Hotel Kaiserin Elisabeth

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbthemes/horv_hotel kaiserin elisabeth_200.jpg
Terrasse des Hotels Kaiserin Elisabeth, Fotografie. © Privatsammlung

Der zweite Teil „Fräulein Pollinger wird praktisch“ zeigt den Weg der arbeitslosen Angestellten Anna Pollinger in die Prostitution. Nach der Abreise Koblers fühlt sich Anna von ihrem Wohnungsnachbarn Kastner bedrängt, der sie als Modell an den spießigen Künstler Achner weitervermittelt. Dieser verschachert sein Modell wiederum, um des finanziellen Vorteils willen, an den reichen egozentrischen Spießer Harry Priegler, bei dem Anna, wie es heißt, „praktisch“ wird. Anna ist durch die Rede des Spießers bzw. dessen Sportwagen leicht zu beeindrucken und wird, nachdem Harry das sexuelle Interesse an ihr verloren hat, rücksichtslos von ihm weggeworfen.

Im Hotel Kaiserin Elisabeth bei Feldafing am Starnberger See machen die beiden zuvor Rast.

1856 kaufte der Münchner Industrielle und Großgrundbesitzer in Feldafing, Reichsrat Anton Ritter von Maffei, den Gasthof und ließ gleich daneben einen Terrassengasthof errichten, der von Johann und Elisabeth Hierl bewirtschaftet wurde. Der alljährliche Aufenthalt von Kaiserin Elisabeth („Sisi“) von Österreich führte 1870 zur weiteren Vergrößerung mit Nebenhaus und Ställen. 1900 erteilte das Wiener Hofmarschallamt die Erlaubnis, das Haus „Hotel Kaiserin Elisabeth“ zu benennen; daraufhin kam es in den Besitz der Familie Kraft-Borchard.

Jetzt fuhren sie [Harry und Anna] durch Possenhofen.

Hier wurde eine Kaiserin von Österreich geboren, und drüben am anderen Ufer ertrank ein König von Bayern im See. Die beiden Majestäten waren miteinander verwandt, und als junge Menschen trafen sie sich romantisch und unglücklich auf der Roseninsel zwischen Possenhofen und Schloß Berg.

Es war eine vornehme Gegend.

„Essen tun wir in Feldafing“, entschied Harry. „In Feldafing ist ein annehmbares Publikum, seit der Golfplatz draußen ist. In der Stadt kann man ja kaum mehr essen, überall sitzt so ein Bowel.“ Und dann erwähnte er auch noch, früher sei er öfters nach Tutzing gefahren, das liege nur sechs Kilometer südlicher; aber jetzt könne kein anständiger Mensch mehr hin, nämlich dort stünde jetzt eine Fabrik, und überall treffe man Arbeiter.

 

10

In Feldafing sitzt man wunderbar am See.

Besonders an solch einem milden Herbstabend. Dann ist der See still, und du siehst die Alpen von Kufstein bis zur Zugspitze und kannst es oft kaum unterscheiden, ob das noch Felsen sind oder schon Wolken. Nur die Benediktenwand beherrscht deutlich den Horizont und wirkt beruhigend.

Im Seerestaurant zu Feldafing saßen lauter vornehme Menschen. Die Herren sahen Harry ähnlich, obwohl sich jeder die größte Mühe gab, anders auszusehen, und die Damen waren durchaus gepflegt, wirkten daher sehr neu, bewegten sich fein und sprachen dummes Zeug. Wenn eine aufs Klosett mußte, schien sie verstimmt zu sein, während ihr jeweiliger Herr aufatmend rasch mal heimlich in der Nase bohrte oder sonst irgendwas Unartiges tat.

Die Speisekarte war lang und breit, aber Anna konnte sie nicht entziffern, obwohl die Speisen keine französischen Namen hatten, jedoch eben ungewöhnlich vornehme. „Königinsuppe?“ hörte sie des Kellners Stimme, und ihr Magen knurrte. Der Kellner hörte ihn knurren und betrachtete voll Verachtung ihren billigen Hut, nämlich das Knurren kränkte ihn, da er einen schlechten Charakter hatte. Denn die wirklich vornehmen Leute essen bekanntlich, als hätten sie es nicht nötig zu essen. Als wären sie schon derart vergeistigt, und sind doch nur satt.

Harry bestellte zwei Wiener Schnitzel mit Gurkensalat, ließ aber hernach das seine stehen, weil es ihm zu dick war, verlangte russische Eier und sagte: „Wissen Sie, Fräulein, daß ich etwas nicht ganz versteh: Wieso kommt es nur, daß ich bei Frauen soviel Glück hab? Ich hab nämlich sehr viel Glück. Können Sie sich's vorstellen, wieviel Frauen ich haben kann? Ich kann jede Frau haben, aber das ist halt nicht das richtige.“

Er blickte verträumt nach der Benediktenwand und dachte: Das beste ist, ich wart, bis es finster ist, dann fahr ich zurück und bieg in einen Seitenweg – und wenn sie nicht will, dann fliegt sie halt raus.

„Es ist halt nicht das richtige“, fuhr er laut fort. „Die Frauen sagen zwar, ich könnt hypnotisieren. Aber ob ich die Liebe find? Ob es überhaupt eine Liebe gibt? Verstehen Sie mich, was ich unter ‚Liebe‘ versteh?“ Es war noch immer nicht finster geworden, es dämmerte nur, und also mußte er noch ein Viertelstündchen Konversation treiben. „Zum Beispiel jene Dame dort am dritten Tisch links“, erzählte er, „die hab ich auch schon mal gehabt. Sie heißt Frau Schneider und wohnt in der Mauerkircherstraße acht. Der, mit dem sie dort sitzt, ist ihr ständiger Freund, ihr Mann ist nämlich viel in Berlin, weil er dort eine Freundin hat, der er eine Siebenzimmerwohnung eingerichtet hat. Aber als er die Wohnung auf ihren Namen überschrieben hat, entdeckte er erst, daß sie verheiratet ist und daß ihr Mann sein Geschäftsfreund ist. Diese Freundin hab ich auch schon mal gehabt, weil ich im Berliner Sportpalast Eishockey gespielt hab. Sie heißt Lotte Böhmer und wohnt in der Meineckestraße vierzehn. Und dort rechts die Dame mit dem Barsoi, das ist die Schwester einer Frau, deren Mutter sich in mich verliebt hat. Eine fürchterliche Kuh ist die Alte, sie heißt Weber und wohnt in der Franz-Josef-Straße, die Nummer hab ich vergessen. Die hat immer zu mir gesagt: ‚Harry, Sie sind kein Frauenkenner, Sie sind halt noch zu jung, sonst würden Sie sich ganz anders benehmen, Sie stoßen mich ja direkt von sich, ich hab schon mit meinem Mann soviel durchzumachen gehabt, Sie sind eben kein Psychologe.‘ Aber ich bin ein Psychologe, weil ich sie ja gerade von mir stoßen wollte. Und hinter Ihnen – schauen Sie sich nicht um! – sitzt eine große Blondine, eine auffallende Erscheinung, die hab ich auch mal von mir gestoßen, weil sie mich im Training gehindert hat. Sie heißt Else Hartmann und wohnt in der Fürstenstraße zwölf. Ihr Mann ist ein ehemaliger Artilleriehauptmann. Mit einem anderen ehemaligen Artilleriehauptmann bin ich sehr befreundet, und der ist mal zu mir gekommen und hat gesagt: ‚Hand aufs Herz, lieber Harry! Ist es wahr, daß du mich mit meiner Frau betrügst?‘ Ich hab gesagt: ‚Hand aufs Herz! Es ist wahr!‘ Ich hab schon gedacht, er will sich mit mir duellieren, aber er hat nur gesagt: ‚Ich danke dir, lieber Harry!‘ Und dann hat er mir auseinandergesetzt, daß ich ja nichts dafür könnt, denn er wüßt es genau, daß der Mann nur der scheinbar aktive, aber eigentlich passive, während die Frau der scheinbar passive, aber eigentlich aktive Teil wäre. Das war schon immer so, hat er gesagt, zu allen Zeiten und bei allen Völkern. Er ist ein großer Psychologe und schreibt jetzt einen Roman, denn er kann auch schriftstellerisch was. Er heißt Albert von Reisinger und wohnt in der Amalienstraße bei der Gabelsbergerstraße.“

„Zahlen!“ rief Harry, denn nun wurd es Nacht.[1]



[1] Ö. v. H.: Gesammelte Werke. Bd. 12, S. 251-254.

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Peter Czoik

Sekundärliteratur:

http://www.kaiserin-elisabeth.de, (28.05.2013).

Heißerer, Dirk (2010): Wellen, Wind und Dorfbanditen. Literarische Erkundungen am Starnberger See. Diederichs Verlag, München, S. 303-308.