1930, erst fünfundvierzigjährig. Ich werde es stets tief bedauern, daß ich die Gelegenheit versäumt habe, Lawrence öfter zu sehen. (Bekenntnisse eines europäischen Intellektuellen, S. 310-314)
Lawrence selbst erwähnt die Untersuchung in einem in Deutsch gehaltenen Brief an Friedas Schwester Else:
Ja, wir sahen den Hans Carossa – ein netter Mann, mild wie Kartoffelbrei. Er hörte mir an – ich meine, meine Atmenswegen – könnte von Lungen nichts hören, sagt, das muß geheilt sein – nur die Bronchien – und die Ärzte interessieren sich gar nicht an den Bronchien. – Er sagt aber ich soll keine Einhalieren machen mit heißer Luft: das bringt wieder Verblutung. – (Nur der Wind..., S. 295)
Eine Unterhaltung schriftstellerischer Kollegen kommt so nicht zustande – dafür kennen sich die beiden Dichter nicht gut genug.