Helmut Qualtinger über München

Mitten in Bayern, dort, wo grundlos die Autobahn auf­hört, fängt München an. So wie der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, so ist München die Fortsetzung des Autobahnverkehrs mit anderen Mitteln. Zu diesem Zweck verwenden seine Verkehrsstrategen spielautomatenartige Ampeln, die zu gleicher Zeit in den Überraschendsten Kombinationen nach den verschiedensten Seiten aufleuchten und Fußgänger und Autofahrer gemeinsam auf den trügerischen Zebrastreifen locken ... Dessen ungeachtet brandet der Verkehr einer Weltstadt durch die ausgewaschenen Straßen und lässt den einfahrenden Fremdling hinter jeder Ecke so etwas wie den Anblick der Skyline von Manhattan erwarten. Stattdessen steht dort schließlich, wie es im Lied so schön heißt, ein Hofbräuhaus.

In den Straßen drängt sich die Menge. In den Auslagen und Läden drängen sich die Waren. Und zwischen den Ladentischen drängen sich die Käufer. Es gibt von allem zu viel. Die Auswahl ist enorm. Die Preise sind nicht hoch. Die Leute sind alle auffallend gut angezogen. Elegant angezogen sind sie nicht. Der Trubel, besonders bei den großen Sommerausverkäufen, erreicht amerikanische Maße. Man könnte in Chicago sein und ist doch eigentlich in Oberammergau. In Oberammergau, wo das ganze Jahr Kirchweih ist. Aber – Oberammergau in Illinois.

Helmut Qualtinger, Der 800-Jahr-Markt, 1958 (Zit. aus: Helmut Qualtinger: Helmut Qualtingers beste Satiren. Vom Travnicek zum Herrn Karl. Mit Texten von Gerhard Bronner, Carl Merz und Helmut Qualtinger. Hg. v. Brigitte Erbacher. Verlag Preiser, Otto G. & Co., München, Wien 1973, S. 142f.)

 

Helmut Qualtinger (1928-1986), österreichischer Schauspieler, Schriftsteller und Kabarettist; häufige Aufenthalte in München

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek