D. H. Lawrence in Oberbayern: Glücksmomente
Im Roman Mr. Noon kommen Gilbert und Johanna in der Nacht bei strömenden Regen in Kloster Schaeftlarn alias Beuerberg an. „Totale und beunruhigende Dunkelheit“ umgibt die Eisenbahnstation; es ist nicht klar, wo das Dorf, geschweige denn der Gasthof liegt. Einzig der diensthabende Stationswärter weiß Bescheid und hilft den beiden Fremden, die durchnässt im „Hotel Post“ ankommen. Den Geist des Abenteuers und der damit verbundenen Freiheit weiß Johanna schon bald für sich zu nutzen:
Johanna war glücklich – sie wollte ja Abenteuer –, und nun hatte sie es bekommen. Sie war frei. Während sie in dem großen alten Gasthaus saß und die stattlichen Bauersleute Bayerns sie über die Deckel ihrer Bierkrüge hinweg mit dem halb feindseligen, herausfordernden Stieren der Gebirgler ansahen und während sie den ungeschlachten Dialekt hörte, die unterdrückte, katholische Wildheit in der unbezähmbaren Atmosphäre um sie herum spürte, breitete sie ihre Flügel aus und schöpfte neu Atem. Sie war entkommen. Von Boston und ihrem Haus mit Dienstboten, von ihrem Mann und seiner gesellschaftlichen Stellung, von dem ganzen Horror dieses Mittelklasse-Milieus hatte sie sich losgerissen, und sie saß in einer großen Gaststube in einem halb verlassenen, alten Gasthaus am Fuße der Bayrischen Alpen und atmete den uralten, halbwilden Geruch von Schnee und Leidenschaft in der Luft. Der alte, katholische, ungezähmte Geist der Tiroler. Wie stattlich und wie grimmig diese Männer sein konnten! Sie war glücklich. (Mr. Noon, S. 291)
Am anderen Morgen überwiegt im Sonnenschein wieder das bäuerlich-religiöse Alltagsgeschehen. Auch Gilbert ist „außer sich vor Glück“, aber nicht wegen des Abenteuers und der wiedergewonnenen Freiheit, sondern weil alles „so wundervoll, kristallen, erhaben und voller Enzian“ – fast übermenschlich – gehalten ist:
Vor der Gasthaustür war der Dorfanger – oder Dorfplatz. Da war die langhalsige, weiße Kirche, die schwarze Kuppel im Himmel. Da war das weiße Kloster, wo ein paar Nonnen immer noch die Kinder und jungen Frauen unterrichteten. Da waren drei, vier große Bauernhäuser und gegenüber der Gasthaustür große Bäume und kleine Holztische. Es war alles verklärt von reinem Morgenschein, warmem, starkem Sonnenschein aus himmlischem Quell. Drei Ochsenkarren kamen langsam die weiße Straße entlang über den offenen Platz, die Fahrer knallten mit langen Peitschen und schauten mit ihren scharfen blauen Augen auf die beiden Fremden. Sanft schwangen die Hälse der fahlen Rinder. Es war Morgen in der Welt. [...]
Gilbert war plötzlich außer sich vor Glück. Es war eine Götter-Welt: aber fremdartige nordische Götter. Ja, es war so wundervoll, kristallen, erhaben und voller Enzian. War es nicht fast übermenschlich? Es griff an die Seele wie ein Götterwahn. (Mr. Noon, S. 292f.)
Weitere Kapitel:
Im Roman Mr. Noon kommen Gilbert und Johanna in der Nacht bei strömenden Regen in Kloster Schaeftlarn alias Beuerberg an. „Totale und beunruhigende Dunkelheit“ umgibt die Eisenbahnstation; es ist nicht klar, wo das Dorf, geschweige denn der Gasthof liegt. Einzig der diensthabende Stationswärter weiß Bescheid und hilft den beiden Fremden, die durchnässt im „Hotel Post“ ankommen. Den Geist des Abenteuers und der damit verbundenen Freiheit weiß Johanna schon bald für sich zu nutzen:
Johanna war glücklich – sie wollte ja Abenteuer –, und nun hatte sie es bekommen. Sie war frei. Während sie in dem großen alten Gasthaus saß und die stattlichen Bauersleute Bayerns sie über die Deckel ihrer Bierkrüge hinweg mit dem halb feindseligen, herausfordernden Stieren der Gebirgler ansahen und während sie den ungeschlachten Dialekt hörte, die unterdrückte, katholische Wildheit in der unbezähmbaren Atmosphäre um sie herum spürte, breitete sie ihre Flügel aus und schöpfte neu Atem. Sie war entkommen. Von Boston und ihrem Haus mit Dienstboten, von ihrem Mann und seiner gesellschaftlichen Stellung, von dem ganzen Horror dieses Mittelklasse-Milieus hatte sie sich losgerissen, und sie saß in einer großen Gaststube in einem halb verlassenen, alten Gasthaus am Fuße der Bayrischen Alpen und atmete den uralten, halbwilden Geruch von Schnee und Leidenschaft in der Luft. Der alte, katholische, ungezähmte Geist der Tiroler. Wie stattlich und wie grimmig diese Männer sein konnten! Sie war glücklich. (Mr. Noon, S. 291)
Am anderen Morgen überwiegt im Sonnenschein wieder das bäuerlich-religiöse Alltagsgeschehen. Auch Gilbert ist „außer sich vor Glück“, aber nicht wegen des Abenteuers und der wiedergewonnenen Freiheit, sondern weil alles „so wundervoll, kristallen, erhaben und voller Enzian“ – fast übermenschlich – gehalten ist:
Vor der Gasthaustür war der Dorfanger – oder Dorfplatz. Da war die langhalsige, weiße Kirche, die schwarze Kuppel im Himmel. Da war das weiße Kloster, wo ein paar Nonnen immer noch die Kinder und jungen Frauen unterrichteten. Da waren drei, vier große Bauernhäuser und gegenüber der Gasthaustür große Bäume und kleine Holztische. Es war alles verklärt von reinem Morgenschein, warmem, starkem Sonnenschein aus himmlischem Quell. Drei Ochsenkarren kamen langsam die weiße Straße entlang über den offenen Platz, die Fahrer knallten mit langen Peitschen und schauten mit ihren scharfen blauen Augen auf die beiden Fremden. Sanft schwangen die Hälse der fahlen Rinder. Es war Morgen in der Welt. [...]
Gilbert war plötzlich außer sich vor Glück. Es war eine Götter-Welt: aber fremdartige nordische Götter. Ja, es war so wundervoll, kristallen, erhaben und voller Enzian. War es nicht fast übermenschlich? Es griff an die Seele wie ein Götterwahn. (Mr. Noon, S. 292f.)