Alisha

Freiheit ist das, was wir als Feminist*innen für jede*n einzelne*n von uns in gemeinwohlfördernder Weise erwirken möchten. Die Reibung, die wir in unserer individuellen Freiheit mit unserer Fürsorge und unserer Verantwortung gegenüber anderen fühlen, ist unabhängig vom Geschlecht eine potentielle Ursache von Bitterkeit, eine tiefe, menschliche Erfahrung. Dabei können wir als Künstler*innen und Autor*innen diese Reibung einfangen, beleuchten, und ihr, auch wenn sie sich vielleicht nicht immer mit politischen Überzeugungen überlappt, Raum geben.

Maggie Nelson schreibt in On Freedom:
“It seems to me crucial – even ethically crucial – to treat with caution any rethoric that purports to have all ethical goodness on its side (…). This is especially so when it comes to art, insofar as artists often make work precisely to give expression to complex, sometimes disturbing dimensions of their psyches kept elsewhere under wraps. ”
[Es scheint mir grundlegend – sogar ethisch grundlegend – jedwede Rethorik, die behauptet, alles ethisch Gute auf ihrer Seite zu haben, mit Vorsicht zu genießen. (…) - Dies gilt insbesondere, wenn es um Kunst geht, insofern dass Künstler*innen oft Werke schaffen, gerade um Ausdruck für komplexe, manchmal verstörende Dimensionen ihrer Psyche zu finden, die sonst vielleicht verborgen blieben]

Ich denke wieder an Emma Goldmans Aussage über die begabten, kämpferischen Frauen, die ihr Leben einem alles erfüllenden politischen Sinn, einem erbitterten Kampf widmen. Dass ihnen am Ende doch etwas fehle – ein abgerundetes, vollständiges, sinnliches Leben. Was Emma Goldman wohl mit diesem Leben meinte? Mutterschaft und Karriere? Liebe, Ehe und gleichzeitige Freiheit? Romantic Friendships?[14] Meinte sie vielleicht die Herausforderung, dass auch als Frauen Sozialisierte sich in ihrer vermeintlich oder real immer größer werdenden Freiheit erstmal neu zurechtfinden und verorten müssen?

Sara Ahmed argumentiert in ihrem Buch The Promise of Happiness, dass wir durch unsere Sozialisierung bestimmte Objekte und Errungenschaften mit Glück verbinden und andere nicht, also zum Beispiel Statussymbole, eine Ehe, Karriere, Kinder. Dass aber das tatsächliche Empfinden von Glück nicht zwangsläufig von diesen erzeugt wird, denn die Wirkweisen von Zufriedenheit und Glück haben ihre eigene Logik.

Eine befreundete Autor*in sagt: Ich möchte im Lotto gewinnen, Millionärin werden. Und dann ganz nonchalant für Organisationen und Parteien meiner Wahl gegen die Ungerechtigkeiten spenden und mich gut dabei fühlen, wie ein reicher cis Mann. Eine andere Freundin: Ich möchte einfach einen Sugardaddy. Wirklich, ich möchte einfach nicht mehr kämpfen müssen, für ein tägliches Existieren. 

Brigitte Reimann: „Weil Franziska lieber 30 wilde Jahre wählen würde statt 70 brave, ignoriert die junge, begabte Architektin den vorgezeichneten Karriereweg.“

Ich sehe mich darin, mein rebellisches, idealistisches, neugieriges, die vorgegeben Laufbahnen sprengen wollendes Ich, das sich manchmal einfach in einer vorgegebenen Bahn, die schon gut ausgestattet ist mit Erfahrungen und Polstern, ausruhen will.

Ich merke an mir selber, dass es eine Sache ist, in der Theorie Dinge zu verstehen, zu vertreten. Sie selbst zu leben ist eine ganz andere. Eine, die uns zwingt, das eigene Glück neu zu definieren und es dann auch im Ungewohnten, Unbekannten, Unbequemen zu fühlen. Das ist nicht immer leicht, manchmal sogar unmöglich, stehen uns doch hunderte Jahre patriarchaler Prägung im Nacken. 

Radmila Petrovic´:

schwerer als ein traktor
ist meine ganze wehmut
die versuche zu sein
eine sinnliche, junge Frau
weltgewandtes
mädchen-mädchen

Wir fallen zurück in Muster, die uns vertraut sind, für die wir von der Gesellschaft gelobt werden, die vielleicht auch flutschen, leben in dem, was sich leichter anfühlt, haben an manchen Stellen das Gefühl uns zu verraten, werden bitter. Oder wir kämpfen uns durch, leben alle unsere Ideale gegen innere und äußere Widerstände, strampeln, brennen aus, werden bitter. Bitter als Endgegner einer jeden Feminist*in, egal wie sie sich entscheidet?

In einer Szene aus der Serie „Fleabag“ besuchen die Protagonistin und ihre Schwester eine feministische Vorlesung.

Lecturer: “I’d like to ask you a question, I don’t know about you, but I need some reassurance(chuckles) So I pose the question to the women in this room today. Please raise your hands if you would trade five years of your life for the so-called perfect body.” 

[Die Dozentin: Ich möchte euch eine Frage stellen, ich weiß nicht, wie ihr das seht, aber ich brauche etwas Rückversicherung. Also ich stelle die Frage heute an die Frauen in diesem Raum. Bitte hebt eure Hände wenn ihr fünf Jahre eures Lebens für den so genannten perfekten Körper eintauschen würdet.] 

Fleabag und ihre Schwester heben sofort die Hand – und senken sie beschämt wieder als sie merken, dass sie die einzigen im Saal sind. Fleabag zu ihrer Schwester: „We are bad feminists“. [Wir sind schlechte Feministinnen]

Ist es möglich revolutionär zu sein und gleichzeitig tanzen zu können (frei nach Emma Goldman)? Warum ist es so schwer? Warum überrollt mich immer wieder der puritanische Glaube, es sei wichtig, ein Leben ohne Widersprüche zu führen, ganz im Reinen mit sich und seinen Werten, ohne Schuld, ohne Fehlerhaftigkeit. Liegt in diesem Glauben vielleicht eine ganz eigene Gewalt versteckt?

Roxane Gay sagt in Bad Feminist: “As a feminist I feel a lot of pressure. There is this tendency to put visible feminists on a pedestal. We expect them to pose perfectly. When they disappoint us we gleefully knock them from the very pedestal we put the on.(…) We demand perfection from feminists, because we are still fighting for so much, we want so much, we need so damn much. We go far beyond reasonable constructive criticism to dissecting any woman’s feminism, tearing it apart until there’s nothing left. We do not have to do that.“
[Als Feminist*in fühle ich viel Druck. Es gibt diese Tendenz nach außen erkennbare Feminist*innen auf ein Podest zu heben. Wir erwarten von ihnen sich perfekt darzustellen. Wenn sie uns enttäuschen stoßen wir sie freudig von ebendiesem Podest, auf das wir sie gestellt haben (…). Wir erwarten Perfektion von Feminist*innen, weil wir noch immer für so viel kämpfen, wir noch so viel wollen, noch so verdammt viel brauchen. Wir gehen weit über vernünftige konstruktive Kritik hinaus und zerlegen den Feminismus einer jeden Frau, zerreissen ihn, bis nichts mehr übrig ist. Wir müssen das nicht tun.]

Dieses in feministischen Kontexten besonders ausgeprägte Streben nach persönlicher Reinheit, ständiger Eindeutigkeit und politischer Fehllosigkeit bei uns und anderen, denke ich, führt uns immer wieder zu Enttäuschungen, zu Bitterkeit. Was können wir stattdessen tun? Einen versüßenden, fürsorglichen Blick auf uns selbst und unsere Mitstreiter*innen, Mitmenschen entwickeln? Sich die Erlaubnis geben, unperfekt zu sein, ohne den Anspruch aufzugeben, mich so gut ich kann zu verhalten? In vielen politischen Kontexten ist Eindeutigkeit wichtig, es kann aber nicht schaden, auch dabei Schattierungen wahrzunehmen, insbesondere, wenn sie sich in den privaten Bereich ziehen. Ich möchte gerne lernen, Scheitern, Fehler und Ambiguität als zum Leben zugehörig anzunehmen und dem Quora-Nutzer vom Anfang antworten: Nicht Feminismus macht bitter, sondern unnachgiebiger Perfektionismus, egal was das perfekte Ideal ist. Und welcher Ort wäre dafür besser geeignet, diesem mit vielen verschiedenen Schattierungen entgegenzuwirken, als das Schreiben?

 

[14] Nach bell hooks: Freundschaftliche Beziehungen, die ihre eigene Form der Liebe und freundschaftlicher Romantik pflegen.

Verfasst von: Alisha Gamisch und Sara Gómez