Gottfried Keller über München II
Es glühten im letzten Abendscheine griechische Giebelfelder und gotische Türme; Säulen der verschiedensten Art tauchten ihre geschmückten Häupter noch in den Rosenglanz, helle gegossene Bilder, funkelneu, schimmerten aus dem Helldunkel der Dämmerung, indessen buntbemalte offene Hallen schon durch Laternenlicht erleuchtet waren und von geschmückten Frauen durchwandelt wurden. Steinbilder ragten in langen Reihen von hohen Zinnen in die Luft, Königsburgen, Paläste, Theater, Kirchen bildeten große Gruppen zusammen, Gebäude von allen möglichen Bauarten, alle gleich neu, man hier vereinigt, während dort alte geschwärzte Kuppeln, Rat- und Bürgerhäuser einen schroffen Gegensatz machten. Es herrschte ein aufgeregtes Leben auf den Straßen und Plätzen. Aus Kirchen und mächtigen Schenkhäusern erscholl Musik, Geläute, Orgel- und Harfenspiel; aus mit allerlei mystischen Symbolen überladenen Kapellentüren drangen Weihrauchwolken auf die Gasse; schöne und fratzenhafte Künstlergestalten gingen scharenweis vorüber, Studenten in Schnürröcken und silbergestickten Mützen kamen daher, unter offenen Hausfluren saßen wohlgenährte Spießbürger hinter gebratenen Gänsen und mächtigen Krügen und genossen den lauen Frühlingsabend; glänzende Wagen mit Mohren und Jägern fuhren vorbei und wurden aufgehalten durch einen ungeheuren Knäuel von Soldaten und Handwerksburschen, welche sich die Köpfe zerbläueten. Es war ein unendliches Gesumme überall und ein seltsamer Übergang der katholischen Festandacht und der kirchlichen Glockentöne in die laute Lustbarkeit des zweiten Osterabends.
Gottfried Keller, Der grüne Heinrich, 1854/55 (Zit. aus: Gottfried Keller: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Erlenbach-Zürich, München 1926, S. 60-63)
Gottfried Keller (1819-1890), schweizerischer Dichter und Politiker; Aufenthalt in München: 1840 bis 1842 und 1874
Weitere Kapitel:
Es glühten im letzten Abendscheine griechische Giebelfelder und gotische Türme; Säulen der verschiedensten Art tauchten ihre geschmückten Häupter noch in den Rosenglanz, helle gegossene Bilder, funkelneu, schimmerten aus dem Helldunkel der Dämmerung, indessen buntbemalte offene Hallen schon durch Laternenlicht erleuchtet waren und von geschmückten Frauen durchwandelt wurden. Steinbilder ragten in langen Reihen von hohen Zinnen in die Luft, Königsburgen, Paläste, Theater, Kirchen bildeten große Gruppen zusammen, Gebäude von allen möglichen Bauarten, alle gleich neu, man hier vereinigt, während dort alte geschwärzte Kuppeln, Rat- und Bürgerhäuser einen schroffen Gegensatz machten. Es herrschte ein aufgeregtes Leben auf den Straßen und Plätzen. Aus Kirchen und mächtigen Schenkhäusern erscholl Musik, Geläute, Orgel- und Harfenspiel; aus mit allerlei mystischen Symbolen überladenen Kapellentüren drangen Weihrauchwolken auf die Gasse; schöne und fratzenhafte Künstlergestalten gingen scharenweis vorüber, Studenten in Schnürröcken und silbergestickten Mützen kamen daher, unter offenen Hausfluren saßen wohlgenährte Spießbürger hinter gebratenen Gänsen und mächtigen Krügen und genossen den lauen Frühlingsabend; glänzende Wagen mit Mohren und Jägern fuhren vorbei und wurden aufgehalten durch einen ungeheuren Knäuel von Soldaten und Handwerksburschen, welche sich die Köpfe zerbläueten. Es war ein unendliches Gesumme überall und ein seltsamer Übergang der katholischen Festandacht und der kirchlichen Glockentöne in die laute Lustbarkeit des zweiten Osterabends.
Gottfried Keller, Der grüne Heinrich, 1854/55 (Zit. aus: Gottfried Keller: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Erlenbach-Zürich, München 1926, S. 60-63)
Gottfried Keller (1819-1890), schweizerischer Dichter und Politiker; Aufenthalt in München: 1840 bis 1842 und 1874