Sara

„Ich habe 50 Jahre gebraucht, um mich eins mit meinem Körper zu fühlen! Nie war ich so einverstanden mit mir wie mit 50. Mit meiner Lust. Meinem Begehren. Meiner Sexualität.“ (Odile Kennel, Lust).

In diesem Sinne soll das Alleinbleiben meiner Mutter nach der Trennung von meinem Vater, das nun schon Jahrzehnte anhält, in die Annalen der Familiengeschichte bitteschön als etwas Gutes eingehen. Ein rebellischer, ein feministischer Akt!
Mir fehlen solche positiven Narrative von FLINTA* jenseits der 40. Sie kommen noch immer einzeln daher, als vermeintliche „Einzelfälle“. Dabei hat es Struktur! Dabei beobachte ich so viele und nicht zuletzt mich selbst beim Selbstverständlicher-mit meinem-Körper-und-Platzeinnehmen-Werden. Beim Abstreifen des Schönheitsdiktats. So dass ich nackt in der Isar baden kann und mir Blicke den Buckel runterrutschen lasse. So dass ich mich auf Bühnen stelle, auf die ich mich vor zehn Jahren nicht getraut hätte. Das größere Sichtbarwerden, das so viele, gerade auch künstlerisch tätige FLINTA* erst mit zunehmendem Alter erfahren – es kommt mir bitter-süß händchenhaltend aus der Zukunft entgegen. Das Bittere im Knacksen von Knien und Lendenwirbeln, von faltigen Mundwinkeln und schlaffen Körperpartien, steht dem süßen Emanzipationsgewinn gegenüber, der sich im selbstverständlicheren, lauteren, lustvolleren Raumnehmen äußert, im Um-den-eigenen-Platz-Wissen und sich nicht mehr um die Blicke anderer, zumal weißer cis Männer scheren. Mir fehlt es noch viel lauter und struktureller zu hören, wie geil dieser Zugewinn für Frauen ab 40 ist!

Dass meine Mutter mit über 70 (nach wie vor) so gut allein sein kann, was heißt, ohne Partnerschaft, aber mit sehr engen Freundinnenschaften, bewundere ich, aber gleichzeitig wünsche ich ihr nochmal in ihrem Leben die Erfahrung einer erfüllten, erfüllenden Liebesbeziehung zu machen. Ist das nicht bevormundend und zuletzt auch patriarchal gedacht, zumal ich bei meinem alleinstehenden Vater nicht dieselbe Vehemenz des Wunsches verspüre?

Das Altwerden der Eltern spült viele bittere Fettaugen hoch. Ich hoffe dennoch, dass meine Alten (auf chilenischem Spanisch ist das mis viejos, meine Alten, etwas sehr Zärtliches) nicht bitter werden. Dass sie selbständig bis zuletzt bleiben können. 
Meine Großmütter, hüben wie drüben, konnten dies einigermaßen. Die eine hielt sich an ihrer verflossenen Schönheit und intellektuellen Düften fest, die andere an ihrem Garten, ihren Kindern und Kindeskindern. Keine musste ins Altersheim – und das soll bitte bei meinen Alten so weitergehen. Dennoch bleibt die Frage, wieviel Freiheit sie beim Altwerden einbüßen werden. 

 

Verfasst von: Alisha Gamisch und Sara Gómez