Schichtl (1880-1938)

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Der Schichtl mit seiner Truppe auf dem Oktoberfest 1905 (Monacensia, Sammlung Stuffler)

Eines der populärsten Schaustellergeschäfte auf der Wiesn ist die Schichtl-Bühne. Bis ins 17. Jahrhundert lässt sich diese Dynastie zurückverfolgen. Aus einem wandernden Handpuppen- und Marionettentheater wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein „Zauber- und Spezialitäten-Theater“, ein reisendes Groß-Varieté mit einem Nummern-Programm. Als Münchner Schichtl wurde Michael August Schichtl bekannt, geboren 1851 und verheiratet mit Eleonore Karl, der Tochter der „Seiltänzersfrau“. Begonnen hatte er mit einem Kasperltheater, das er nach und nach erweiterte. Vor allem begeisterte der Papa Schichtl mit seinen Sprüchen und der Parade, bei der u.a. die schwergewichtige Frau Direktor, der Zwerg Anton Stumpf, der als Tambourmajor „Stopsel“ immer den falschen Takt betonte, und der „Dumme August“ mitwirkten. 1911 starb Michael August Schichtl und der Schausteller Johann Eichelsdörfer führte die Institution unter dem Namen Schichtl weiter.

Eines Nachmittags stand ich lange vor Papa Schichtl's Zauber- und Feentheater. Seine rauhe Baßstimme verkündete: „Heut: großes Familienprogramm - Hinrichtung einer lebenden Person durch das Fallbeil...!“ Ich drängte mich in die vorderste Reihe [...]. Da sich kein Erwachsener meldete, packte mich der Schichtl beim Kragen: „Du Kloaner, wie waar's mit Dir...?“ [...] Eine lebensgroße Guillotine wurde auf die offene Bühne gezogen. Zwei vermummte Gugelmänner zerrten mich auf die Köpfmaschine. Die Kapelle spielte einen Trauermarsch, und Schichtl rief: „Aborkaaka, Pertikoperlako...!“ – – Ich hörte das Beil herabfallen... [...] Und nach einer gestockten Pause erschrak ich sonderbarerweise gerade daran, daß ich noch am Leben war. Schichtl zeigte dem verehrten Publikum ein blutendes Haupt – und ich hatte plötzlich das Gefühl, daß ich nun zwei Köpfe besaß, nämlich diesen Kalbskopf und dazu meinen eigenen.

Ernst Hoferichter: Erst wurde ich öffentlich geköpft und dann eingesperrt. In: Vom Prinzregenten bis Karl Valentin. Altmünchner Erinnerungen. Bayerischer Landwirtschaftsverlag, München 1966

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek