Murnau
Horváth nahm gegenüber dem Markt Murnau eine kritische, jedoch nie abweisende Einstellung ein: Er war gut in das dortige Kleinstadtleben integriert, seine Familie genoss ein hohes Ansehen. Wie schon in der Komödie Zur schönen Aussicht wählte er Murnau, wo sein Vater in der Bahnhofstraße 19 ein Grundstück erworben hatte, als Schauplatz der Handlung von Italienische Nacht. Die Regieanweisung „Ort: Süddeutsche Kleinstadt“ mit der Zeitangabe „1930-?“ gibt einen ersten Hinweis. Für Murnau spricht eine Vielzahl an Belegen. Hier wurde die Anlage zu Ehren des bayerischen Königs Ludwig II. errichtet und geschändet, die als Vorbild für das „Denkmal des ehemaligen Landesvaters“ dient, das von zwei Burschen „mit roter Farbe“ bestrichen wird (Viertes Bild); hier bei Mädchen-Reigen und rauschenden Karnevalsfesten im Murnauer Strand-Hotel fand Horváth Anregung für den Auftritt der „herzigen Zwillingstöchterchen unseres Kameraden Leimsieder“, die einen „affektierten Kitsch“ tanzen, betitelt „Blume und Schmetterling“ (Fünftes Bild); hier in der ehemaligen Hochburg des Nationalsozialismus konnte Horváth die Aufmärsche der NSDAP beobachten, die er in den Regieanweisungen des Stücks festhielt (Zweites Bild: „Eben zieht eine Abteilung [der hiesigen Ortsgruppe der Faschisten] mit Fahnen, Musik und Kleinkalibern vorbei“); hier stand der Ortsgruppenvorsitzende des Vereins für das Deutschtum im Auslande, Major Pöppel, Modell für den Major in der Italienischen Nacht, den Adele zurechtweist, weil dieser ihren Mann, den Stadtrat Ammetsberger, traktiert hat (Siebentes Bild).[1]
Adele Halten Sie Ihr Maul! Und ziehen Sie sich mal das Zeug da aus, der Krieg ist doch endlich vorbei, Sie Hanswurscht! Verzichtens lieber auf Ihre Pension zugunsten der Kriegskrüppel und arbeitens mal was Anständiges, anstatt arme Menschen in ihren Garten-Unterhaltungen zu stören, Sie ganz gewöhnlicher Schweinehund![2]
Weitere Beispiele für Murnauer Lokalitäten, Vorkommnisse und Persönlichkeiten finden sich zuhauf: Das „Gartenlokal des Josef Lehninger“ (Fünftes Bild) hat Vorbilder in den Gaststätten Pantlkeller gleich hinter der Horváth-Villa und Café Seerose; die Aufmärsche der Faschisten sowie die „Nachtübung im Wald“ (Fünftes Bild) ähneln den Geländeübungen der Reichswehr im Frühjahr 1929 in der Murnauer Gegend. Das provokative Auftreten des Vereins der Unverbesserlichen, einer Gruppe arbeitsloser Jugendlicher aus sozial benachteiligten Familien um Norbert Kagerer, konnte Horváth bei der Gestaltung des „Martin und seiner Kameraden“ ebenfalls dienlich sein.[3]
[1] Lunzer, Heinz; Lunzer-Talos, Victoria; Tworek, Elisabeth (2001): Horváth. Einem Schriftsteller auf der Spur. Residenz Verlag, Wien, Salzburg u.a., S. 81; Ö. v. H.: Gesammelte Werke. Bd. 3, S. 187f.
[2] Ebda., S. 123f.
[3] Tworek-Müller, Elisabeth (1989): Provinz ist überall. Zum Vorbildcharakter des bayerischen Oberlandes in Horváths kleiner Prosa. In: Horváths Prosa. Hg. von Traugott Krischke. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 34-56, hier S. 40. Nachgewiesen in Tworek-Müller, Elisabeth (1980): Modell Murnau.
Weitere Kapitel:
Horváth nahm gegenüber dem Markt Murnau eine kritische, jedoch nie abweisende Einstellung ein: Er war gut in das dortige Kleinstadtleben integriert, seine Familie genoss ein hohes Ansehen. Wie schon in der Komödie Zur schönen Aussicht wählte er Murnau, wo sein Vater in der Bahnhofstraße 19 ein Grundstück erworben hatte, als Schauplatz der Handlung von Italienische Nacht. Die Regieanweisung „Ort: Süddeutsche Kleinstadt“ mit der Zeitangabe „1930-?“ gibt einen ersten Hinweis. Für Murnau spricht eine Vielzahl an Belegen. Hier wurde die Anlage zu Ehren des bayerischen Königs Ludwig II. errichtet und geschändet, die als Vorbild für das „Denkmal des ehemaligen Landesvaters“ dient, das von zwei Burschen „mit roter Farbe“ bestrichen wird (Viertes Bild); hier bei Mädchen-Reigen und rauschenden Karnevalsfesten im Murnauer Strand-Hotel fand Horváth Anregung für den Auftritt der „herzigen Zwillingstöchterchen unseres Kameraden Leimsieder“, die einen „affektierten Kitsch“ tanzen, betitelt „Blume und Schmetterling“ (Fünftes Bild); hier in der ehemaligen Hochburg des Nationalsozialismus konnte Horváth die Aufmärsche der NSDAP beobachten, die er in den Regieanweisungen des Stücks festhielt (Zweites Bild: „Eben zieht eine Abteilung [der hiesigen Ortsgruppe der Faschisten] mit Fahnen, Musik und Kleinkalibern vorbei“); hier stand der Ortsgruppenvorsitzende des Vereins für das Deutschtum im Auslande, Major Pöppel, Modell für den Major in der Italienischen Nacht, den Adele zurechtweist, weil dieser ihren Mann, den Stadtrat Ammetsberger, traktiert hat (Siebentes Bild).[1]
Adele Halten Sie Ihr Maul! Und ziehen Sie sich mal das Zeug da aus, der Krieg ist doch endlich vorbei, Sie Hanswurscht! Verzichtens lieber auf Ihre Pension zugunsten der Kriegskrüppel und arbeitens mal was Anständiges, anstatt arme Menschen in ihren Garten-Unterhaltungen zu stören, Sie ganz gewöhnlicher Schweinehund![2]
Weitere Beispiele für Murnauer Lokalitäten, Vorkommnisse und Persönlichkeiten finden sich zuhauf: Das „Gartenlokal des Josef Lehninger“ (Fünftes Bild) hat Vorbilder in den Gaststätten Pantlkeller gleich hinter der Horváth-Villa und Café Seerose; die Aufmärsche der Faschisten sowie die „Nachtübung im Wald“ (Fünftes Bild) ähneln den Geländeübungen der Reichswehr im Frühjahr 1929 in der Murnauer Gegend. Das provokative Auftreten des Vereins der Unverbesserlichen, einer Gruppe arbeitsloser Jugendlicher aus sozial benachteiligten Familien um Norbert Kagerer, konnte Horváth bei der Gestaltung des „Martin und seiner Kameraden“ ebenfalls dienlich sein.[3]
[1] Lunzer, Heinz; Lunzer-Talos, Victoria; Tworek, Elisabeth (2001): Horváth. Einem Schriftsteller auf der Spur. Residenz Verlag, Wien, Salzburg u.a., S. 81; Ö. v. H.: Gesammelte Werke. Bd. 3, S. 187f.
[2] Ebda., S. 123f.
[3] Tworek-Müller, Elisabeth (1989): Provinz ist überall. Zum Vorbildcharakter des bayerischen Oberlandes in Horváths kleiner Prosa. In: Horváths Prosa. Hg. von Traugott Krischke. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, S. 34-56, hier S. 40. Nachgewiesen in Tworek-Müller, Elisabeth (1980): Modell Murnau.