Hermann Uhde-Bernays

Der Germanist und Kunsthistoriker Hermann Uhde-Bernays (1873-1965) ging noch zur Schule, als Ibsen in München eine „Sehenswürdigkeit“ war, die „der Baedeker zwischen Pinakothek und Glyptothek“ eigentlich „mit einem halben Dutzend Sterne“ hätte anführen müssen. Täglich begegneten er und seine Mitschüler vom Wilhelms-Gymnasium dem Dichter auf der Maximilianstraße. Uhde-Bernays wurde 1914 zum kaiserlich-bayerischen Professor ernannt, während der NS-Zeit erhielt er Schreibverbot, nach dem Krieg wurde er Honorarprofessor für Neuere deutsche Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Wir Schüler vom Wilhelms-Gymnasium wussten alle, wer der kleine, gravitätische, nachdenkliche, seltsame Mann war, dem wir nachmittags gegen zwei Uhr auf dem Schulwege begegneten. Da wir uns noch nicht über den Unterschied von Automarken oder die Endresultate eines Fußballspiels streiten konnten, wandte sich unser Interesse anderen Ereignissen zu. Wir schwärmten für die Heroen und  Heroinen des Hoftheaters, seitdem wir Shakespeare im Urtext mit verteilten Rollen lasen, und lugten nach ihnen aus. Wir kannten alle Berühmtheiten und Originale Alt-Münchens vom Herzog Ludwig bis zu Paul Heyse und dem Komiker Papa Geis. „Schaut´s, da kommt der Döllinger, da geht der Piloty“, so riefen wir und zogen den Hut. Ibsen war ein ganz besonderer Gegenstand unserer Aufmerksamkeit. Meist stand er für einige Minuten an der Ecke der Marstallsstraße, bevor er sich zum Weitergehen nach der Maximilianstraße umwandte. [...]

Nicht ohne spöttischen Unterton berichtete eine Münchener Zeitung: „Herr Ibsen ist eine Sehenswürdigkeit geworden, die täglich unentgeltlich in der Maximilianstraße zu besichtigen ist und die der Baedeker zwischen Pinakothek und Glyptothek mit einem halben Dutzend Sterne anführen muss.“

(Hermann Uhde-Bernays: Ibsen in München. In: Frankfurter Zeitung, Nummer 114-115, 1928)

 

Hermann Uhde-Bernays (1873-1965) war ein deutscher Germanist und Kunsthistoriker. 1914 wurde er zum kaiserlich-bayerischen Professor ernannt, während der NS-Zeit erhielt er Schreibverbot, nach dem Krieg wurde er Honorarprofessor für Neuere deutsche Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Gunna Wendt