Ibsen und die Jugend
Die Gefolgschaft der Jungen ist mir lieber als jede andere. Ich hoffe auch getrost, dass der Vorsprung der Jahre mich der geistigen Jugend niemals entfremden wird.
(Henrik Ibsen: Briefe. Reclam, Stuttgart 1967, S. 133)
Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren in den deutschen Städten Ibsenclubs in Mode. Der Dichter aus dem Norden traf den Ton, der die oppositionellen Jugendlichen begeisterte. In den ihm gewidmeten Lese- und Diskussionszirkeln wurde den Werten der wilhelminischen Gesellschaft der Kampf angesagt: Lebenslügen, Doppelmoral, Heuchelei, Unterwürfigkeit lehnte die progressive Jugend ab. Sie wandte sich gegen eine Gesellschaft, in der die materiellen Werte höher angesehen waren als die ideellen. Ibsen sprach ihr aus der Seele und gab die Zielrichtung ihrer Rebellion vor: Gegen die alte Ordnung, für eine neue Welt, einen neuen, freien Menschen! Er enthüllte in seinen Dramen die verdrängten und verschwiegenen Konflikte in Staat, Familie und Individuum, die traditionellen Lebensformen stellte er radikal in Frage. In den Lebensgeschichten und -katastrophen, die er auf die Bühne brachte, erschien die Kleinfamilie als Keimzelle der bürgerlichen Gesellschaft, die der Frau keine Entfaltungsmöglichkeiten bot und das Glück aller, auch des Mannes, erstickte. Ihr sei, schrieb Franziska zu Reventlow an ihren Lübecker Jugendfreund Emanuel Fehling am 22. April 1890, seit sie Ibsen kennengelernt habe, „eine neue Welt aufgegangen von Wahrheit und Freiheit; ich möchte ins Leben hinaus und für diese Ideen leben und wirken; aber bei diesem Zuhauseleben sind mir ja die Flügel geschnitten“. Damit war sie nicht allein: Ludwig Klages sprach von einem „Ibsenzeitalter“, Karl Wolfskehl erinnerte sich an seine „Ibsenjugend“, Paula Modersohn-Becker schrieb von der „Ibsenperiode“, die sie gerade durchlebte. Natürlich waren die Ibsenclubs in konservativen Kreisen gefürchtet: Junge Leute, die ihren Weg suchten und sich nicht mit den Vorstellungen der Eltern arrangierten, galten als unberechenbar. In den Clubs wurde nicht nur die neueste Literatur aus dem Norden gelesen, auch sozialkritische Themen standen zur Diskussion. Die Mitglieder betrachteten sich als Avantgarde, die einen „neuen Menschen“ schaffen sollte.
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Die Gefolgschaft der Jungen ist mir lieber als jede andere. Ich hoffe auch getrost, dass der Vorsprung der Jahre mich der geistigen Jugend niemals entfremden wird.
(Henrik Ibsen: Briefe. Reclam, Stuttgart 1967, S. 133)
Im ausgehenden 19. Jahrhundert waren in den deutschen Städten Ibsenclubs in Mode. Der Dichter aus dem Norden traf den Ton, der die oppositionellen Jugendlichen begeisterte. In den ihm gewidmeten Lese- und Diskussionszirkeln wurde den Werten der wilhelminischen Gesellschaft der Kampf angesagt: Lebenslügen, Doppelmoral, Heuchelei, Unterwürfigkeit lehnte die progressive Jugend ab. Sie wandte sich gegen eine Gesellschaft, in der die materiellen Werte höher angesehen waren als die ideellen. Ibsen sprach ihr aus der Seele und gab die Zielrichtung ihrer Rebellion vor: Gegen die alte Ordnung, für eine neue Welt, einen neuen, freien Menschen! Er enthüllte in seinen Dramen die verdrängten und verschwiegenen Konflikte in Staat, Familie und Individuum, die traditionellen Lebensformen stellte er radikal in Frage. In den Lebensgeschichten und -katastrophen, die er auf die Bühne brachte, erschien die Kleinfamilie als Keimzelle der bürgerlichen Gesellschaft, die der Frau keine Entfaltungsmöglichkeiten bot und das Glück aller, auch des Mannes, erstickte. Ihr sei, schrieb Franziska zu Reventlow an ihren Lübecker Jugendfreund Emanuel Fehling am 22. April 1890, seit sie Ibsen kennengelernt habe, „eine neue Welt aufgegangen von Wahrheit und Freiheit; ich möchte ins Leben hinaus und für diese Ideen leben und wirken; aber bei diesem Zuhauseleben sind mir ja die Flügel geschnitten“. Damit war sie nicht allein: Ludwig Klages sprach von einem „Ibsenzeitalter“, Karl Wolfskehl erinnerte sich an seine „Ibsenjugend“, Paula Modersohn-Becker schrieb von der „Ibsenperiode“, die sie gerade durchlebte. Natürlich waren die Ibsenclubs in konservativen Kreisen gefürchtet: Junge Leute, die ihren Weg suchten und sich nicht mit den Vorstellungen der Eltern arrangierten, galten als unberechenbar. In den Clubs wurde nicht nur die neueste Literatur aus dem Norden gelesen, auch sozialkritische Themen standen zur Diskussion. Die Mitglieder betrachteten sich als Avantgarde, die einen „neuen Menschen“ schaffen sollte.