Bekannt wie einflussreich ist Goethes Aufsatz...
Bekannt wie einflussreich ist Goethes Aufsatz Von Deutscher Baukunst, in dem er die Gotik, ausgehend vom Straßburger Münster, als eigentümlich Deutsche Architektur beschreibt. Tatsächlich ist (bevor wir auf das Werk zurückkommen) die Gotik nicht bloß gesamteuropäisch eine der prägendsten Epochen des Kontinents, sie ist allen Gesellschaften, die auf ihre Formensprache zurückgriffen und mit ihr Gebäude schufen ungewöhnlich wichtig. Das klingt einfach. Aber wie kommt das? Bei allen anderen Architekturen fällt es selbst den Nationalisten nicht schwer, die Ursprünge offen zu legen oder sich die Formensprache zumindest neidlos zu teilen. Die Romanik ist nicht hart umkämpft. Die Renaissance als zuerst italienischer Rückgriff und dann bewusst europaweite Apotheose des gesteigerten Rückbezugs erst recht nicht. Aber die Gotik, die niemand, während sie währte, so genannt hat, ist für das nationale Selbstverständnis so vieler Kulturen so dermaßen mit der architektonischen Identität verwachsen, dass einen die ideengeschichtlichen Alleiingänge doch überraschen. Da gibt es die nordfranzösischen Kathedralen. Die englische Gotik, von der Kathedrale von Canterbury, über William Beckfords Fonthill Abbey, bis zu so gut wie jedem viktorianischem Bahnhof. Nur die Italiener bestehen nicht unbedingt auf auf die Urheberschaft, obwohl nicht betont werden muss, wie viele gotische Meisterwerke es in Italien gibt. Darunter den Mailänder Dom, die Scaliger Gräber in Verona und natürlich: Venedig. Und dennoch ist es bezeichnend, dass der Name Gotik aus Italien (genauer Florenz) kam und böse gemeint war.
Goethes Von Deutscher Baukunst handelt nur vordergründig von Architektur. Für Goethes Verhältnisse sind Text und Thesen ziemlich patriotisch, wenn nicht chauvinistisch. Aber die Gedankengebäude sind auch sonst ungeheuer wild. Goethe macht sich Gedanken über die Perspektive der Ameisen, unterstellt Babelgedanken, und schwafelt im besten (?) Sinne, als hätte er auch mal heimlich an Schillers Äpfeln gerochen: Also nur, trefflicher Mann, eh ich mein geflicktes Schiffchen wieder auf den Ozean wage, wahrscheinlicher dem Tod als dem Gewinst entgegen, siehe: hier in diesem Hain, wo ringsum die Namen meiner Geliebten grünen, schneid ich den deinigen in eine deinem Turm gleich schlank aufsteigende Buche, hänge an seinen vier Zipfeln dies Schnupftuch mit Gaben dabei auf. Nicht ungleich jenem Tuche, das dem heiligen Apostel aus den Wolken herabgelassen ward, voll reiner und unreiner Tiere; so auch voll Blumen, Blüten, Blätter, auch wohl dürres Gras und Moos und über Nacht geschoßne Schwämme, das alles ich auf dem Spaziergang durch unbedeutende Gegenden, kalt zu meinem Zeitvertreib botanisierend eingesammelt, dir nun zu Ehren der Verwesung weihe. Was heißt das denn? Wenn der Inhalt nicht so heilig wäre, könnte man sagen, dass sich Goethe hier von seiner mephistophelischen Seite zeigte. Das macht es als Psychogramm durchaus interessant, weil es Goethe als formal wechselhaft und immer wieder neuen und alten Strömungen und Epochen begeisterte Persönlichkeit zeigt. Zwischen Götz und Iphigenie, Volksliedern, Elegien und Sonetten, Wahlverwandtschaften und Faust II.
Zurück also zur aus Goethes Sicht ur-deutschen Baukunst und seinem Musterbauwerk: Hier steht sein Werk, tretet hin und erkennt das tiefste Gefühl von Wahrheit und Schönheit der Verhältnisse, würkend aus starker, rauher, deutscher Seele auf dem eingeschränkten düstern Pfaffenschauplatz des medii aevi. Es wundert nicht, dass diese Gedanken eine ganz eigene Laufbahn einschlugen, auch von seinen späteren anti-nationalistischen, weltzugewandten Erzeugnissen nicht mehr relativiert wurden, und schließlich in Hitlers Überzeugung mündeten, man müsste das Straßburger Münster zum Symbol eines deutschen Sieges ausrufen und aus ihm ein Nationalheiligtum des Deutschen Volkes machen. Und es führt v.a. auch dazu, dass die alten Baustellen im 19. Jahrhundert, wie beim Kölner Dom und dem Ulmer Münster beispielsweise, mit wahnsinnigem Elan neu angegangen und vollendet werden. Wer deutscher dachte, baute auch am Ende des Jahrhunderts noch neogotisch. Z.B. in München, der Stadt, in der 40 Jahre vorher der Klassizist Ludwig I. gegen seinen Willen in einem gotischen Palais gesperrt wurde, baute man sich mit St. Paul eine Reminiszenz an den Frankfurter Kaiserdom mit Betonung auf Kaiser. Oder in Berlin, wo Schinkel, der ebenfalls die Gotik für sich entdeckte, sein Nationaldenkmal für die Befreiungskriege auf dem Kreuzberg errichten ließ, einschließlich des Eisernen Kreuzes, das die Spitze abschließt und nach dem der ganze der Stadtteil im Anschluss benannt wurde. Und von dem ganzen Rest gar nicht zu reden. Die Geschichte ist bekannt.
Goethe, der die Gotik wieder ritter-salonfähig machte, hatte im Laufe seines Lebens allerdings ein wechselhaftes Verhältnis zur behandelten Epoche. Auch er hat, wenn man seinen Büchern Glauben schenken darf, mit der Gotik Grusel verbunden oder wusste, dass er damit Grusel hervorrief. Auch abseits des einleitenden Satzes zum eben besprochenen Aufsatz (Als ich auf deinem Grabe herumwandelte) nutzte er das epochal dunkel getünchte Setting für seine Ballade Der Totentanz. Darin blickt ein Türmer in die Tiefe und sieht die Toten aus den Gräbern steigen und tanzen, ein imago mortis, das auf die Tradition zurückgeht, Verse zu Holzschnitten zu schreiben, die eben Totentanzmotive zeigen.
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Bekannt wie einflussreich ist Goethes Aufsatz Von Deutscher Baukunst, in dem er die Gotik, ausgehend vom Straßburger Münster, als eigentümlich Deutsche Architektur beschreibt. Tatsächlich ist (bevor wir auf das Werk zurückkommen) die Gotik nicht bloß gesamteuropäisch eine der prägendsten Epochen des Kontinents, sie ist allen Gesellschaften, die auf ihre Formensprache zurückgriffen und mit ihr Gebäude schufen ungewöhnlich wichtig. Das klingt einfach. Aber wie kommt das? Bei allen anderen Architekturen fällt es selbst den Nationalisten nicht schwer, die Ursprünge offen zu legen oder sich die Formensprache zumindest neidlos zu teilen. Die Romanik ist nicht hart umkämpft. Die Renaissance als zuerst italienischer Rückgriff und dann bewusst europaweite Apotheose des gesteigerten Rückbezugs erst recht nicht. Aber die Gotik, die niemand, während sie währte, so genannt hat, ist für das nationale Selbstverständnis so vieler Kulturen so dermaßen mit der architektonischen Identität verwachsen, dass einen die ideengeschichtlichen Alleiingänge doch überraschen. Da gibt es die nordfranzösischen Kathedralen. Die englische Gotik, von der Kathedrale von Canterbury, über William Beckfords Fonthill Abbey, bis zu so gut wie jedem viktorianischem Bahnhof. Nur die Italiener bestehen nicht unbedingt auf auf die Urheberschaft, obwohl nicht betont werden muss, wie viele gotische Meisterwerke es in Italien gibt. Darunter den Mailänder Dom, die Scaliger Gräber in Verona und natürlich: Venedig. Und dennoch ist es bezeichnend, dass der Name Gotik aus Italien (genauer Florenz) kam und böse gemeint war.
Goethes Von Deutscher Baukunst handelt nur vordergründig von Architektur. Für Goethes Verhältnisse sind Text und Thesen ziemlich patriotisch, wenn nicht chauvinistisch. Aber die Gedankengebäude sind auch sonst ungeheuer wild. Goethe macht sich Gedanken über die Perspektive der Ameisen, unterstellt Babelgedanken, und schwafelt im besten (?) Sinne, als hätte er auch mal heimlich an Schillers Äpfeln gerochen: Also nur, trefflicher Mann, eh ich mein geflicktes Schiffchen wieder auf den Ozean wage, wahrscheinlicher dem Tod als dem Gewinst entgegen, siehe: hier in diesem Hain, wo ringsum die Namen meiner Geliebten grünen, schneid ich den deinigen in eine deinem Turm gleich schlank aufsteigende Buche, hänge an seinen vier Zipfeln dies Schnupftuch mit Gaben dabei auf. Nicht ungleich jenem Tuche, das dem heiligen Apostel aus den Wolken herabgelassen ward, voll reiner und unreiner Tiere; so auch voll Blumen, Blüten, Blätter, auch wohl dürres Gras und Moos und über Nacht geschoßne Schwämme, das alles ich auf dem Spaziergang durch unbedeutende Gegenden, kalt zu meinem Zeitvertreib botanisierend eingesammelt, dir nun zu Ehren der Verwesung weihe. Was heißt das denn? Wenn der Inhalt nicht so heilig wäre, könnte man sagen, dass sich Goethe hier von seiner mephistophelischen Seite zeigte. Das macht es als Psychogramm durchaus interessant, weil es Goethe als formal wechselhaft und immer wieder neuen und alten Strömungen und Epochen begeisterte Persönlichkeit zeigt. Zwischen Götz und Iphigenie, Volksliedern, Elegien und Sonetten, Wahlverwandtschaften und Faust II.
Zurück also zur aus Goethes Sicht ur-deutschen Baukunst und seinem Musterbauwerk: Hier steht sein Werk, tretet hin und erkennt das tiefste Gefühl von Wahrheit und Schönheit der Verhältnisse, würkend aus starker, rauher, deutscher Seele auf dem eingeschränkten düstern Pfaffenschauplatz des medii aevi. Es wundert nicht, dass diese Gedanken eine ganz eigene Laufbahn einschlugen, auch von seinen späteren anti-nationalistischen, weltzugewandten Erzeugnissen nicht mehr relativiert wurden, und schließlich in Hitlers Überzeugung mündeten, man müsste das Straßburger Münster zum Symbol eines deutschen Sieges ausrufen und aus ihm ein Nationalheiligtum des Deutschen Volkes machen. Und es führt v.a. auch dazu, dass die alten Baustellen im 19. Jahrhundert, wie beim Kölner Dom und dem Ulmer Münster beispielsweise, mit wahnsinnigem Elan neu angegangen und vollendet werden. Wer deutscher dachte, baute auch am Ende des Jahrhunderts noch neogotisch. Z.B. in München, der Stadt, in der 40 Jahre vorher der Klassizist Ludwig I. gegen seinen Willen in einem gotischen Palais gesperrt wurde, baute man sich mit St. Paul eine Reminiszenz an den Frankfurter Kaiserdom mit Betonung auf Kaiser. Oder in Berlin, wo Schinkel, der ebenfalls die Gotik für sich entdeckte, sein Nationaldenkmal für die Befreiungskriege auf dem Kreuzberg errichten ließ, einschließlich des Eisernen Kreuzes, das die Spitze abschließt und nach dem der ganze der Stadtteil im Anschluss benannt wurde. Und von dem ganzen Rest gar nicht zu reden. Die Geschichte ist bekannt.
Goethe, der die Gotik wieder ritter-salonfähig machte, hatte im Laufe seines Lebens allerdings ein wechselhaftes Verhältnis zur behandelten Epoche. Auch er hat, wenn man seinen Büchern Glauben schenken darf, mit der Gotik Grusel verbunden oder wusste, dass er damit Grusel hervorrief. Auch abseits des einleitenden Satzes zum eben besprochenen Aufsatz (Als ich auf deinem Grabe herumwandelte) nutzte er das epochal dunkel getünchte Setting für seine Ballade Der Totentanz. Darin blickt ein Türmer in die Tiefe und sieht die Toten aus den Gräbern steigen und tanzen, ein imago mortis, das auf die Tradition zurückgeht, Verse zu Holzschnitten zu schreiben, die eben Totentanzmotive zeigen.