Iwan Goll in Paris

Der bei seiner Geliebten Paula Ludwig auf Besuch gewesene Dichter kehrt Anfang September 1932 zu seiner schwerkranken Ehefrau Claire nach Paris zurück. In einem Brief an Paula nach Ehrwald konstatiert er seinen Trennungsschmerz und den Hass seiner Ankunft „im dunklen Paris“:

Liebe Paula

Ich habe eine der schrecklichsten Fahrten meines Lebens hinter mir: wie ein Mensch, dem von oben bis unten ein Stück seines Körpers weggerissen wurde, mit einer roten, blutenden, eiternden Wunde, wurde ich in de[m] schwarzen Nachtwagen entführt: von Dir, meinem andern Teil, mit Krallen, Fäusten weggerissen! Fetzen um Fetzen. Nerv um Nerv, Nagel um Nagel ging ich in einen provisorischen Tod ein, wurde mein gestriges Ich von mir abgezogen. 

O und diese Ankunft im dunklen Paris, mit drei Stunden Verspätung (weil das Ehrwalder Kursbuch wahrscheinlich von vor 3 Jahren stammt!) Wie hasste ich plötzlich Paris, wie hasste ich den ersten Zollbeamten an der Grenze! Und von der ersten Stunde an legte sich ein Bleigewicht auf meinen Kopf, das ich jetzt herumtrage und nicht mehr abschütteln kann. Wahrscheinlich der allzu rasche Wechsel von Höhenluft zur Kellerluft! Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, Übelkeit: Paris!

Und dazu der schauerliche Anblick zuhaus (verzeih, dies „zuhaus“:) wo schon Familie herberufen war, Appell an die Mutter etc. Tatsächlich: ein sehr arger Zustand der Lungen, hohes Fieber...

Ich erspare dir und mir die Einzelheiten.

Mir ist zu dumpf zumute.

Nur ein Schrei in mir: Paula! Ehrwald! Wo ich atmete, lächelte, lachte, braun war, glücklich war, an deiner Schulter:

Iwana (Zit. aus: Iwan Goll und Paula Ludwig: Ich sterbe mein Leben. Briefe 1931-1940. Literarische Dokumente zwischen Kunst und Krieg. Frankfurt am Main u.a. 1993, S. 98-102, S. 260-263. © LangenMüller, München 1993)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek

Sekundärliteratur:

Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 234f., S. 251.