Robert Schumann schrieb nach seinem Umzug...
Robert Schumann schrieb nach seinem Umzug nach Düsseldorf eine in großen Teilen ziemlich durische Symphonie über den Hausfluss seiner neuen Heimatstadt: Die Dritte in Es-Dur, die sogenannte Rheinische. Ein Sonderling unter den Sätzen stellt der Vierte von Fünfen dar: Mit „Feierlich“ überschrieben, ist er doch tiefernst, ein Kirchenstück: Der Kölner Dom, mehrstimmig geschichtet. Ein Choral leitet den Satz ein, eine Fuge scheint auf, in es-Moll usw. Der Satz ist ein Wunder an zeitlich verdichteter Ekphrasis in Tönen, er suggeriert epische Ausmaße bei eigenartiger Kürze. Die Zeit verläuft hier vertikal. Wenn überhaupt, wird hier ein Passieren verhandelt. Sollte der Dom hier vom Wasser aus „geschildert“ werden, dann in der Zeit, die man bräuchte, um auf einem Schiff an ihm vorbeizufahren und ihn aus wechselnden Perspektiven zu betrachten. Zu Schumanns Zeit war der Dom noch unvollendet, ein turmloser Koloss, mit Kränen am Buckel. Bei Schumann spricht die Polyphonie von vielen Epochen gleichzeitig.
Es ist nicht das letzte Mal, dass Musiker von dieser Kathedrale reden und Polyphonie meinen. So vergleicht Schostakowitsch, als er zusammen mit seinen Studenten die Jupiter-Symphonie von Mozart analysiert, den vierten Satz und seine meisterliche Kontrapunktik mit dem mittlerweile fertiggestellten Kölner Dom. Die Gotik ist natürlich ganz im Gegensatz zum Barock keiner Epoche der Musik zuzuordnen und es macht auch wenig Sinn, zu fragen: Ist Bach gotisch? Natürlich nicht. Es ist ja ein Geschenk, wenn Kunst epochenlos betrachtet werden kann und man sollte sie dann nicht künstlich in eine zwingen. Aber es hilft, Bach für sich ein wenig zu ent-barockisieren, zu bedenken, dass seine Musik in gotischen Kirchen, in allen Winkeln und Emporen aufgeführt und für sie geschrieben wurde, dass die Fugen weit in die Kompositionshistorie zurückreichten, bis zu, gemessen an Bach, lange verblichenen Tonmetzen. Die Verschränkung von Stimme und Gebäude war damals offensichtlicher und nicht so metaphorisch gemeint wie bei den Gedanken weiter oben. Man nimmt nämlich an, dass die Chöre in der Kirche nach Stimmen aufgeteilt und ver-teilt wurden, also aus allen Richtungen sangen.
Bach war in diversen Kirchen immer wieder Nachfolger von Vorgängern, deren Lebensläufe an diese Kirchen gebunden waren, deren Noten in den Archiven der Gemeinden lagerten. Der große Erneuerer Bach, der Verfasser des Wohltemperierten Claviers war traditionalistischer als seine barocken Kollegen, doch trotzdem revolutionärer und v.a. architektonisch aufregender. Von den Sonaten und Partiten für Violine Solo bis zur h-Moll-Messe.
Es ist durchaus attraktiv ein räumliches Kunstwerk mit einem Zeitkunstwerk zu vergleichen. Die Formensprache ähnelt sich hinsichtlich von Begrenzung und Freiheit der Mittel, Strenge und der detailreichen Gestaltung großer (und das passt natürlich gut und wörtlich) Bögen. Sie dauern und durchdauern beide. Und vielleicht sind gerade die gotischen Kathedralen in gewissem Sinne die zeitlichsten aller räumlichen Kunstwerke, allein schon weil sie unvergleichlich lange Baugeschichten aufweisen. (Und ebenso viele Bauschichten) Keine barocke, keine romanische Kirche, keine Pyramide war so lange am Entstehen wie der Kölner Dom und seine Geschwister. (Man denke auch an die post-gotische LSD-Basilika von Gaudí, die – Stand Jetzt – immer noch nicht fertig ist). Diese Kirchen wachsen mehr heran, als in die Höhe.
Es gibt dank Schelling, Schopenhauer und Valéry die Metaphernfamilie der Architektur als erstarrte Musik (Schelling) / Architektur als gefrorene Musik (Schopenhauer) / Architektur als zu Stein gewordene Musik (Valéry).
Beide (Musik und Architektur) ahmen im Grunde nicht nach, auch wenn es florale Elemente in der Architektur und von Instrumenten imitierte Vogelstimmen in der Musik gibt. Ein Scharnier zwischen ihnen ist die Orgel, die selbstredend Musik produziert und in die Innenausstattung integriert ist. Aber gerade die Orgel ist mehr. Das weiß jeder, der schon mal einem Orgel-Konzert beigewohnt hat. Eine Kirche ist erst dann komplett in Betrieb, wenn die vermeintlichen Leerräume mit Schallwellen gefüttert sind. Mit zwischen den Säulen geknickter Luft. Für den Gläubigen der letzte Beweis dafür, dass Gott alle Winkel und Korpuskeln dieser Erde besetzt, um Descartes zu anklingen zu lassen. Und um Nietzsche zu missbrauchen: Ohne Orgel ist jede Kathedrale ein Irrtum, ein fataler Ort der Demut. Und man sollte sich von Gott nicht demütigen lassen, von Musik dagegen schon. Ab und zu. Die Orgel ist ein Genickinstrument, das Rückenmark golden färbt und das man mit dem Kiefer so gut hört wie mit den Fingerkuppen, die man auf den Holzbänken abgelegt hat.
Weitere Kapitel:
Robert Schumann schrieb nach seinem Umzug nach Düsseldorf eine in großen Teilen ziemlich durische Symphonie über den Hausfluss seiner neuen Heimatstadt: Die Dritte in Es-Dur, die sogenannte Rheinische. Ein Sonderling unter den Sätzen stellt der Vierte von Fünfen dar: Mit „Feierlich“ überschrieben, ist er doch tiefernst, ein Kirchenstück: Der Kölner Dom, mehrstimmig geschichtet. Ein Choral leitet den Satz ein, eine Fuge scheint auf, in es-Moll usw. Der Satz ist ein Wunder an zeitlich verdichteter Ekphrasis in Tönen, er suggeriert epische Ausmaße bei eigenartiger Kürze. Die Zeit verläuft hier vertikal. Wenn überhaupt, wird hier ein Passieren verhandelt. Sollte der Dom hier vom Wasser aus „geschildert“ werden, dann in der Zeit, die man bräuchte, um auf einem Schiff an ihm vorbeizufahren und ihn aus wechselnden Perspektiven zu betrachten. Zu Schumanns Zeit war der Dom noch unvollendet, ein turmloser Koloss, mit Kränen am Buckel. Bei Schumann spricht die Polyphonie von vielen Epochen gleichzeitig.
Es ist nicht das letzte Mal, dass Musiker von dieser Kathedrale reden und Polyphonie meinen. So vergleicht Schostakowitsch, als er zusammen mit seinen Studenten die Jupiter-Symphonie von Mozart analysiert, den vierten Satz und seine meisterliche Kontrapunktik mit dem mittlerweile fertiggestellten Kölner Dom. Die Gotik ist natürlich ganz im Gegensatz zum Barock keiner Epoche der Musik zuzuordnen und es macht auch wenig Sinn, zu fragen: Ist Bach gotisch? Natürlich nicht. Es ist ja ein Geschenk, wenn Kunst epochenlos betrachtet werden kann und man sollte sie dann nicht künstlich in eine zwingen. Aber es hilft, Bach für sich ein wenig zu ent-barockisieren, zu bedenken, dass seine Musik in gotischen Kirchen, in allen Winkeln und Emporen aufgeführt und für sie geschrieben wurde, dass die Fugen weit in die Kompositionshistorie zurückreichten, bis zu, gemessen an Bach, lange verblichenen Tonmetzen. Die Verschränkung von Stimme und Gebäude war damals offensichtlicher und nicht so metaphorisch gemeint wie bei den Gedanken weiter oben. Man nimmt nämlich an, dass die Chöre in der Kirche nach Stimmen aufgeteilt und ver-teilt wurden, also aus allen Richtungen sangen.
Bach war in diversen Kirchen immer wieder Nachfolger von Vorgängern, deren Lebensläufe an diese Kirchen gebunden waren, deren Noten in den Archiven der Gemeinden lagerten. Der große Erneuerer Bach, der Verfasser des Wohltemperierten Claviers war traditionalistischer als seine barocken Kollegen, doch trotzdem revolutionärer und v.a. architektonisch aufregender. Von den Sonaten und Partiten für Violine Solo bis zur h-Moll-Messe.
Es ist durchaus attraktiv ein räumliches Kunstwerk mit einem Zeitkunstwerk zu vergleichen. Die Formensprache ähnelt sich hinsichtlich von Begrenzung und Freiheit der Mittel, Strenge und der detailreichen Gestaltung großer (und das passt natürlich gut und wörtlich) Bögen. Sie dauern und durchdauern beide. Und vielleicht sind gerade die gotischen Kathedralen in gewissem Sinne die zeitlichsten aller räumlichen Kunstwerke, allein schon weil sie unvergleichlich lange Baugeschichten aufweisen. (Und ebenso viele Bauschichten) Keine barocke, keine romanische Kirche, keine Pyramide war so lange am Entstehen wie der Kölner Dom und seine Geschwister. (Man denke auch an die post-gotische LSD-Basilika von Gaudí, die – Stand Jetzt – immer noch nicht fertig ist). Diese Kirchen wachsen mehr heran, als in die Höhe.
Es gibt dank Schelling, Schopenhauer und Valéry die Metaphernfamilie der Architektur als erstarrte Musik (Schelling) / Architektur als gefrorene Musik (Schopenhauer) / Architektur als zu Stein gewordene Musik (Valéry).
Beide (Musik und Architektur) ahmen im Grunde nicht nach, auch wenn es florale Elemente in der Architektur und von Instrumenten imitierte Vogelstimmen in der Musik gibt. Ein Scharnier zwischen ihnen ist die Orgel, die selbstredend Musik produziert und in die Innenausstattung integriert ist. Aber gerade die Orgel ist mehr. Das weiß jeder, der schon mal einem Orgel-Konzert beigewohnt hat. Eine Kirche ist erst dann komplett in Betrieb, wenn die vermeintlichen Leerräume mit Schallwellen gefüttert sind. Mit zwischen den Säulen geknickter Luft. Für den Gläubigen der letzte Beweis dafür, dass Gott alle Winkel und Korpuskeln dieser Erde besetzt, um Descartes zu anklingen zu lassen. Und um Nietzsche zu missbrauchen: Ohne Orgel ist jede Kathedrale ein Irrtum, ein fataler Ort der Demut. Und man sollte sich von Gott nicht demütigen lassen, von Musik dagegen schon. Ab und zu. Die Orgel ist ein Genickinstrument, das Rückenmark golden färbt und das man mit dem Kiefer so gut hört wie mit den Fingerkuppen, die man auf den Holzbänken abgelegt hat.