28. Kapitel

Kaïkopura packte den Schopf des Jünglings, riss seinen Kopf an sich heran und fuhr ihm mit der Zunge übers Kinn. Mit der freien Hand glitt sie seinen Bauch hinab, erreichte, was sie suchte, packte zu, biss ihm ins Ohr, stöhnte auf, als das Mädchen zwischen ihren Beinen endlich den Schlüssel zu ihrem Tor fand. Dies war das Leben. Seit Kaïkopura zu alt geworden war, um noch ein Kind empfangen zu können, genoss sie die Freuden des Leibes mehr denn je. Sie war schön, sie war stark, sie war der Mund Atua-Kores und sie nahm sich, was sie wollte.

»Eure Heilig ...« Eine Akolythin hatte das Gemach betreten, wich bereits wieder zurück.

»Bleib«, befahl Kaïkopura, »was gibt es?« Das Mädchen zwischen ihren Schenkeln wollte ihr Tun unterbrechen, rasch drückte Kaïkopura ihr die Hand auf den Scheitel. Auch der Jüngling hätte wohl lieber eine züchtigere Haltung angenommen, aber jenen hatte sie fest in der Hand.

Mit roten Wangen stotterte die Akolythin: »Die erhabene Sprecherin fragt nach Euch. Ich sage ihr, dass Ihr unpässlich seid.«

»Wie kommst du darauf. Lass sie herein.«

Die Akolythin zögerte.

»Ich sagte, die sollst sie hereinschicken.«

»Sehr wohl, Eure Heiligkeit.«

Kaïkopura wandte sich wieder ihren Günstlingen zu. Das Mädchen bemühte sich redlich, nur der Jüngling war in Verlegenheit gebracht. Mit kundigen Fingern half sie ihm, zu seiner früheren Form zurückzufinden. Doch bevor er soweit war, ihr von Nutzen zu sein, hörte sie bereits die Schritte der Sprecherin.

»Eure Heiligkeit«, sagte Sokai, als sie den Raum betrat. Im Gegensatz zu der Akolythin ließ sie sich von dem ungewöhnlichen Bild nicht ablenken. »Kann ich mit Euch sprechen?«

»Sprecht.«

Ein Räuspern. »Allein.«

Kaïkopura seufzte, dann klatschte sie in die Hände, damit ihre Günstlinge sich entfernten. »Eure Kleidung könnt ihr hier lassen, es wird nicht lange dauern.«

Die beiden rannten nackt aus dem Gemach, sehnsüchtig sah Kaïkopura ihnen hinterher. Als sie verschwunden waren, wandte sie sich Sokai zu: »Was gibt es?«

»Wir müssen eine Lösung finden, was den Dornendämon betrifft. Ich habe einige Ohren in der Stadt – die Besitzlosen reden immer offener über ihn. Immer offener stellen sie die Allmacht der Goldenen in Frage.«

»Und was schlagt Ihr vor?« Zu lieben machte durstig. Kaïkopura wälzte sich aus ihrem Bett, ging an den Getränkeschrank. Einen Wimpernschlag lang liebäugelte sie mit der Weinkaraffe, dann erinnerte sie sich an den Rat des Schamanen und griff nach derjenigen mit Wasser.

»Die Stadtwache alleine ist überfordert, wir sollten ihr die Armee zur Seite stellen.«

Nackt trat Kaïkopura an Sokai heran. Beeindruckt beobachtete sie, dass die Sprecherin, die selbst wie stets makellos gekleidet war, keine Miene verzog. »Hass mit Gewalt begegnen ... eine bewährte Strategie.« Sie nahm einen Schluck von ihrem Wasser. Auf die Mühe, Sokai etwas anzubieten, verzichtete sie. »Aber für wie lang? Gerüchte über einen Gott lassen sich schwer bekämpfen. Besonders, wenn ein Richter in der Anwesenheit von hunderttausend Zeugen vor einer selbsternannten Prophetin niederkniet.«

»Wir brauchen ein neues Urteil, mit einem Richter, der seine Pflicht auch erfüllt. Die Leute müssen verstehen, dass es in die Finsternis führt, Atua-Kore zu verspotten.«

»Lasst mich raten, Ihr habt bereits eine Liste an möglichen Bauernopfern?«

»Spart Euch Euren Spott. Es gibt keinen anderen Weg.«

»Die Stadt ist ein Reisighaufen. Und jede Nachricht aus den Nebelzinnen wird ein neuer Funke sein.«

»Wir werden dafür sorgen, dass es keine neuen Nachrichten gibt.«

Kaïkopura lachte. »Wie wollt Ihr das anstellen?«

»Wir werden Arbeiter in die Nebelzinnen schicken, die alles einreißen, was immer es an fragwürdigen Bauwerken dort oben gibt.«

»Diese Arbeiter werden zurückkehren ...« Als Kaïkopura Sokais Blick sah, hielt sie inne. »Oder nicht?« Dann verstand sie. »Ihr wollt die Elenden außerhalb der Stadt verwenden.« Sie stieß einen anerkennenden Pfiff aus. »Erhabene Sprecherin, Eure Ruchlosigkeit überrascht mich immer wieder.«

»Es gibt keinen anderen Weg.«

»Hm. Amokapua hat in Atua-Kore mehr die Mutter gesehen als die Richterin. Sie war der Ansicht, fremde Götter nicht als Feinde zu betrachten, sonder als Gäste in ihrem Zelt – so wie es früher üblich war.« Langsam wurde es kühl, sie warf sich einen Nachtumhang über.

»Und was glaubt Ihr?«

»Ich glaube, dass Hua große Stücke auf Amokapuas Meinung hält.«

»Deswegen brauche ich Euch. Ihr müsst die Königin überzeugen, dass Atua-Kores Macht schwindet, wenn die Menschen fremden Göttern zu folgen beginnen.«

»Und wieso sollte ich das tun? Ich bin nicht überzeugt von Eurem Plan.«

»Ich habe Euch immer gefördert. Nun ist es Zeit, dass Ihr Dankbarkeit zeigt.«

»Nein, nein, nein«, lächelte Kaïkopura. »Ich habe Euch gewähren lassen. Nicht, weil ich Eure Hilfe gebraucht hätte, sondern weil ich neugierig war, wohin Eure Ränkespiele führen würden.«

»Eure Heiligkeit«, presste Sokai hervor, »Ihr habt erreicht, was Ihr wolltet. Stellt Euch gegen mich, und Ihr werdet Eure Würden schneller verlieren, als Ihr blinzeln könnt.«

Kaïkopura stellte das Glas weg, band den Umhang zu. »So, wie es Eurer Mutter ergangen ist?«

Die erstarrte Miene ihres Gegenübers verriet alles, was Kaïkopura wissen musste.

»Eine niederträchtige Unterstellung«, sagte die Sprecherin langsam. Ihre Nasenflügel bebten.

»Das zweite Glas war benutzt ...«

»Ja, na und? Als ich den Leichnam meiner Mutter sah, habe ich den Wein gebraucht, um den Schrecken zu verdauen.«

»Der Schamane hat es bestätigt«, log Kaïkopura genüsslich.
»Falsch«, stotterte Sokai, »er lügt, er will einen Keil zwischen uns treiben.«

»Und? Wird es ihm gelingen?«

»Ihr habt keine Beweise. Wer glaubt schon einem lächerlichen Knochenbrecher ...«

»Beruhige dich, ich habe nicht vor, dich bloßzustellen. Du magst ein Stück stinkenden, ranzigen Pferdefleisches sein, aber doch verstehst du Atua-Kore besser, als es die verblichene Hohepriesterin je getan hat. Atua-Kore liebt die Kämpfenden; die Willensstarken, die ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Warum, glaubst du, lassen wir die Elenden nicht in unsere Stadt? Atua-Kore verachtet nicht die Schwachen – aber sie verabscheut die Feigen und Faulen, die sich damit abfinden, nur bedeutungslose Pickel auf dem Hintern des Lebens zu sein.«

»Das heißt«, fragte Sokai mit angemessener Verunsicherung, »Ihr helft mir?«

»Das heißt, dass ich dir den Befragungsraum erspare.« Sie lächelte. »Fürs Erste. Aber dein Plan wird nicht aufgehen. Die Arbeiter werden wir schicken, aber es werden keine Elenden sein, sondern ordentliche, kräftige Leute.«

»Die könnt Ihr nicht unbemerkt verschwinden lassen.«

»Das will ich auch nicht. Ich will sie bezahlen.«

Sokai lachte. »Wenn Ihr Priesterinnen nicht irgendwo heimlich Gold gehortet habt, wüsste ich nicht, wie das gehen soll – der Zustand der Staatskasse ermöglicht Euch jedenfalls eher fünf Arbeiter als fünftausend.«

»Wir werden den Zugang zum zweiten Ring besteuern. Wenn die Besitzlosen die Vorzüge des Großen Marktes in Anspruch nehmen wollen, sollen sie dafür bezahlen.«

»Das wird zu einigem Zorn führen. Warum brauchen wir überhaupt ausgebildete Handwerker?«

»Wir werden das Heiligtum dieses Alateon nicht einreißen.«

»Nicht ...?«

»Wir werden herausfinden, was es zu verbergen hat.«

»Der Schamane hat von einer Warnung berichtet, dass unter dem Heiligtum das Böse gefangen gehalten werden soll ...«

»Ja, Amokapua hat es mir erzählt. Deswegen werden wir graben.«

»Was?!«

»Wir werden nicht einknicken vor einem unbekannten Gott am Rande der Welt.« Als Sokai widersprechen wollte, hob Kaïkopura die Hand. »Lass mich ausreden. Wir werden die Finsternis befreien, die dort gefangen liegt. Und dann werden wir zeigen, dass sie im Lichte Atua-Kores nicht bestehen kann.«

»Ihr seid wahnsinnig.«

»Ich bin der Mund Atua-Kores.«