Helene Raffs Ibsen-Tagebuch
Die Malerin und Schriftstellerin Helene Raff (1865-1942) lernte Ibsen im September 1889 in Gossensaß in der Sommerfrische kennen. Ihre Beziehung vertiefte sich in München, wo es im Oktober 1889 beim Abschied zu einer „Küsserei“ kam. Helene Raff führte ein Ibsen-Tagebuch, in dem sie ihre Begegnungen mit dem Dichter und seiner Familie skizzierte. Er hatte ihr freimütig gestanden, sie sei die „personifizierte Jugend“, die er zu seiner dichterischen Produktion brauche. Helene Raff lernte Norwegisch, um sein Werk adäquat würdigen zu können. 1890 schenkte sie ihm eine Studie in Öl: Ibsen bezeichnete das Bildnis einer jungen Frau mit weißem Kopftuch als „kleine Solveig“ (die weibliche Protagonistin in seinem Drama Peer Gynt).
Am 22. April begegnete ich Ibsen in der Maffeistraße. Er fragte mich, warum ich so nachdenklich aussähe, und ich klagte ihm meine Nöte; denn ich steckte in der Vollendung meines ersten Bildes für die Glaspalastausstellung. Er schlenderte ein paar mal mit mir den Promenadeplatz auf und nieder und ließ sich erzählen, was für Kirchenstudien ich zu dem betreffenden Bilde gemacht habe. Es wurde dabei die Sage vom Baumeister der St. Michaelskirche erwähnt, der sich angeblich herabgestürzt haben sollte, aus Angst, das Tonnengewölbe seiner Kuppel können nicht halten. Ibsen hörte aufmerksam zu und sagte: „Die Sage muss aus dem Norden stammen, wenigstens haben wir eine ganz ähnliche oder mehrere, – scheint mir.“ Ich antwortete, das möchte wohl der Fall sein, in Deutschland hätten alle berühmten Dome solch eine Baumeistersage. „Wissen Sie auch warum?“ fragte er. Ich verneinte natürlich. Er schwieg einen Augenblick, sah vor sich hin und sagte dann: „die Leuten empfinden sehr richtig, dass niemand ungestraft so hoch baut.“
(Helene Raff: Ibsen-Tagebuch, 22. April 1890. In: Programmheft Baumeister Solness, Bayerisches Staatsschauspiel 1983)
Weit heimischer als in Italien fühlte der nordische Meister sich in Deutschland; wenigstens pflegte er das zu betonen, wenn ihm z.B. Komplimente über sein vortreffliches Deutsch gemacht wurden. [...] Auch seine Frau sprach fließend deutsch, und ihr Sohn, Sigurd, hatte seinerzeit auf dem Münchener Gymnasium die erste Note in deutscher Sprache davongetragen. Von den Städten, die Henrik Ibsen während seiner freiwilligen Verbannung bewohnt hat, ist ihm keine lieber gewesen als München. Wie Gossensaß seine häufigste Sommerfrische, war München sein bevorzugter Winteraufenthalt. Die große Freiheit des Münchener Lebens, wo man auch ihn ungestört sich selbst überließ, hatte es ihm angetan, dazu das Vorherrschen der bildenden Kunst, für die er stets ein besonderes Interesse hegte. (Er hatte in jungen Jahren selbst gemalt.) „Auf Wiedersehen in unserem München!“ waren seine letzten Worte an abreisende Münchener Bekannte auf dem Bahnhofe von Gossensaß. Noch als er aus Deutschland geschieden und in sein Vaterland zurückgekehrt war, trug er gelegentlich einem Freunde auf: „Grüßen Sie mir meine Heimat München!“ – und nannte München im Briefe an eine Freundin die Stadt, „in der ich innerlich daheim bin.“
(Helene Raff: Henrik Ibsen in Gossensaß. In: Jugend, München 1906)
Weitere Kapitel:
Die Malerin und Schriftstellerin Helene Raff (1865-1942) lernte Ibsen im September 1889 in Gossensaß in der Sommerfrische kennen. Ihre Beziehung vertiefte sich in München, wo es im Oktober 1889 beim Abschied zu einer „Küsserei“ kam. Helene Raff führte ein Ibsen-Tagebuch, in dem sie ihre Begegnungen mit dem Dichter und seiner Familie skizzierte. Er hatte ihr freimütig gestanden, sie sei die „personifizierte Jugend“, die er zu seiner dichterischen Produktion brauche. Helene Raff lernte Norwegisch, um sein Werk adäquat würdigen zu können. 1890 schenkte sie ihm eine Studie in Öl: Ibsen bezeichnete das Bildnis einer jungen Frau mit weißem Kopftuch als „kleine Solveig“ (die weibliche Protagonistin in seinem Drama Peer Gynt).
Am 22. April begegnete ich Ibsen in der Maffeistraße. Er fragte mich, warum ich so nachdenklich aussähe, und ich klagte ihm meine Nöte; denn ich steckte in der Vollendung meines ersten Bildes für die Glaspalastausstellung. Er schlenderte ein paar mal mit mir den Promenadeplatz auf und nieder und ließ sich erzählen, was für Kirchenstudien ich zu dem betreffenden Bilde gemacht habe. Es wurde dabei die Sage vom Baumeister der St. Michaelskirche erwähnt, der sich angeblich herabgestürzt haben sollte, aus Angst, das Tonnengewölbe seiner Kuppel können nicht halten. Ibsen hörte aufmerksam zu und sagte: „Die Sage muss aus dem Norden stammen, wenigstens haben wir eine ganz ähnliche oder mehrere, – scheint mir.“ Ich antwortete, das möchte wohl der Fall sein, in Deutschland hätten alle berühmten Dome solch eine Baumeistersage. „Wissen Sie auch warum?“ fragte er. Ich verneinte natürlich. Er schwieg einen Augenblick, sah vor sich hin und sagte dann: „die Leuten empfinden sehr richtig, dass niemand ungestraft so hoch baut.“
(Helene Raff: Ibsen-Tagebuch, 22. April 1890. In: Programmheft Baumeister Solness, Bayerisches Staatsschauspiel 1983)
Weit heimischer als in Italien fühlte der nordische Meister sich in Deutschland; wenigstens pflegte er das zu betonen, wenn ihm z.B. Komplimente über sein vortreffliches Deutsch gemacht wurden. [...] Auch seine Frau sprach fließend deutsch, und ihr Sohn, Sigurd, hatte seinerzeit auf dem Münchener Gymnasium die erste Note in deutscher Sprache davongetragen. Von den Städten, die Henrik Ibsen während seiner freiwilligen Verbannung bewohnt hat, ist ihm keine lieber gewesen als München. Wie Gossensaß seine häufigste Sommerfrische, war München sein bevorzugter Winteraufenthalt. Die große Freiheit des Münchener Lebens, wo man auch ihn ungestört sich selbst überließ, hatte es ihm angetan, dazu das Vorherrschen der bildenden Kunst, für die er stets ein besonderes Interesse hegte. (Er hatte in jungen Jahren selbst gemalt.) „Auf Wiedersehen in unserem München!“ waren seine letzten Worte an abreisende Münchener Bekannte auf dem Bahnhofe von Gossensaß. Noch als er aus Deutschland geschieden und in sein Vaterland zurückgekehrt war, trug er gelegentlich einem Freunde auf: „Grüßen Sie mir meine Heimat München!“ – und nannte München im Briefe an eine Freundin die Stadt, „in der ich innerlich daheim bin.“
(Helene Raff: Henrik Ibsen in Gossensaß. In: Jugend, München 1906)