Jonathan Franzen in München

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Isolde Ohlbaum/Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv

Bevor Jonathan Franzen sein Studium der Germanistik an der Universität in Swarthmore, Pennsylvania abschließt, verbringt er 1980 ein Studienjahr in München sowie eines 1982 in Berlin. Christian Mayer schreibt im Vorfeld von Franzens Lesung in der Großen Aula der Ludwigs-Maximilians-Universität in München im Jahr 2011 in der Süddeutschen Zeitung in seinem Beitrag „Der Amerikaner aus der Agnesstraße“ diesbezüglich: „Jonathan Franzen und München, das ist eine innige Beziehung, und zwar nicht nur, weil der amerikanische Schriftsteller einst in einem Studentenwohnheim in der Agnesstraße lebte, wo er gerne mal fünf Halbe trank, die großen deutschen Philosophen studierte und bei Gelegenheit auch mal nachts nackt in die Isar sprang.“

Jonathan Franzen äußert sich u.a. in Interviews mehrfach über sein Studienjahr in München, mit dem er ambivalente Erinnerungen verbindet. Die Chance mit einer hiesigen Studentin zusammenzukommen, ergreift er nicht, was er sehr bereut. So hat er immerhin viel Zeit, Deutsch zu lernen, so Franzen in Die Unruhezone: „Ich ging nach München, um Deutsche Literatur zu studieren, und an meinem dritten Abend dort, auf einer Party für neue Studenten, lernte ich ein geradliniges, hübsches bayrisches Mädchen kennen, das mir vorschlug, noch etwas trinken zu gehen. Ich sagte, ich sei müde, fände es aber schön, wenn wir uns ein andermal sehen könnten. Ich sah sie nie mehr wieder. Das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Studenten in den Münchener Wohnheimen betrug 3:1. Während der folgenden zehn Monate lernte ich keine einzige andere interessante junge Deutsche kennen, die mir auch nur guten Tag sagte … Ohne die Ablenkung einer Freundin lernte ich in München doch viel Deutsch. Besonders Goethes Lyrik packte mich. Zum ersten Mal in meinem Leben war ich davon begeistert, wie eine Sprache Klang und Sinn vereint.“

München verbindet der junge, sich eben von zuhause emanzipierende Franzen zu sehr mit seinen Eltern als dass er die Stadt während seines Studienjahres richtig lieben lernt. Franzen rebelliert gegen seine Eltern, die München für die Sauberkeit im öffentlichen Raum und die Trachten der Einheimischen sehr schätzen, indem er die Stadt innerlich ablehnt. Im Interview mit dem SPIEGEL (23.11.2014) äußert er: „München war ordentlich, arbeitsam, ein bisschen kitschig. Meine Eltern hatten zwar keine deutschen Vorfahren, aber sie waren für mich Bayern. Sie hatten keinen ausgeprägten Geschmack, und als sie mich dort besucht haben, haben sie sich über alles gefreut: Seht mal, die Straßen so sauber! Seht doch nur, die Lodenmäntel! Und wenn man 20 ist und die Eltern alles schön finden, was einen umgibt, dann ist es ja nur logisch, wenn man genau das ablehnt“.

Franzen ist seinerzeit Musikfan und kleidet sich „alternativ“, wie er im Interview mit dem SZ-Magazin vom 5.12.2014 berichtet: „Ich war dünn und zäh und zornig … Hier im Regal an der Seite stehen meine alten Platten, da ist eine frühe von den Talking Heads, die habe ich auch einmal in München gehört, auch The Clash und Elvis Costello spielten Anfang der Achtziger irgendwo in einem Jugendzentrum im Norden Schwabings. Sehen Sie mal: Solche Röhrenjeans und Schnürstiefel wie auf diesem Plattencover trug man damals“. Auf die Frage, ob er ausgesehen habe wie ein Punk: antwortet Franzen: „Ja. Ich wog gerade mal 62 Kilo und war für meine Größe wirklich spindeldürr, als ich von meinem Auslandsjahr in Deutschland zurückkehrte.“

Jonathan Franzen kommt auf seinen Lesetourneen einige Male nach Deutschland zurück. Teilweise spricht er dabei Deutsch, Christian Mayer nach der Münchner Lesung Franzens aus seinem Roman Freiheit in der Süddeutschen Zeitung vom 14.3.2011 in dem Beitrag „Charmanter Wortkünstler“ schreibt: „Seitdem ist er der Sprache treu geblieben – auch diese Lesung bestreitet er fast vollständig auf Deutsch, wobei sich im Lauf des Abends herausstellt, dass dies durchaus ein Kampf ist. „Ich muss lesen“, sagt er, der Meister der Mehrdeutigkeit. „ich fühle mich ein bisschen wie ein Hund auf einem Fahrrad mit der deutschen Sprache. Es macht Spaß, das anzusehen.“ So wie sein Umgang mit der deutschen Sprache zumindest augenzwinkernd zwiespältig ist, so dürfte gemessen an Franzens Äußerungen zu München sein Verhältnis zur bayerischen Landeshauptstadt ambivalent sein. Jonathan Franzen wird hoffentlich auf seiner nächsten Lesetournee nichtsdestotrotz wieder nach München kommen.

Verfasst von: Thomas Steierer