Guillaume Apollinaire über München

Es war ein kalter März, und das Paar schlotterte in dem Pappdeckel-Athen aus Stein. „Bier“, hatte der Baron des Ygrées erklärt, „ist ausgezeichnet für schwangere Frauen.“ Er nahm seine Frau ins Königliche Pschorr-Brauhaus mit ins Augustinerbräu, ins Münchnerkindl und in andere Brauereien.

Sie erstiegen den Nockherberg, an dem ein großer Garten liegt. Dort trinkt man, solange es ausgeschenkt wird, das berühmte Märzenbier, den Salvator, und lange hält es nicht vor, denn die Münchner sind große Säufer. Als der Baron mit seiner Frau den Biergarten betrat, fanden sie ihn gerammelt voll. Da saßen Kopf an Kopf die bereits betrunkenen Saufbolde, grölten aus vollem Halse, schunkelten und schlugen die leeren Maßkrüge in Scherben, Händler boten Brathendl feil, verkauften Steckerlfische, Brezeln, Semmeln, Wurstwaren, Zuckerzeug, Reiseandenken, Ansichtskarten ... Die Trinker drängten sich um den Schanktisch, wo man seine Maß selber holt, aber die Fässer leerten sich nicht mehr, man hörte nicht mehr von Minute zu Minute die dröhnenden Hammerschläge, die ankündigten, dass ein neues Fass angestochen wurde. Das Singen hatte aufgehört, zornige Trinker stießen Schimpfwörter gegen die Brauer und sogar gegen das Märzenbier aus. Andere benutzten die Pause und kotzten unter heftigem Würgen und mit vorquellenden Augen.

Guillaume Apollinaire, Der gemordete Dichter, 1916 (Zit. aus: Guillaume Apollinaire: Der gemordete Dichter. München 1968, S. 25-27)

 

Guillaume Apollinaire (1880-1918), französischer Dichter; Aufenthalt in München: um 1916

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek