Bierzelt (1880-1938)

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Hühnerbraterei auf dem Oktoberfest 1934. Foto: Norz, Fotosammlung, ZBE_B0061 (Stadtarchiv München)

Aus den Unterständen der Anfangsjahre wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Bretterbuden, in denen die Gäste sitzen und Bier bestellen konnten. Die Hütten wurden im Lauf der Jahrzehnte erweitert und ausstaffiert, die Dekoration war oft im bayerischen Stil gehalten. Die ersten Bierburgen sind im ausgehenden 19. Jahrhundert entstanden. Der Architekt Gabriel von Seidl entwarf einen Bau für den Festwirt Michael Schottenhamel, ganz besonders aber trieb der Festwirt Georg Lang mit seinen Ideen und Innovationen die Entwicklung der Bierhallen voran. In den 1920er Jahren wurden die Bauten durch erste Zeltkonstruktionen ersetzt. Die Festzelte der 1930er Jahre folgten schon größtenteils einem einheitlichen Grundriss mit vorgeblendeter Fassade und boten Plätze für mehrere tausend Menschen.

Liebe Aline!

Ich ging Montag ins Krankenhaus und bin heute Nachmittag entlassen worden. Ich hatte eine leichte Gehirnerschütterung, vier Schädelwunden, und eine gebrochene Nase [...] das Oktoberfest findet auf der Theresienwiese statt, die neben dem Ausstellungspark am Stadtrand liegt. Ich ging zwei oder drei Mal hinaus und sah mir den Rummel an [...] Folgendes ist passiert: Ich hatte sieben oder acht Liter getrunken – das heißt fast einen Liter Alkohol – und war völlig betrunken. Ich ging durch einen Gang zu einem Seitenausgang, wo ich ein paar Männer traf. Ich glaube einer von den Leuten hat mich beim Arm genommen – ich wollte weitergehen, er hielt mich fest und, und obwohl ich keineswegs wütend, sondern eher überschwänglich glücklich war, gab ich ihm einen Stoß, so dass er über einen Tisch fiel. Dann stürzte ich frohlockend hinaus, wie ein Kind das ein Fenster eingeworfen hat. Ich hörte Rufen und Schreien hinter mir, und als ich mich umdrehte, sah ich mehrere Männer hinter mir herlaufen. Einer hatte einen Klappstuhl aus dem Bierzelt bei sich – ein Ding aus Eisen und Holz. Ich merkte, daß er mir damit eins über den Kopf geben wollte, und ich weiß noch, daß mich das in Wut brachte. Ich blieb stehen und wandte mich um, und dann hatte ich auf diesem grässlich schlüpfrigen Schlammboden einen blutigen Kampf mit diesen Leuten. Ich erinnere mich jetzt mit Grauen daran wie an eine Hölle aus glitschigem Schlamm, Blut und Finsternis, und der Regen fiel auf uns Tobsüchtige herab, die wir einander umbringen wollten.

Thomas Wolfe an Aline Bernstein, Brief vom 4. Oktober 1928

 

Der amerikanische Schriftsteller Thomas Wolfe unternahm mehrere Europareisen und besuchte dabei auch München. Seine Besuche auf dem Oktoberfest hat er zunächst in der gleichnamigen Erzählung verarbeitet, später floss der Text auch in seinen Roman Web and RockGeweb und Fels, ein.

Jedermann aß; jedermann trank. Ein mörderischer Hunger, ein Hunger, der keine Besänftigung kannte, der sich alles gebratene Ochsenfleisch, alle Würste, allen Salzfisch der Welt einverleiben wollte, packte mich und hielt mich in seinen Klauen. Auf der ganzen Welt gab es nichts als Essen – herrliches Essen. Und Bier – Oktoberfestbier. Die Welt war ein einziger Schlund – es gab keinen erhabeneren Himmel als eben dieses Paradies von Stopf und Propf. Alle Seelenqual war hier vergessen. Was wußten diese Leute von Büchern? Was wussten sie von Bildern? Was wussten sie vom millionenfachen Aufruhr des Herzens, von den Kämpfen und Quälereien des Geistes, den Hoffnungen, Ängsten, Gehässigkeiten, Fehlschlägen und Ambitionen, der ganzen fieberhaften Sphäre des modernen Lebens? Diese Leute lebten für nichts anderes als für Essen und Trinken – und recht hatten sie. 

[...]

Es dauerte nicht lange, und Heinrich erspähte durch die Schleier und Schwaden wabernden Rauchs, der sich in der großen Halle wand und aufstieg wie Pulverdampf, zwei freie Plätze an einem Tisch nahe der Saalmitte, wo auf der viereckigen Holztribüne vierzig Männer in Bauerntracht einen ohrenbetäubenden Krach auf Blechinstrumenten machten. [...] Und schließlich, im Auge dieses tosenden Orkans, nahmen wir triumphierend Platz, keuchten siegestolz und bestellten sofort zwei Liter Dunkles und zwei Portionen Schweinswürstel mit Sauerkraut. Die Kapelle schmetterte die Melodie von „Ein Prosit, Ein Prosit!“, und überall im Saal hatten sich die Leute von den Tischen erhoben und standen mit untergehakten Armen und erhobenen Krügen da, während sie das großartige Trinklied brüllten und im Takt hin und her schunkelten.

Thomas Wolfe: Oktoberfest (1939). Manesse Verlag, München 2010

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek