Ludwig Ganghofer
Nach seiner Promotion 1879 in Leipzig kehrte der Schriftsteller Ludwig Ganghofer (1855-1920) nach München zurück und schrieb 1880 sein erstes Stück Der Herrgottschnitzer von Oberammergau für das Münchner Gärtnerplatztheater. Eine Zeitlang wohnte er in der unmittelbaren Nachbarschaft Ibsens in der Schönfeldstraße. Die Begegnung der beiden Männer, die zu exzentrischer Kleidung neigten, löste gegenseitiges Erstaunen aus.
Meinen Gemsbock kaufte ich natürlich und nahm ihn mit nach München. Und nun denke man sich das Aufsehen, das ich verursachte, als ich an einem der ersten Dezembertage mit offener Brust und mit nackten Knien stolz meinen Gemsbock im Rucksack vom Bahnhof durch die Kaufingerstraße und über den Residenzplatz zur Schönfeldstraße trug!
Beim Kriegsministerium begegnete mir der „geheime Kommerzienrat aus der Schönfeldstraße“, ein merkwürdiger alter Herr, der seit einiger Zeit in der Nähe unserer Wohnung häufig zu sehen war. Er schaute mir mit sonderbarer Verwunderung nach. Dabei drehte er nicht nur den Kopf, sondern drehte langsam die massive Figur herum und blieb so auf der Straße stehen, die beiden Hände mit dem leise pendelnden Spazierstock hinter dem Rücken. Ein wuchtiger Stahlkopf mit weißem Seemannsbart und funkelnder Brille. Wer war dieser fremde Herr? Niemand kannte ihn. Für einen reisenden Kaufmann sah er zu vornehm aus, für einen reichen Privatmann viel zu ernst und viel zu gescheit. Er war immer sehr elegant gekleidet, fast modisch, trug unter dem straff sitzenden Winterrock eine helle Hose, auf dem weißen Bärenkopf einen taubengrauen Zylinder mit schwarzem Band. Und wenn er den Winterrock offen hatte, sah man im Knopfloch seines schwarzen Gehrockes ein mehrfarbiges Ordensbändchen. Drum nannten wir ihn den geheimen Kommerzienrat.
Als ich mich bei der Haustür noch mal umguckte, sah ich, wie der merkwürdige alte Herr zu meinem Anblick ernst den Kopf schüttelte, als wäre in ihm der halb erstaunte, halb barmherzige Gedanke: „Das ist ein Narr!“
Nach der Münchner Nora-Aufführung im Jahr 1880, die Ganghofer tief beeindruckt hatte, erhielt er eine Einladung in den literarischen Salon der Frau des Schauspielers Bernhard Rüthling. Sie kündigte ihm die Anwesenheit Ibsens an.
Ich konnte dieses Große kaum erwarten und war am Nachmittag der erste in dem mit Kunstschätzen vollgepfropften Salon der Frau Rüthling. An die zwanzig Leute erschienen. Aufregendes Warten. Die Hausglocke bimmelt. Er kommt! Alle schweigen. Die Türe geht auf. Und wer steht da? Mein „geheimer Kommerzienrat aus der Schönfeldstraße“! [...]
Ibsen blieb nicht lange. Er schien sich auf dem Präsentierteller äußerst unbehaglich zu fühlen. Und redete sehr wenig, mit einer hohen langsamen Stimme. Fing eine Dame von der Nora zu schwärmen an, sprach er sehr ängstlich vom Wetter. Sein Abschied war wie eine Flucht.
(Ludwig Ganghofer: Lebenslauf eines Optimisten. Buch der Freiheit. Verlag Adolf Bonz, Stuttgart o. J. (7. Auflage), S. 249ff. und S. 260)
Weitere Kapitel:
Nach seiner Promotion 1879 in Leipzig kehrte der Schriftsteller Ludwig Ganghofer (1855-1920) nach München zurück und schrieb 1880 sein erstes Stück Der Herrgottschnitzer von Oberammergau für das Münchner Gärtnerplatztheater. Eine Zeitlang wohnte er in der unmittelbaren Nachbarschaft Ibsens in der Schönfeldstraße. Die Begegnung der beiden Männer, die zu exzentrischer Kleidung neigten, löste gegenseitiges Erstaunen aus.
Meinen Gemsbock kaufte ich natürlich und nahm ihn mit nach München. Und nun denke man sich das Aufsehen, das ich verursachte, als ich an einem der ersten Dezembertage mit offener Brust und mit nackten Knien stolz meinen Gemsbock im Rucksack vom Bahnhof durch die Kaufingerstraße und über den Residenzplatz zur Schönfeldstraße trug!
Beim Kriegsministerium begegnete mir der „geheime Kommerzienrat aus der Schönfeldstraße“, ein merkwürdiger alter Herr, der seit einiger Zeit in der Nähe unserer Wohnung häufig zu sehen war. Er schaute mir mit sonderbarer Verwunderung nach. Dabei drehte er nicht nur den Kopf, sondern drehte langsam die massive Figur herum und blieb so auf der Straße stehen, die beiden Hände mit dem leise pendelnden Spazierstock hinter dem Rücken. Ein wuchtiger Stahlkopf mit weißem Seemannsbart und funkelnder Brille. Wer war dieser fremde Herr? Niemand kannte ihn. Für einen reisenden Kaufmann sah er zu vornehm aus, für einen reichen Privatmann viel zu ernst und viel zu gescheit. Er war immer sehr elegant gekleidet, fast modisch, trug unter dem straff sitzenden Winterrock eine helle Hose, auf dem weißen Bärenkopf einen taubengrauen Zylinder mit schwarzem Band. Und wenn er den Winterrock offen hatte, sah man im Knopfloch seines schwarzen Gehrockes ein mehrfarbiges Ordensbändchen. Drum nannten wir ihn den geheimen Kommerzienrat.
Als ich mich bei der Haustür noch mal umguckte, sah ich, wie der merkwürdige alte Herr zu meinem Anblick ernst den Kopf schüttelte, als wäre in ihm der halb erstaunte, halb barmherzige Gedanke: „Das ist ein Narr!“
Nach der Münchner Nora-Aufführung im Jahr 1880, die Ganghofer tief beeindruckt hatte, erhielt er eine Einladung in den literarischen Salon der Frau des Schauspielers Bernhard Rüthling. Sie kündigte ihm die Anwesenheit Ibsens an.
Ich konnte dieses Große kaum erwarten und war am Nachmittag der erste in dem mit Kunstschätzen vollgepfropften Salon der Frau Rüthling. An die zwanzig Leute erschienen. Aufregendes Warten. Die Hausglocke bimmelt. Er kommt! Alle schweigen. Die Türe geht auf. Und wer steht da? Mein „geheimer Kommerzienrat aus der Schönfeldstraße“! [...]
Ibsen blieb nicht lange. Er schien sich auf dem Präsentierteller äußerst unbehaglich zu fühlen. Und redete sehr wenig, mit einer hohen langsamen Stimme. Fing eine Dame von der Nora zu schwärmen an, sprach er sehr ängstlich vom Wetter. Sein Abschied war wie eine Flucht.
(Ludwig Ganghofer: Lebenslauf eines Optimisten. Buch der Freiheit. Verlag Adolf Bonz, Stuttgart o. J. (7. Auflage), S. 249ff. und S. 260)