Handlungsort: DDR

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbthemes/2024/klein/ohl-002830_500.jpg#joomlaImage://local-images/lpbthemes/2024/klein/ohl-002830_500.jpg?width=500&height=325
Isolde Ohlbaum/Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv

Jonathan Franzens 2015 erscheinender Roman Unschuld spielt teilweise in Ostdeutschland zu Zeiten der DDR und beinhaltet drei Hauptfiguren. Neben Pip, einer jungen amerikanischen Studienabsolventin, die auf der Suche nach ihrem Weg und ihrem Vater ist, den sie nie kennengelernt hat und dem amerikanischen Journalisten Tom Aberant, der sich schließlich als Pips Vater erweist ist Andreas Wolf, ein Julian Assange ähnlicher digitaler Aufklärungsguru, die dritte Hauptfigur des Romans. Wolf, ein Ostdeutscher, der aus einer schwierigen aber privilegierten DDR-Familie stammt, hat zu DDR-Zeiten einen Mord begangen. Aberant weiß von der Tat.

Es geht in dem Buch um Schuld in verschiedenen Ausprägungen sowie um die DDR, die Franzen hier mit dem Internet in Verbindung bringt: „Andreas’ Gabe, vielleicht seine größte, war es, in totalitären Systemen singuläre Nischen zu finden. Der beste Freund, den er je gehabt hatte, war die Stasi – bis er das Internet kennenlernte. Er hatte einen Weg gefunden, beide zu benutzen und zugleich auf Distanz zu ihnen zu bleiben ... Bei aller guten Arbeit, die das Sunlight Project leistete, diente es inzwischen vor allem der Erweiterung seines Egos. Eine Ruhmfabrik, die sich als Geheimnisfabrik tarnte.“

Thomas Andre spürt in seinem Beitrag „Der Unrat der Germanen“ vom 31.8.2015 auf SPIEGEL Online Franzens Motivation für das Romansetting von Unschuld nach: „Deutsche Würde, deutscher Darm – das sind Franzens Koordinaten auf der Suche nach der deutschen Seele. Die DDR, „die Republik des schlechten Geschmacks“, kanzelt er in den sie betreffenden Teilen des Romans übrigens gnadenlos ab – die bisweilen komische Überzeichnung ist ein Stilmittel in diesem Roman. Die Traumata seiner vermurksten Wirklichkeit überdauern in Person von Andreas Wolf das Ende des Landes“.

Jonathan Franzen erklärt im Gespräch mit der FAZ vom 28.8.2015 in Bezug auf Andreas Wolfs Nationalität: „Er musste Deutscher sein, weil ich schon lange einen Roman schreiben wollte, in dem Deutschland vorkommt. Ich habe viel Zeit im Land verbracht, ich spreche die Sprache, und die DDR hat mich seit langem gereizt, das ist einfach ein großes Thema, viel interessanter als etwa das kommunistische Polen, weil es so viel extremer zuging: die Stasi, die Ausmaße der gesammelten Daten, die Zahl derjenigen, die dabei mitgemacht haben – das ist alles extrem. Sehr deutsch. Und das ist es, was der Romancier tut: er übertreibt. Wenn man dann auf etwas stößt, das schon in der Wirklichkeit eine Übertreibung darstellt, ist das geradezu unwiderstehlich.“

Volker Weidermann attestiert in seinem Beitrag „Die Diktaturen“ im SPIEGEL vom 3.6.2015 Jonathan Franzen bezüglich Deutschland und der hiesigen Literatur Insiderkenntnisse: „Die Wurzeln der Geschichte, die Wurzeln des Wahrheitsrigorismus einerseits und der pathologischen Lügen der Figuren des Romans andererseits, liegen in Deutschland, liegen in der DDR. Die Republik des schlechten Geschmacks nennt Franzen das zweite Kapitel seines Romans, es ist ein kühles, recht artifiziell zu lesendes Kapitel über diesen untergegangenen Teil Deutschlands. Jonathan Franzen kennt sich hier aus, sein Interesse an Deutschland und deutscher Literatur wird eigentlich nur noch von dem für Vögel übertroffen“.

Verfasst von: Thomas Steierer