Josef Hofmiller
Für Josef Hofmiller (1872-1933) war Henrik Ibsen ein Idol seiner Jugend, für das er unverhohlen schwärmte. Zusammen mit seinen Freunden beobachtete er den eigenwilligen Dichter in seinem Stammcafé und beneidete die Kellnerin um ihre unverdiente Nähe zu diesem illustren Gast. Hofmiller war Essayist, Kritiker, Übersetzer und Gymnasiallehrer. Er schrieb u.a. für die Münchner Allgemeine Zeitung, die Münchner Neuesten Nachrichten und war Mitbegründer und Herausgeber der Süddeutschen Monatshefte.
Nein, für uns stirbt Henrik Ibsen erst mit uns selbst. Er gehört viel zu sehr zu den teuersten Erinnerungen unserer Jugend. Wir – dies ist kein pluralis majestatis, sondern soll lediglich besagen, dass dies die Einstellung vieler junger Leute ums Jahr 1890 herum war –, wagten wir nicht sogar, ihn zu grüßen, wenn er mit dem elegant zusammengerollten Schirm vorsichtig die Pflasterstufe vortastend, und mit dem Löwenhaupte rhythmisch nickend, distinguiert in sein Café wandelte? Saßen wir nicht aus der Ferne verehrend in der dunkelsten Ecke des „Maximilians“, erschütterte von der Leichtfertigkeit, mit der diese neckischen Dinger von Kellnerinnen den erhabenen Greis umknixten, ihm leichthin den Absinth brachten, ahnungslos, dass Eylert Lövborg auch Absinth getrunken hatte, in jener Nacht? Stilvoll benahm sich nur der reservierte Ober mit dem weißen Spitzbart, der ihm wortlos Berge von Journalen herbeischleppte. Es störte uns nicht einmal, dass im Innern besagten Zylinders ein Spiegel eingelassen war, jawohl ein Spiegel, und der Kämpfer für Wahrheit und Freiheit zog jedesmal den Taschenkamm, um seine Frisur zu erneuern, die eines greisen Zeus von Otricoli mit ausrasiertem Kinn. Standen wir nicht kampflustig oben auf der Galerie des Hoftheaters, bereit, mit jedem Händel anzufangen, der sich erdreisten würde, bei der Norwegischen Heerfahrt zu zischen? Drängten wir uns nicht gefolgschaftstreu im Parterre des Residenztheaters, an jenem denkwürdigen Abend, da Hedda Gabler umtobt wurde mit fanatischem Klatschen, wütendem Zischen, mit Trampeln und Hausschlüsseln? Und als der Dichter bald darauf in seine nordische Heimat zurückkehrte, fühlten wir uns nicht schuldbewusst, dass wir bei jener Uraufführung nicht doch die Gegner auf die Straße befördert hatten, weil uns dann vielleicht der harte Mann den Schmerz nicht angetan hätte, uns zu verlassen? Nun starrten wir empor zum Eckhaus Maximilian- und Kanalstraße (die Marmortafel ist falsch angebracht. Ibsen hat niemals zur Maximilianstraße heraus gewohnt, sondern zur Kanalstraße zweiter Stock rechts; unter ihm hauste die alte Baronin Reitzenstein, die unter dem Namen Franz v. Nimmersdorf Geschichten schrieb, die wir nicht lesen durften), starrten hinauf zu den gleichgültig gewordenen Fenstern, hinter denen wir, als er noch unser war, Henrik Ibsen beim Schreiben zugesehen hatten, aus dem gegenüberliegenden Hause.
(Josef Hofmiller: Ibsen. Zu seinem 100. Geburtstag am 20. März. In: Münchner Neueste Nachrichten, 20. März 1928)
Josef Hofmiller (1872-1933) war ein deutscher Essayist, Kritiker, Übersetzer und Gymnasiallehrer. Er schrieb u.a. für die Münchner Allgemeine Zeitung, die Münchner Neuesten Nachrichten und war Mitbegründer und Herausgeber der Süddeutschen Monatshefte.
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Für Josef Hofmiller (1872-1933) war Henrik Ibsen ein Idol seiner Jugend, für das er unverhohlen schwärmte. Zusammen mit seinen Freunden beobachtete er den eigenwilligen Dichter in seinem Stammcafé und beneidete die Kellnerin um ihre unverdiente Nähe zu diesem illustren Gast. Hofmiller war Essayist, Kritiker, Übersetzer und Gymnasiallehrer. Er schrieb u.a. für die Münchner Allgemeine Zeitung, die Münchner Neuesten Nachrichten und war Mitbegründer und Herausgeber der Süddeutschen Monatshefte.
Nein, für uns stirbt Henrik Ibsen erst mit uns selbst. Er gehört viel zu sehr zu den teuersten Erinnerungen unserer Jugend. Wir – dies ist kein pluralis majestatis, sondern soll lediglich besagen, dass dies die Einstellung vieler junger Leute ums Jahr 1890 herum war –, wagten wir nicht sogar, ihn zu grüßen, wenn er mit dem elegant zusammengerollten Schirm vorsichtig die Pflasterstufe vortastend, und mit dem Löwenhaupte rhythmisch nickend, distinguiert in sein Café wandelte? Saßen wir nicht aus der Ferne verehrend in der dunkelsten Ecke des „Maximilians“, erschütterte von der Leichtfertigkeit, mit der diese neckischen Dinger von Kellnerinnen den erhabenen Greis umknixten, ihm leichthin den Absinth brachten, ahnungslos, dass Eylert Lövborg auch Absinth getrunken hatte, in jener Nacht? Stilvoll benahm sich nur der reservierte Ober mit dem weißen Spitzbart, der ihm wortlos Berge von Journalen herbeischleppte. Es störte uns nicht einmal, dass im Innern besagten Zylinders ein Spiegel eingelassen war, jawohl ein Spiegel, und der Kämpfer für Wahrheit und Freiheit zog jedesmal den Taschenkamm, um seine Frisur zu erneuern, die eines greisen Zeus von Otricoli mit ausrasiertem Kinn. Standen wir nicht kampflustig oben auf der Galerie des Hoftheaters, bereit, mit jedem Händel anzufangen, der sich erdreisten würde, bei der Norwegischen Heerfahrt zu zischen? Drängten wir uns nicht gefolgschaftstreu im Parterre des Residenztheaters, an jenem denkwürdigen Abend, da Hedda Gabler umtobt wurde mit fanatischem Klatschen, wütendem Zischen, mit Trampeln und Hausschlüsseln? Und als der Dichter bald darauf in seine nordische Heimat zurückkehrte, fühlten wir uns nicht schuldbewusst, dass wir bei jener Uraufführung nicht doch die Gegner auf die Straße befördert hatten, weil uns dann vielleicht der harte Mann den Schmerz nicht angetan hätte, uns zu verlassen? Nun starrten wir empor zum Eckhaus Maximilian- und Kanalstraße (die Marmortafel ist falsch angebracht. Ibsen hat niemals zur Maximilianstraße heraus gewohnt, sondern zur Kanalstraße zweiter Stock rechts; unter ihm hauste die alte Baronin Reitzenstein, die unter dem Namen Franz v. Nimmersdorf Geschichten schrieb, die wir nicht lesen durften), starrten hinauf zu den gleichgültig gewordenen Fenstern, hinter denen wir, als er noch unser war, Henrik Ibsen beim Schreiben zugesehen hatten, aus dem gegenüberliegenden Hause.
(Josef Hofmiller: Ibsen. Zu seinem 100. Geburtstag am 20. März. In: Münchner Neueste Nachrichten, 20. März 1928)
Josef Hofmiller (1872-1933) war ein deutscher Essayist, Kritiker, Übersetzer und Gymnasiallehrer. Er schrieb u.a. für die Münchner Allgemeine Zeitung, die Münchner Neuesten Nachrichten und war Mitbegründer und Herausgeber der Süddeutschen Monatshefte.