D. H. Lawrence in Oberbayern: Webers Wohnung
In Icking wohnen Lawrence und Frieda vom 2. Juni bis 4. August 1912 in einer kleinen Sommerwohnung über der Gemischtwarenhandlung Leitner, Münchner Straße 3. Die Wohnung gehört Alfred Weber, Bruder des Soziologen Max Weber und Geliebter von Friedas Schwester Else, dem sie als „Liebesnest“ für sich und Else dient. Von hier aus beobachten Lawrence und Frieda das Treiben auf der Hauptstraße nach Wolfratshausen: Fußgänger, Ochsenwagen, die Bäuerinnen im Weizenfeld, einmal den Durchmarsch einer kgl.-bayerischen Artillerieeinheit, der den Autor zur Novelle Dorn im Fleisch (Thorn in the Flesh) inspiriert. Oft frühstücken sie auf dem Balkon und genießen im Glanz der schneebedeckten Berge das Alpenpanorama:
Jetzt wohnen Frieda und ich allein in Professor Webers Wohnung. Es ist der oberste Stock dieser Villa – ziemlich klein – vier Zimmer außer der Küche. Doch ein Balkon ist da, wo wir draußen sitzen und essen können und wo ich schreibe. Tief unten ist die Straße, wo die Ochsenwagen langsam vorbeiziehen. Jenseits der Straße arbeiten die Bäuerinnen im Weizenfeld. Dann der blasse, milchig grüne Fluß, der zwischen Wald und Ebene fließt – und dahinter die Berge, eine Kette nach der andern, und ihre Gipfel glitzern vor Schnee.
Ich mußte eben mal schnell in die Küche laufen – ein lustiger kleiner Raum – wollte wissen, was Frieda angestellt hat. Sie hatte sich bloß den Kopf am Schrank gestoßen. Wir standen also da und schauten hinaus. Über den Hügeln hing wie ein Deckel eine große schwarze Wolke, und die nächsten Berge wallten in einem undurchdringlichen Blauschwarz auf und ab. Dazwischen war eine wunderschöne goldene Stelle mit einem Gewirr blasser, wunderschöner Berge, Gipfel, die im Schnee blaßgolden waren, in immer größerer Ferne – so ein stummes, funkelndes Durcheinander, strahlend vor Schnee. Jetzt fällt das Gewitter drüberher, und der Regen ist da. (Briefe, S. 63)
In diesen Duktus stimmt auch Frieda ein:
Ein Freund hatte uns eine kleine Dachwohnung mit einem Balkon, drei Zimmern und einer kleinen Küche geliehen. In der Frühe schwammen die Alpen in zartestem Blau in der Ferne. Die Gletscherwasser der Isar rauschten unten und trieben die Flöße talab. Die großen Buchenwälder hinter dem Haus erstreckten sich stundenweit bis zum Starnberger See.
Da fingen wir das Leben miteinander an. Und was für ein Leben. Wir hatten sehr wenig Geld, etwa fünfzehn Mark in der Woche. Wir lebten von Schwarzbrot, das Lawrence so gern mochte, von frischen Eiern und „Schweinsripple“, später suchten wir Waldbeeren.
Das alltägliche Gefühl für Zeit und Raum hatten wir verloren. Die Blumen, die für Lawrence neu waren, die Glühwürmchen des Nachts, die gleich einem zarten Schleier in den Bäumen hingen, während unsere Füße in den dürren Blättern des vorigen Jahres versanken, das waren unsere Ereignisse, daran lasen wir die Zeit ab. (Nur der Wind..., S. 64f.)
Witzig und nicht ohne Zeitkritik schildert Lawrence in Mr. Noon, wie Gilbert und Johanna die Tage in Icking („Ommerbach“) verleben. Die Gemischtwarenhandlung heißt hier „Frau Breitgaus Haus“, wo die beiden sich einrichten und praktisch umsonst leben:
Sieh Gilbert, wie er in Frau Breitgaus Laden hinunterläuft, um Leberwurst oder ein Rippchen oder Schnaps oder was auch immer zu kaufen, und sich mit einem Gespräch in kräftigem Bayrisch mit der glücklichen Frau oder dem bier-trüben Herr abmüht. Sieh unser Paar, wie es, für fünfzehn Shilling die Woche für beide, in einem Land von Milch und Honig und freudigem Überfluß lebt. O wundervolle Tage lächelnder, sorgloser Fülle. O vergangene Tage! O bitterer Kummer. Warum kosten Eier einen Shilling pro Stück? Warum kann man keinen Honig mehr bekommen? Was ist mit Gottes hohem Roggen geschehen, daß das Schwarzbrot nach Mülleimer schmeckt? (Mr. Noon, S. 303)
Weitere Kapitel:
In Icking wohnen Lawrence und Frieda vom 2. Juni bis 4. August 1912 in einer kleinen Sommerwohnung über der Gemischtwarenhandlung Leitner, Münchner Straße 3. Die Wohnung gehört Alfred Weber, Bruder des Soziologen Max Weber und Geliebter von Friedas Schwester Else, dem sie als „Liebesnest“ für sich und Else dient. Von hier aus beobachten Lawrence und Frieda das Treiben auf der Hauptstraße nach Wolfratshausen: Fußgänger, Ochsenwagen, die Bäuerinnen im Weizenfeld, einmal den Durchmarsch einer kgl.-bayerischen Artillerieeinheit, der den Autor zur Novelle Dorn im Fleisch (Thorn in the Flesh) inspiriert. Oft frühstücken sie auf dem Balkon und genießen im Glanz der schneebedeckten Berge das Alpenpanorama:
Jetzt wohnen Frieda und ich allein in Professor Webers Wohnung. Es ist der oberste Stock dieser Villa – ziemlich klein – vier Zimmer außer der Küche. Doch ein Balkon ist da, wo wir draußen sitzen und essen können und wo ich schreibe. Tief unten ist die Straße, wo die Ochsenwagen langsam vorbeiziehen. Jenseits der Straße arbeiten die Bäuerinnen im Weizenfeld. Dann der blasse, milchig grüne Fluß, der zwischen Wald und Ebene fließt – und dahinter die Berge, eine Kette nach der andern, und ihre Gipfel glitzern vor Schnee.
Ich mußte eben mal schnell in die Küche laufen – ein lustiger kleiner Raum – wollte wissen, was Frieda angestellt hat. Sie hatte sich bloß den Kopf am Schrank gestoßen. Wir standen also da und schauten hinaus. Über den Hügeln hing wie ein Deckel eine große schwarze Wolke, und die nächsten Berge wallten in einem undurchdringlichen Blauschwarz auf und ab. Dazwischen war eine wunderschöne goldene Stelle mit einem Gewirr blasser, wunderschöner Berge, Gipfel, die im Schnee blaßgolden waren, in immer größerer Ferne – so ein stummes, funkelndes Durcheinander, strahlend vor Schnee. Jetzt fällt das Gewitter drüberher, und der Regen ist da. (Briefe, S. 63)
In diesen Duktus stimmt auch Frieda ein:
Ein Freund hatte uns eine kleine Dachwohnung mit einem Balkon, drei Zimmern und einer kleinen Küche geliehen. In der Frühe schwammen die Alpen in zartestem Blau in der Ferne. Die Gletscherwasser der Isar rauschten unten und trieben die Flöße talab. Die großen Buchenwälder hinter dem Haus erstreckten sich stundenweit bis zum Starnberger See.
Da fingen wir das Leben miteinander an. Und was für ein Leben. Wir hatten sehr wenig Geld, etwa fünfzehn Mark in der Woche. Wir lebten von Schwarzbrot, das Lawrence so gern mochte, von frischen Eiern und „Schweinsripple“, später suchten wir Waldbeeren.
Das alltägliche Gefühl für Zeit und Raum hatten wir verloren. Die Blumen, die für Lawrence neu waren, die Glühwürmchen des Nachts, die gleich einem zarten Schleier in den Bäumen hingen, während unsere Füße in den dürren Blättern des vorigen Jahres versanken, das waren unsere Ereignisse, daran lasen wir die Zeit ab. (Nur der Wind..., S. 64f.)
Witzig und nicht ohne Zeitkritik schildert Lawrence in Mr. Noon, wie Gilbert und Johanna die Tage in Icking („Ommerbach“) verleben. Die Gemischtwarenhandlung heißt hier „Frau Breitgaus Haus“, wo die beiden sich einrichten und praktisch umsonst leben:
Sieh Gilbert, wie er in Frau Breitgaus Laden hinunterläuft, um Leberwurst oder ein Rippchen oder Schnaps oder was auch immer zu kaufen, und sich mit einem Gespräch in kräftigem Bayrisch mit der glücklichen Frau oder dem bier-trüben Herr abmüht. Sieh unser Paar, wie es, für fünfzehn Shilling die Woche für beide, in einem Land von Milch und Honig und freudigem Überfluß lebt. O wundervolle Tage lächelnder, sorgloser Fülle. O vergangene Tage! O bitterer Kummer. Warum kosten Eier einen Shilling pro Stück? Warum kann man keinen Honig mehr bekommen? Was ist mit Gottes hohem Roggen geschehen, daß das Schwarzbrot nach Mülleimer schmeckt? (Mr. Noon, S. 303)