Jean Giraudoux über München IV
Die Halle des „Café Luitpold“ war ganz leer, man sah nur die Marmorfläche der Tische, wie einen namenlosen Friedhof, und ein narbiger Student, dessen Kopf kaum daraus hervorragte, versuchte allein, darin aufzuerstehen. Die Tip-Top-Bar, reich an Erinnerungen, bot mir mein Spiegelbild achtzehn Mal dar, aber der überlebende Mensch, den ich suchte, um die Halluzination vollzumachen, sträubte sich zu erscheinen. Ich ging in alle Cafés, in denen ich damals einem Stammtisch angehört hatte, einer Einrichtung, die gewöhnlich dem Reisenden noch stärker als die Pyramiden die Empfindung des Unveränderlichen geben, wenn er, von Tibet zurückgekehrt, durch die beschlagene Scheibe und beinahe durch seine Tränen, dem Haupt der Tafelrunde in sein gleichgültiges und egoistisches Auge blickt ... Aber vergeblich. Der Baurat aus dem Spatenbräu ist verschwunden mitsamt seinem Spezialeisen zum Bierwärmen, das er mir immer lieh, um meine Zitrone zu behandeln; verschwunden der Major von Podmer aus dem Franziskaner mit seiner elektrisch geheizten Pfeife; verschwunden der Professor Preuß, der Maler, der als Modell nur eine Kellnerin wollte und daher nie arbeiten konnte, wenn die Cafés geöffnet waren, Gott weiß, dass er das ausnutzte! Alle diese Pensionisten, die nur zu leben hatten: verschwunden! ... Ich war allein in Deutschland!
Jean Giraudoux, Wiedersehen mit München, 1920 (Zit. aus: Jean Giraudoux: Wiedersehen mit München. Zit. n.: Wilhelm Zentner (Hg.): Gastfreundliches München. Das Antlitz einer Stadt im Spiegel ihrer Gäste. München 1947, S. 244)
Jean Giraudoux (1882-1944), französischer Dichter; Aufenthalt in München: 1905, 1906 und 1914
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Die Halle des „Café Luitpold“ war ganz leer, man sah nur die Marmorfläche der Tische, wie einen namenlosen Friedhof, und ein narbiger Student, dessen Kopf kaum daraus hervorragte, versuchte allein, darin aufzuerstehen. Die Tip-Top-Bar, reich an Erinnerungen, bot mir mein Spiegelbild achtzehn Mal dar, aber der überlebende Mensch, den ich suchte, um die Halluzination vollzumachen, sträubte sich zu erscheinen. Ich ging in alle Cafés, in denen ich damals einem Stammtisch angehört hatte, einer Einrichtung, die gewöhnlich dem Reisenden noch stärker als die Pyramiden die Empfindung des Unveränderlichen geben, wenn er, von Tibet zurückgekehrt, durch die beschlagene Scheibe und beinahe durch seine Tränen, dem Haupt der Tafelrunde in sein gleichgültiges und egoistisches Auge blickt ... Aber vergeblich. Der Baurat aus dem Spatenbräu ist verschwunden mitsamt seinem Spezialeisen zum Bierwärmen, das er mir immer lieh, um meine Zitrone zu behandeln; verschwunden der Major von Podmer aus dem Franziskaner mit seiner elektrisch geheizten Pfeife; verschwunden der Professor Preuß, der Maler, der als Modell nur eine Kellnerin wollte und daher nie arbeiten konnte, wenn die Cafés geöffnet waren, Gott weiß, dass er das ausnutzte! Alle diese Pensionisten, die nur zu leben hatten: verschwunden! ... Ich war allein in Deutschland!
Jean Giraudoux, Wiedersehen mit München, 1920 (Zit. aus: Jean Giraudoux: Wiedersehen mit München. Zit. n.: Wilhelm Zentner (Hg.): Gastfreundliches München. Das Antlitz einer Stadt im Spiegel ihrer Gäste. München 1947, S. 244)
Jean Giraudoux (1882-1944), französischer Dichter; Aufenthalt in München: 1905, 1906 und 1914